By clicking “Accept All Cookies”, you agree to the storing of cookies on your device to enhance site navigation, analyze site usage, and assist in our marketing efforts. View our Privacy Policy for more information.
Mit ihrem Ansatz der Donut-Ökonomie hat die Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth vielen Menschen veranschaulicht, dass ein ökologischer und sozialer Wandel möglich ist. Beides, eine gesunde Umwelt und soziale Gerechtigkeit, ist ihrer Ansicht nach nicht voneinander zu trennen.
evolve: Sie betonen, wie wichtig die Bilder, Modelle und Geschichten sind, die wir verwenden, um über die Wirtschaft zu kommunizieren und zu lernen. Wie kamen Sie dazu, sich mit der Bedeutung solcher Bilder zu beschäftigen?
Kate Raworth: Früher habe ich immer Ideen für mich selbst in Form von Zeichnungen skizziert. Als ich zum ersten Mal ein Diagramm sah, das Erdsystemwissenschaftler von den planetarischen Grenzen erstellt hatten, war ich berührt. Es zeigte unsere planetarischen und wirtschaftlichen Grenzen. In dieses Diagramm zeichnete ich einen weiteren Kreis innerhalb des vorhandenen Kreises. Das war die erste Version des Donuts, und wenn ich sie anderen zeigte, fanden sie die Idee sehr hilfreich. Sie meinten: »Dieses Donut-Diagramm bringt die soziale und ökologische Dimension zusammen. Beides ist wichtig, aber bis jetzt konnte ich das nicht in einem einzigen Bild darstellen.« Es schien viele Menschen zu ermutigen, die über neue Visionen für die Wirtschaft sprechen wollten.
Eine andere Form von Fortschritt
e: Welche generelle Idee steckt hinter Ihrem Ansatz, die Wirtschaft durch das Bild eines Donuts zu betrachten?
KR: Dieses Bild erfasst eine veränderte Form von Fortschritt. Der Fortschritt des 20. Jahrhunderts, der in jeder Politikerrede und jedem Wirtschaftsvortrag beschworen wird, heißt endloses Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Es ist eine endlose exponentielle Wachstumslinie, die nur aufwärts weist. Die Metaphern, die die Fortschrittsvorstellungen des 20. Jahrhunderts vermitteln, drehen sich um Wachstum, Zunahme, Akkumulation und Expansion. Das Donut-Diagramm führt demgegenüber ein Bild ein, das eine ganz andere Vorstellung von der Form des Fortschritts transportiert.
In der Mitte des Donuts befindet sich das soziale Fundament und an der Peripherie die ökologische Grenze. Wir müssen einen Weg finden, um jedem Menschen ein Leben in Würde, mit Chancen und in Gemeinschaft zu ermöglichen, bei dem gleichzeitig die planetarischen Grenzen nicht überschritten werden. Es gibt diese beiden Seiten einer Medaille, und wir müssen für ein dynamisches Gleichgewicht zwischen ihnen sorgen: den sicheren und gerechten Raum für die Menschheit finden. Diese Art des Fortschritts zeichnet sich also nicht durch ständig steigendes Wachstum, sondern durch ein dynamisches Gleichgewicht aus. Und das ist die Dynamik des Lebens. Die Gesundheit lebender Systeme entsteht aus ihrem Gleichgewicht.
»Die Gesundheit lebender Systeme entsteht aus ihrem Gleichgewicht.«
Das ist eine der großen Veränderungen, die das Bild des Donuts bewirkt. Wir leben zwischen zwei Arten von Grenzen: den sozialen Grenzen und den ökologischen. Aber ich glaube, dass Grenzen unsere Kreativität freisetzen. Stellen Sie sich Mozarts Musik auf einem Klavier mit einem Tonumfang von nur fünf Oktaven vor. Es sind die Grenzen des Klaviers, die uns anspornen, innerhalb dieser Grenzen kreativ zu werden. Und es sind die Torpfosten, die Fußball zu einem großartigen Spiel machen.
Mehr als Marktakteure
e: Der »Markt« ist ein Konzept, das größtenteils mit Abstraktionen arbeitet. Inwieweit beeinträchtigt dies unser Verständnis für die Lebendigkeit sozialer und ökologischer Lebensbereiche und deren Verflechtung – oder führt es sogar in die Irre?
KR: Die sozialen Auswirkungen dieser Herangehensweise bestehen darin, dass man uns sagt, wir seien ein rational handelnder Akteur der Wirtschaft. Dieser Menschentypus steht im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Denkens des 20. Jahrhunderts. Würden wir ein Porträt von ihm zeichnen, wäre er ein Mann, allein, mit Geld in der Hand, einem Ego im Herzen, einer Rechenmaschine im Kopf und die Natur zu seinen Füßen. Uns wird beigebracht, dass er durch Eigeninteresse, Konkurrenzbewusstsein und Kalkül erfolgreich geworden ist. Das Schockierende daran ist, dass Untersuchungen gezeigt haben, dass je mehr Studenten in ihrem Studium über diese Persönlichkeitsmerkmale des rationalen Wirtschaftsmenschen erfahren, desto mehr schätzen sie nach eigenen Aussagen diesem zugeschriebene Eigenschaften wie Eigennützigkeit oder Konkurrenzdenken und desto weniger finden Qualitäten wie Kooperationsfähigkeit oder Altruismus ihre Anerkennung. Die Modelle, die wir schaffen, formen uns also tatsächlich um. Wenn wir vom Marktdenken ausgehen, identifizieren wir uns mit Eigenschaften wie wettbewerbsorientiert und eigennützig. Wenn wir aber von Mitmenschlichkeit als Ausgangspunkt ausgehen, dann erkennen wir, dass wir das sozialste aller Säugetiere sind. Wir kooperieren, wir sind empathisch, wir teilen, wir arbeiten zusammen und – natürlich – konkurrieren wir auch, aber diese Eigenschaft ist dann eine unter vielen weiteren. Deshalb ist es so wichtig, die menschliche Natur zu kultivieren. Die erste Möglichkeit, das zu tun, besteht darin, unsere prosozialen Verhaltensweisen anzuerkennen.
In einem weiteren Diagramm, das ich erstellt habe, sehen Sie neben dem Markt auch den Staat, die Familie und die Allmende. Die Mainstream-Ökonomie sagt uns, dass wir Verbraucher oder Produzenten, Arbeiter oder Kapitaleigner sind. Das drängt uns in die Rolle des Konkurrenten und des Eigennützigen. Aber im Staat sind wir auch Einwohner, Beamte, Wähler und Protestler. Und im Haushalt sind wir Eltern, Kinder, Erziehungsberechtigte oder Betreuende. Und in der Allmende sind wir Mitgestaltende, Teilende, Instandsetzende und Begleitende.
Der Ausgangspunkt des Marktes schränkt also unsere Fähigkeit ein, uns in all diesen wertvollen Rollen wahrzunehmen. Wenn wir Workshops für Städte oder Gemeinden veranstalten, zeigen wir diese verschiedenen Rollen auf und laden die Menschen ein, sich selbst in ihrer ganzen Vielfalt zu beschreiben. ■
Das Gespräch führte Mike Kauschke für die Ausgabe 32/2021 – das gesamte Interview finden Sie auf evolve-world.org
Author:
Mike Kauschke
Share this article:
Related Articles:
The Hope We Find In The Unimagined Possibilities
Nora Bateson is the daughter of the systemic thinker Gregory Bateson. In continuation of his work she is researching our being and acting in the many contexts in which our lives take place. She also believes that we will only be able to understand the climate crisis properly if we take these many contexts of our individual and social lives into account.
Robin Alfred has lived in the eco-village of Findhorn in Scotland for many years. Now he applies what he learned about the power of listening and openness to greater intelligence in his work as a consultant in collective fields, and to find impetus for a new activism.