Spiritualität trifft Psychologie

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Buch/Filmbesprechung
Published On:

October 19, 2016

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Ausgabe 12 / 2016:
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October 2016
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Eine Rezension des Handbuchs »Spiritualität und spirituelle Krisen«

¬ Was geschieht, wenn sich das Ich über die klassischen psychologischen Konzepte hinausbewegt? ¬

Wissenschaft und Spiritualität stehen hierzulande nicht unbedingt in einem freundschaftlichen Verhältnis zueinander. Für nicht wenige spirituell Interessierte ist die Rationalität die Wurzel vielen Übels (und Meditation ein Rückzugsort davor), während Empiriker dem Mystischen misstrauen, weil es sich nicht kategorisieren lässt. Das im renommierten Wissenschaftsverlag Schattauer erschienene Handbuch »Spiritualität und spirituelle Krisen« wagt hier einen Brückenschlag. Als Fachbuch möchte es Mediziner und Therapeuten für die Herausforderungen sensibilisieren, die sich ergeben, wenn Menschen durch ihre spirituelle Praxis an die Grenzen des Ichs stoßen. Dabei liefert es auch eine Momentaufnahme kulturellen Aufbruchs.

Immer mehr Menschen im Westen wenden sich der Spiritualität zu, als Ersatz für die brüchiger werdenden Bindungen an traditionelle Religionen oder als Oase des persönlichen Wohlbefindens. Und sie bewegen sich dabei in Bewusstseinsregionen, denen die Psychologie oft skeptisch, teils sogar völlig unvorbereitet gegenübersteht. Die transpersonale Psychologie, die seit den 1960er Jahren der Bedeutung des Spirituellen im Kontext psychischer Entwicklung nachgeht, wird von konventionellen Wissenschaftlern bis heute gerne als Parawissenschaft abgetan. Das wissenschaftliche Interesse an Meditation fußt vor allem in der erstarkten Neurowissenschaft, die die im Gehirn messbaren Wirkungen spiritueller Praktiken fokussiert, jedoch weniger die Feinheiten psychosozialer Ich-Entwicklung. Doch was geschieht, wenn das Ich sich in der Meditation über die klassischen psychologischen Konzepte hinausbewegt? Und wenn es sich im Neuland verirrt?

Wo in den östlichen Traditionen die Überschreitung der Ich-Grenzen in einen kulturellen Kontext eingebunden ist, der das Individuum durch die bewusstseinserweiternden Erfahrungen trägt, ist für viele Westler meditieren häufig etwas Privates. Transpersonale Erfahrungen, die das Selbstbild des personalen Ichs infrage stellen, können dann leicht verwirren oder gar verstören. Doch viele Therapeuten, in deren Praxen Betroffene Hilfe suchen, sind im Umgang mit spirituellen Krisen kaum oder gar nicht geschult, da die Thematik in den psychotherapeutischen Ausbildungscurricula bisher erst in homöopathischen Dosen ihren Niederschlag findet. Diese Lücke versucht das Handbuch zu schließen und liefert damit gleichermaßen Impulse zur Frage, welchen Stellenwert Spiritualität in der heutigen Lebenswelt haben kann.

Unter den Autoren finden sich zahlreiche progressive Stimmen, die in den vergangenen Jahren wichtige Grundlagenarbeit geleistet haben, das Wesen spiritueller Erfahrungen im Kontext individualistisch-moderner Lebensverhältnisse neu zu verstehen. Wulf Mirko Weinreich etwa stellt das integrale Bewusstseinsmodell vor und gibt Therapeuten damit einen Verständnisrahmen an die Hand, der eine Brücke schlägt von der konventionell-personalen Entwicklung zur spirituell-transpersonalen Dimension. Katharina Ceming geht der Frage nach, was eine zeitgemäße, gesunde Spiritualität auszeichnet und beleuchtet Schattenaspekte moderner Spiritualität. Im Beitrag von Ulrich Ott wird deutlich, wie schmal der Grat zwischen meditativer Erfahrung und pathologischer Störung sein kann und wie schwer es sowohl für spirituell Praktizierende wie auch für Therapeuten ist, Krisenereignisse richtig einzuordnen. Hier helfen auch die von Dorothea und Joachim Galuska beschriebenen psychodiagnostischen Vorgehensweisen und Behandlungsstrategien weiter, die sie in den von ihnen gegründeten Heiligenfeld-Kliniken erprobt haben.

»Während Wissenschaft vor allem äußere Erfahrung in Anspruch nimmt als Zugang zur Welt, wählt Spiritualität den Weg des inneren Erfahrungszugangs«, so der Psychologe und Philosoph Harald Walach. In diesem Buch finden beide Erfahrungsräume in einer fundierten Betrachtung zusammen. Damit ebnet es den Weg, Spiritualität nicht mehr als Gegenpol zum Alltag oder als Flucht davor zu verstehen, sondern als im Bewusstsein angelegte natürliche Bewegung, die immer mehr Menschen vollziehen. Ein wesentlicher Schritt von der Abgrenzung und Pathologie hin zu einer neuen kulturellen Dynamik. Oder, wie es der Zen-Meister Alexander ­Poraj treffend ausdrückt: »Der spirituelle Weg ist ein Lebensweg.«.

Author:
Dr. Nadja Rosmann
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