Der Klang des Wir

Our Emotional Participation in the World
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Kolumne
Published On:

January 23, 2023

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Ausgabe 37 / 2023
|
January 2023
Re-Generation
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Ich hatte vor einigen Jahren das Glück, mit Mohan Hirabai Hiralal zu sprechen, der in den letzten 25 Jahren in einem indischen Stammesdorf namens Mendha Lekha gearbeitet hat. Inspiriert zu seiner Arbeit in dieser Dorfgemeinschaft wurde Mohanbhai durch Ideen von Vinoba Bhave, der als spiritueller Nachfolger Mahatma Gandhis gilt.

Einer der wesentlichen Grundgedanken dabei war es, im Einverständnis ausnahmslos aller zu arbeiten. Dieser Prozess, »sarva-sehmati« genannt, führte zu einem Wandel im Dorf, der auch die Gründung einer wirtschaftlichen Allmende zur Folge hatte. Es war Mohanji, der zu mir sagte: »Wenn du dich auf diesen Prozess einlässt, kreierst du langsam ein anderes Wir. Und der Klang von diesem Wir ist sehr innig.«

In diesem Moment erkannte ich, dass es sich lohnt, diesen Weg einzuschlagen – eine Reise anzutreten, die auf die Stimme des kollektiven Wir hört, eine Stimme, die entsteht, wenn alle, die an dem Prozess beteiligt sind, einem Vorschlag zustimmen können. Ich beschloss, mich auf die Grundsätze von sarva-sehmati (was so viel heißt wie »mit dem Einverständnis aller«) zu stützen, wählte aber eine pragmatischere Version, nämlich sarva-anumati (»mit der Zustimmung aller«). Eine Zustimmung ist leichter zu erteilen als ein Einverständnis zu erzielen.

Der Prozess erscheint einfach, ist aber tiefgreifend. Jede in unserer Gruppe zu treffende Entscheidung wird als Vorschlag unterbreitet. Dieser Vorschlag wird in kleineren Kreisen vorbereitet, an denen sich jeder beteiligen kann. Dann wird er der Gruppe vorgelegt, die Einwände geltend machen kann. Wenn es solche Bedenken gibt, geht der Vorschlag zurück in den Kreis und wird dort weiter geprüft. Danach wird er der Gruppe erneut als Vorschlag vorgelegt.

Um die Voraussetzungen für einen derartigen Prozess in unserer Organisation zu schaffen, mussten wir einige Dinge ändern. Das Eigentum ging vom Gründer auf die Alumni über. Demzufolge gingen auch alle Vorteile der Organisation auf das Kollektiv über. Das Finanzierungsmodell musste von einer ausschließlich projektbezogenen Stiftungsfinanzierung auf Crowdfunding umgestellt werden. Denn die Bewegung sollte frei sein, ihre eigenen Wege zu gehen. Mit Ausnahme des Initiators waren alle Kräfte ehrenamtlich tätig. Die erste Entscheidung musste getroffen werden: die Entscheidung, von nun an alle Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Und das war viel schwieriger, als wir es uns vorgestellt hatten!

Indien ist eine kollektivistisch orientierte Kultur. Sarva-anumati macht sich diese Orientierung zunutze, erzwingt aber keine kollektive Einigung. Stattdessen erlaubt dieser Ansatz jedem Einzelnen, sich mit seiner eigenen Wahrheit zu verbinden, und schafft Raum dafür. Dadurch wird das Paradoxon der Individuation in einer kollektivistischen Kultur auf elegante Weise gelöst.

¬ JEDER VON UNS IST EIN AUSDRUCK DES EINEN GEISTES. ¬

Es entstanden lebhafte Diskussionen und Dialoge, in denen die Grundsätze für die Entscheidungsfindung vertieft werden konnten. Eine Entscheidung über die Verteilung der Chancen, die sich aus unserer Arbeit ergeben, führte uns beispielsweise zu den Grundlagen dessen, was es bedeutet, einerseits zu teilen und andererseits unsere eigenen Interessen zu wahren. Der endgültige Beschluss war eine nuancierte Entscheidung, auf deren Grundlage die Mitglieder nun gemeinsam an Chancen teilhaben. Der Weg zu diesem Prinzip war ebenso bereichernd wie das Ergebnis.

Die Mitglieder der Bewegung haben diesen Ansatz auch in anderen Bereichen ihres Lebens erfolgreich angewandt – etwa im Umgang mit ihren Eltern und in ihren intimen Beziehungen. Das Ergebnis war die Fähigkeit zuzuhören, sich mit Geduld zu engagieren und Vereinbarungen gewaltfrei zu treffen. Auf einer tieferen Ebene geht es um die Kultivierung eines Selbst, das sehr behutsam mit der Wirklichkeit umgeht und nicht mit ihr kooperiert, wenn sie nicht dem Wunsch des Herzens entspricht.

Diese Reise hat uns gutgetan, denn wir haben nicht nur ein gemeinsames Verständnis geschaffen, sondern auch ein reiches Feld von Beziehungen gewoben, das auf Liebe beruht. Denn zu sagen, dass wir uns umeinander kümmern wollen, ist eine Sache, während die tatsächliche Auseinandersetzung mit einer Person, bis eine gemeinsame Basis erreicht ist, eine ganz andere Sache ist.

Dies erfordert unser tiefes Zuhören mit dem ganzen Körper, unsere Präsenz und unsere Einstimmung auf die tieferen Schichten dessen, was gerade erforscht wird. Es ist eine Form der Wir-Raum-Praxis mit Inhalten, die unser kollektives Handeln und Sein hervorbringen. Die Verankerung in diesem Prozess führt schließlich zum Aufbau einer kollektiven Wirkkraft.

Dieser Arbeit liegt die tiefere Annahme zugrunde, dass wir alle Ausdruck des EINEN Geistes sind. Dass jeder von uns nicht nur einen Teil der Wahrheit oder eine Perspektive auf die Realität hat, sondern dass auch unsere Zustimmung die Zustimmung zu einem heiligen Teil des Ganzen ist. Wenn jeder Teil zustimmt, ist es der wahre Wunsch des GANZEN, der sich herausbildet. Und das, so glauben wir, ist tiefe Demokratie.

Das ist ein langer und kurvenreicher Weg, der nicht immer gelingt oder zu lange dauert. In unserer schnelllebigen Gesellschaft ließe sich ein solcher Ansatz nur schwer durchsetzen. Vor allem in einer Welt, die sich im Krieg mit sich selbst befindet: Wer hat da die Zeit, zutiefst demokratisch zu wirken?

Dennoch scheint es nur wenige andere Wege zu geben, die noch ausprobiert werden können. Ein zutiefst gewaltfreier Ansatz wie dieser absorbiert die Gewalt in ihren verschiedensten Erscheinungsformen. Vielleicht ist er nicht nur ein Weg der Ent­scheidungsfindung, sondern auch ein Weg zu einer friedlichen und gerechten Zukunft für alle.

Author:
Abhishek Thakore
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