Vuyi Qubekas Weg zur Heilung
Nach 35 Jahren auf diesem Planeten scheint Vuyi Qubeka die Quellen gefunden zu haben, aus denen heraus ihr Leben begann. Als Südafrikanerin vom Stamm der Xhosa war sie als Kind neugierig und freudvoll, als junge Erwachsene voller Angst und Suizidgedanken, und heute sitzt mir, vermittelt über Zoom, eine mutige Frau gegenüber, die ihren Weg gefunden hat. Dieser Weg führte sie durch die Abgründe ihrer selbst und ihrer konfliktreichen Kultur, sodass sie es sich heute zur Aufgabe gemacht hat, als Heilerin andere Menschen an das Wesen unseres Menschseins zu erinnern.
Vuyi wurde in den frühen 90er-Jahren in Soweto geboren, einem schwarzen Stadtteil am Rand von Johannesburg, und verbrachte die ersten Jahre ihrer Kindheit in einer Umgebung, die sie als »intakte Gemeinschaft« erlebte. Alle kannten einander und es gab ein echtes Zugehörigkeitsgefühl.
Diese ersten sieben glücklichen Kinderjahre wurden jäh unterbrochen, als ihre Familie sich entschloss, in ein weißes Stadtviertel zu ziehen. Damals war, so erklärt Vuyi, der Glaube weit verbreitet, dass es für die schwarze Bevölkerung ein Zeichen von Freiheit war, wenn man es schaffte, in einer weißen Nachbarschaft zu leben – eine Zuversicht, die die Träume und Hoffnungen vieler schwarzer Familien in Südafrika bestimmte.
Dieser Umzug in einen weißen Vorort wurde jedoch zu einer traumatischen Erfahrung, die Vuyis Charakter völlig veränderte und ihre Unbeschwertheit verschwinden ließ. Sie erfuhr zum ersten Mal, dass eine schwarze Hautfarbe in der weißen Umgebung Gewalt und Zurückweisung auslösen konnte. Ganz plötzlich war sie nicht mehr sie selbst. Sie versuchte, sich der Umgebung anzupassen und sich hinter einer weißen Maske zu verstecken – bis zum heutigen Tag ist sie damit beschäftigt, diese wieder abzulegen. Während sie in einem eingemauerten Grundstück spielen musste und durch Straßen ging, in denen niemand sie grüßte, brannte in ihr eine Frage: Warum haben wir die Liebe zurückgelassen?
In den kommenden Jahren wuchs durch diese Frage in Vuyi das Gefühl, dass es einen Grund hatte, dass sie und ihre Familie an diesen scheinbar unmenschlichen Ort gezogen waren. Sie erfuhr, wie wichtig es ist, das kulturelle Verständnis zwischen verschiedenen Welten zu fördern und Brücken zu bauen zwischen künstlichen Rassen- und Geschlechtergrenzen. Als sie erwachsen wurde, fand Vuyi ihre freudvolle Stimme wieder und engagierte sich in unzähligen Schulgruppen. Als sie jedoch gerade dabei war, ihren Lebensschwung wieder zu entdecken, erschütterte ein zweites Trauma ihre Welt, als sie im Alter von 15 Jahren einen sexuellen Übergriff erlitt.
¬ DIE HEILUNGSREISE GEHT NICHT DAHIN, WO DIE MENSCHEN HINGEHEN WOLLEN, DENN DER GEIST FÜHRT. ¬
Rückblickend betrachtet Vuyi diese Erfahrung als einen Wendepunkt. Nach diesem Übergriff verschloss sie sich und wurde ein »automatisierter Mensch«. Sie entwickelte einen intensiven Selbsthass und konnte sich kaum mehr auf andere Menschen einlassen. «Sexuelle Gewalt erschüttert den Blick, durch den wir die Welt sehen, wir sehen sie jetzt aus einer verletzten Perspektive,« sagt sie mir im Gespräch. Es folgt eine Stille, in der wir beide diese Verletztheit spüren.
Vuyi behielt diese traumatische Erfahrung für sich und tat ihr Bestes, in der Schule weiterzukommen. Sie studierte Journalismus und erhielt danach einen Job beim Radio in Johannesburg. Durch diese Arbeit konnte sie ihre Verletzungen in den Hintergrund drängen und ihr Selbstwertgefühl wiederfinden – zumindest auf einer intellektuellen Ebene. Sie spürte aber, dass nur ihr Kopf an diesem Prozess beteiligt war, ihr Herz und ihr Körper blieben verschlossen. Erst nach einigen Jahren in Kapstadt, wo sie für ein Marketing-Unternehmen arbeitete, nahm ihr Leben eine neue Wendung. In dieser Zeit veränderte ein Plakat ihr Leben. Eines Abends kam sie von der Arbeit nach Hause und fühlte sich nach nur fünf Monaten in ihrem Job zutiefst erschöpft. Sie fragte sich, wann sie Zeit finden würde, die Welt zu entdecken, bevor sie sich »der ernsten Pflicht der Selbstaufgabe an das System« zuwendete. Da sah Vuyi ein Zeichen – buchstäblich. Beim Betreten des Hauses bemerkte sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Aufschrift: International Au-pair. Sie eilte hinüber, betrat das Büro, und zwei Monate später arbeitete sie in Holland.
Hier im Ausland, tausende Kilometer entfernt von allem, was sie je wusste, abgetrennt von den Projektionen ihrer Familie, erlebte sie ein Erwachen – etwas, das sie ihre »Wandlung durch die Wiederherstellung ihrer Seele« nennt. Die wunderschönen Wälder, die sie oft durchwanderte, die Freiheit, die sie so weit weg von zuhause erlebte, und die neuen Entdeckungen, die sie in Büchern von Eckhart Tolle und Abraham Hicks machte, ließen magische Erinnerungen aus ihrer Kindheit aufleben. Im Wald erfuhr Vuyi eine nie gekannte Stille. Das Grün der Blätter sah sie wie zum ersten Mal. Ihr wurde zutiefst bewusst, dass sie »ein spirituelles Wesen ist, das eine menschliche Erfahrung macht«. »Geist und Materie wurden …«, hier verliert sie sich für einen Moment, bevor sie weiterspricht: »Es war das erste Mal, dass ich mit etwas in Kontakt kam, das ich nicht benennen konnte, und von da an veränderte sich mein Leben.«
Dieses Erwachen bewahrte sie nicht davor, dass ihr weiterer Weg steinig war. Nach ihrer Rückkehr nach Kapstadt fand sie einen Job als Reiseschriftstellerin und zog zu ihrer Zwillingsschwester. In den nächsten Jahren schien ihre Familie kaum zu bemerken, dass Vuyi immer mehr schlief, bis sie kaum noch etwas anderes tat. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, sich aufzuraffen und ihren Träumen zu folgen, die sie zu den Heilkünsten ihrer Vorfahren führten, sah Vuyi keinen Ausweg mehr und versuchte, sich das Leben zu nehmen. »Wir sind alle beschäftigt«, versuchte sie mir zu erklären, wie es so weit kommen konnte. »Das Leben läuft vor unseren Augen ab und wir wissen nicht, wie wir einander nah sein können, wie wir wirklich zuhören können.« Die Vorstellung, dass die selbstbewusste Frau vor mir in ihrer schmerzlichsten Stunde niemanden hatte, an den sie sich wenden konnte, lässt mich einen Moment lang verstummen. Bevor ich antworten kann, fährt sie fort: »Danach verbrachte ich zwei Wochen in einer psychiatrischen Klinik.«
Hier fand sie mit der Unterstützung einer großherzigen Krankenschwester die Kraft, um ihren eigenen Weg zu gehen. Nach einer Pflanzenzeremonie in der Woche nach ihrer Entlassung fühlte sich Vuyi völlig verändert. Am darauffolgenden Montag kündigte sie ihren Job (»Ich bin nicht daran interessiert, meine Seele zu verkaufen, sondern sie zu erweitern«, sagt sie lächelnd) und begab sich direkt zu einem Heiler in einem kleinen Dorf am Ostkap, um dort vier Monate lang zu leben. Dies war der erste Schritt einer dreiteiligen Einweihung in die indigenen Heilkünste. Trotz der vielen Helfer, denen sie auf ihrem Weg begegnete (Menschen, Tiere und Pflanzen), war es ein herausfordernder Prozess und unvorstellbar anstrengend. Und es kamen noch weitere Hürden hinzu: die Uneinigkeit ihrer Familie und ein allgemeines Gefühl der Scham und Geheimhaltung im Zusammenhang mit Spiritualität, die sie anfangs nur schwer abschütteln konnte. »Ich kämpfte mit Depressionen und hatte oft große Angst. Ich hatte nichts, woran ich mich festhalten konnte. Nichts. Ich war völlig durcheinander, sammelte aber gleichzeitig Kräfte, um das zu tun, was ich tun musste.«
Nach vielen Jahren und Zeremonien ist Vuyis Geschichte weit entfernt von einem Ende. Sie bleibt im Prozess der Verbindung von Geist und Wirklichkeit, der Heilung der durch Unsichtbarkeit und Armut verursachten Wunden. Heute arbeitet Vuyi Qubeka mit Menschen, um ihnen zu helfen, sich zu erinnern: Mit ihren Händen, mit intuitiver Berührung, Musik, Bewegung und Kunst versucht sie Wunden und Schmerzen (wie solche, die durch sexuelle Gewalt hinterlassen werden, wie sie es selbst erfahren hat) in Weisheit und unschuldige Freude zu wandeln. »Die Heilungsreise geht nicht dahin, wo die Menschen hingehen wollen, denn der Geist führt«, sagt sie mit einem Schulterzucken.
Als ich sie frage, welche Fragen sie heute bewegen, strahlt Vuyi über das ganze Gesicht. »Ich liebe diese Frage«, und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: »Wovor haben wir Angst? Was ist mit den Kindern? Was mit den anderen Menschen? Warum teilen wir nicht?« Ihre Fragen nehmen einen rhythmischen Charakter an, bis sie für einen Moment schweigt. Nur um noch eine letzte Frage in die Stille zu sprechen: »Atmest du?«