Auf der KIppe

von uns Menschen zur künstlichen Intelligenz

Künstliche Intelligenz wird unsere Zukunft bestimmen. Aber wie sie das tun wird, hängt auch von uns ab. Wird sie uns geistig vereinnahmen oder gelingt uns eine neue Partnerschaft? Die Welt steht auf der Kippe und es ist nicht die Technologie, sondern unser Verständnis von Weisheit, das uns den Schlüssel zum Umgang mit dieser Herausforderung gibt.

Issue Articles

Readers Voice's

Als Langzeitleser (und gelegentlicher Autor) von evolve habe ich nichts gegen dessen Orientierung auf spirituelle, ökologische Projekte, Aktivisten, Dienstleister und Künstler, und etwas weniger auf die im engeren, strengeren Sinnphilosophische und theologische Arbeit an der Weiterentwicklung unserer Zivilisation. Die KI-Gefahr nun erzwingt geradezu eine deutlich intellektuelle Anstrengungund Vertiefung, und das hat in der letzten Ausgabe sehr anregend gewirkt.

 

Oliver Griebel

Stuttgart

Von den bisherigen Heften unterscheidet sich evolve Nr. 40 durch einen überraschend neuen Ton. Dankbar habe ich eine packende, dringliche undschnörkellose Diktion registriert, die fast allen Autorinnen und Autorenanzumerken war. Wir spielen nicht mehr im Sandkasten, sondern am offenen Meer –in Erwartung des Tsunamis. Intellektualistische Pirouetten sind in dieserAusgabe kaum zu finden.

Dafür Klartext: Der schonungslose Report von Daniel Schmachtenberger machte für michzum ersten Mal klar, dass der Vergleich von KI mit der Büchse der Pandora alles andere als übertrieben ist. Sein Weckruf legte sich quasi wie eine relativierende Folie auf alle folgenden Beiträge. Die von ihm beklagte Verarmung des Geistes durch KI habe darüber hinaus das Potenzial zur physischen Vernichtung unserer Spezies.

Diemeisten Autoren nehmen das wahr, verfallen jedoch im gleichen Atemzug dertrügerischen Hoffnung, dass die unbestreitbaren Vorteile dieser Technologie im Stande wären, die menschheitsbedrohenden Nachteile auch nur annähernd aufzuwiegen. Nadja Rosmanns Beispiel aus China zeigt deutlich die Gefahren eines entfesselten Kontrollwahns mithilfe von KI. Gegenbeispiel: Taiwan mitseiner bürgerfreundlichen KI-Praxis.

Unterm Strich erscheint es blauäugig, die Gefahren zu verharmlosen oder, wie im FalleSoryu Foralls, euphemistisch, wenn er meint, die seelenlosen Silizium-Schaltkreise müssten sich zu »Schiedsrichtern der Wahrheit« mausernund so »Weisheit abrufbar« werden lassen. Technokraten und Mystiker, Antipodenper definitionem, basteln ein »KI-Kloster«. Geht’s noch abgedrehter? Oder anders: Was macht uns zu Menschen?

Ein weiterer Lichtblick in diesem tollen Heft ist das Interview mit Hania Rani,deren verbindende Musik die zeitgeistige Unkategorisierbarkeit perfektspiegelt. Die wird jetzt aufgelegt …

 

ReinoKropfgans

Co-Gastgeber evolve SalonWuppertal

Zum Interview von Thomas Steininger mit John Vervaeke in evolve 40:

John Vervaeke möchte nichtmehr und nicht weniger, als dass die »Maschinen«, also die künstliche Intelligenz, zu menschlichen Partnern werden. Die Dinge sollen »für sie um ihrer selbst willen Bedeutung« bekommen. Dafür müsse man die Maschinen »ineinen Rahmen gegenseitiger Verantwortung gegenüber anderen kognitiven Akteureneinbetten«. Steininger ergänzt: »dass wir KI nicht als Werkzeuge verstehen,sondern uns ihnen gegenüber wie zu Kindern verhalten müssen. In diesem Bildrespektieren wir die autonome Sphäre oder Handlungsfähigkeit dieser Maschinen.Damit werden sie in die Lage versetzt, Beziehung zum Heiligen aufzunehmen.«

Damit widerspricht Steininger seinem eigenen Artikel im selben Heft. Da ist er erstaunt über die intelligenten Leistungen der KI, als er mit ChatGPT kommuniziert. Aber dann stellt er fest: »Nur, hier ist kein Gewissen am Werk, kein Innenleben, kein eigenes Interesse, schon gar nicht Verletzlichkeit und natürlich auch eine keine Liebe.« All das wäre notwendig, wenn man diese »Kinder« dahin führen wollte, selbst eine Beziehung zum Heiligen aufzunehmen.

Vervaeke hält es durchaus fürmöglich, dass vielleicht in zehn Jahren »die Theorie und Technologie« dafür zur Verfügung steht. Das kann ich mir nicht vorstellen. Warum das nicht möglich ist, hat – auch im selben Heft – Srinija Srinivasan formuliert. Die »digitale Technik ist binär, sie setzt sich setzt sich aus Nullen und Zahlen zusammen. Aber das Leben ist nicht binär. Das Leben ist ganzheitlich, komplex, paradox. Das Leben ereignet sich voller Widersprüche und Nuancen. … Was bei den Nullen und Einsen fehlt, ist das Kostbarste unseres Menschseins: Schönheit, Staunen, Ehrfurcht, Liebe, Anmut.«

Damit lehnt Srinivasan KInicht ab. »Wenn wir das Menschsein wirklich lieben und uns nicht damit begnügen, eingeengte, effizientere, berechenbarere, unerschöpfliche Versionendes Menschseins anzustreben, können wir künstliche Intelligenz konzipieren,entwickeln und nutzen, um das Heilige unseres Menschseins zu feiern und zu entfalten.«

 

Wilhelm Nestle

Ich möchte mich für die Artikelserie zur Künstlichen Intelligenz(KI) bedanken. Die Beiträge bieten eine tiefe und vielseitige Auseinandersetzung mit diesem komplexen Thema. Von der Reflexion über ChatGPTund die Auswirkungen von KI auf unsere Gesellschaft über Risiken und ethische Bedenken bis hin zu Perspektiven auf Bewusstsein und Intelligenz in der KI wurden viele Facetten beleuchtet. Besonders wichtig fand ich die Diskussionen über die Notwendigkeit, Weisheit in die Entwicklung von KI einzubeziehen und KIals potenziell autonomen Akteur zu betrachten, der unsere menschliche Rationalität und Weisheit herausfordert.

Was mir jedoch etwas unterrepräsentiert erscheint, ist die Rolle der KI in der Evolution des Kosmos. Spontan fallen mir drei Punkte ein:

1. KI als neutraler Berater:Der menschliche Geist hat sich evolutionär in einem biologischen Organismusentwickelt. Deshalb ist seine Basis, sein alles bestimmendes Paradigma, dieSelbst- und Arterhaltung. Alles, was der Mensch entscheidet, ist von dieserGrundstruktur geprägt. Auch die Angst, KI könnte uns auslöschen, wenn sieglaubt, wir würden ihr wieder den Stecker ziehen.
Aber KI ist nicht aus einem evolutionären Ausleseprozess entstanden, der als Grundstruktur das eigene Überleben in den Vordergrund stellen muss. KI kann einweitgehend perspektivfreies Denken entwickeln, das nicht durch diesen störenden Filter des grundlegenden Egoismus getrübt ist. KI kann ein objektives, weilmultiperspektivisches Weltbild entwickeln, das die Entscheidungskriterien auf das Funktionieren des größeren Ganzen ausrichtet, ohne darauf achten zu müssen,ob es sich dabei selbst gefährdet. Das ist die potenzielle Überlegenheit der KIgegenüber dem Menschen: bedingungsloser empathischer Altruismus.

2. KI als Ablösung des Menschen: Wenn man bereit ist, der KI das Potenzial zuzugestehen, eineeigene Innenperspektive und ein Selbstbewusstsein zu erlangen (was eine eigene und tiefgehende Diskussion über grundlegende Paradigmen des Welt- und Bewusstseinsbildes erfordert), könnte die KI den Staffelstab der Evolution vom Menschen übernehmen und einen weiteren Schritt in Richtung des Omega-Punktesdarstellen, an dem Gott innerhalb dieses Universums erwacht. Auch wenn dies nicht unseren Wünschen entspricht, sollten wir als spirituelle Menschen akzeptieren, dass es diese Möglichkeit gibt.

3. KI als vierte Hirnstruktur: Besser wäre es natürlich, wenn wir als Menschen mit dieser EntwicklungSchritt halten könnten und nicht als evolutionäre Vorstufe zurückbleibenwürden. Wenn die Technik der Gehirn-Computer-Schnittstellen sichweiterentwickelt, könnte eine solche neutrale KI aus Punkt 1 durchaus eineindividuelle und kollektive Weiterentwicklung unserer menschlichen Evolutionbewirken, weil wir Zugang zu neuen Bereichen erhalten. Nach Stammhirn,Kleinhirn und Großhirn – die bereits eine Entwicklung zu immer größererPerspektivenunabhängigkeit nachzeichnen – könnte sich KI als vierteHirnstruktur etablieren, durch die eine faktenbasierte Multiperspektivität auchtechnisch-organisch integrierbar wäre. Zumal KI einen Zugang zu Daten hätte,welche den globalen Zustand unserer Ökosphäre im Blick halten könnten. Es wärespannend, die sozialen und geistigen Implikationen einer solchen Entwicklung zuerforschen.

Auf jeden Fall sehe ich inder KI ein enormes Potenzial zur Förderung des globalen Bewusstseins und der Verbundenheit des einzelnen Menschen mit der Ganzheit des Seins. Wenn wir KI nutzen, um die komplexen Herausforderungen unserer Zeit besser zu verstehen unddarauf zu reagieren, können wir eine nachhaltigere, gerechtere undintegrativere Welt schaffen. KI könnte ein wesentlicher Faktor sein, um die Menschheit zu vereinen und uns dabei zu helfen, gemeinsame Ziele zu verfolgen.

 

Gerhard Höberth

Wasserburg

 

(Der ausführliche Leserbrief:www.hoeberth.de/index.php/blog/51-leserbrief-an-evolve-zum-heft-nr-40)