Miteinander in einer Welt

Our Emotional Participation in the World
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Kolumne
Published On:

October 19, 2017

Featuring:
Carlo Zumstein
Helene Prölß
Ingo Jahrsetz
Miroslav Volf
Wade Davis
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Issue 16 / 2017:
|
October 2017
Lichtblicke für eine verwundete Welt
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In der globalisierten Welt rücken wir immer näher zusammen, Abschottung wird immer schwieriger. Gleichzeitig treten durch diese zunehmende Nähe auch alte und neue Konflikte zutage. Wie können wir mit diesen Konfrontationen umgehen? Wir haben fünf Menschen, die sich für globale Verständigung einsetzen, gefragt:

Was brauchen wir für eine heilende globale Gesellschaft?

Miroslav Volf

Die Globalisierung hat Barrieren zwischen den Menschen eingerissen und sie in ein einziges großes Netzwerk integriert. Als Individuen, Gemeinschaften und ganze Nationen stehen wir nicht mehr allein, bewegen wir uns nicht mehr nur in unseren eigenen vier Wänden. Wir wurden in ein Geflecht wechselseitiger Abhängigkeiten geworfen und sind gezwungen, uns aufeinander zu verlassen und unter demselben politischen Regime zu leben. Wir können aus Beziehungen nicht aussteigen und müssen daher lernen, miteinander auszukommen. Tauchen dann die unvermeidlichen Konflikte auf, müssen wir versuchen, uns zu versöhnen. Sich versöhnen bedeutet, sich mit einer von Gewalt gekennzeichneten Vergangenheit zu befassen, um zu verhindern, dass diese Vergangenheit die Zukunft prägt.

Wir können, grob gesagt, drei grundsätzliche Bereiche unterscheiden, in denen Versöhnung stattfindet: politische, kulturelle und persönliche. Bei politischen Versöhnungen geht es um Situationen, in denen staatliche Akteure etwas Unrechtes getan haben, indem sie vor allem Menschenrechte verletzt haben (sowohl auf zwischenstaatlicher Ebene als auch innerhalb eines Staates). Kulturelle Versöhnung betrifft Situationen, in denen Gemeinschaften mit Personen als Mitglieder bestimmter ethnischer, kultureller und religiöser Gruppen in Konflikt geraten. Bei persönlichen Versöhnungen geht es um Situationen, in denen einzelne Personen, häufig Mitglieder derselben ethnischen, religiösen, kulturellen oder subkulturellen Gemeinschaft, untereinander zerstritten sind. Im Kontext der Globalisierung wird Versöhnung in allen drei Bereichen notwendig.

Prof. Miroslav Volf, Professor für Systematische Theologie an der Yale University und Direktor des Yale Center for Faith and Culture.

Wade Davis

Die Vielzahl von Kulturen in dieser Welt, mit ihren je eigenen Traditionen und Glaubenssätzen, ist kein fehlgeschlagener Versuch der Moderne – oder eventuell sogar von uns. Jede Kultur ist ein kreativer Ausdruck unseres kollektiven Genies, jede ist eine fundamentale Antwort auf die Frage: Was bedeutet es, menschlich und lebendig zu sein? Alle haben einen eigenen Anspruch auf die Wirklichkeit, aber keine ein Monopol auf den Weg zum Göttlichen. Jede Kultur hat etwas zu sagen und jede hat das Recht, gehört zu werden. Momentan wird die Hälfte aller Stimmen zum Schweigen verurteilt. Jede zweite Woche stirbt ein alter Mensch und nimmt die letzte Silbe einer alten Sprache mit ins Grab.

Es tobt ein Feuer auf der Erde, das Tiere und Pflanzen, überlieferte Fähigkeiten und visionäre Weisheit vernichtet. Auf dem Spiel steht ein großes Reservoir an Wissen und Expertentum, ein Kompendium von Visionen, eine mündliche und schriftliche Erzählung aus den Erinnerungen unzähliger Ältester und Heilerinnen, Krieger, Bäuerinnen, Fischer, Hebammen, Dichter und Heiliger – kurz gesagt der künstlerischen, intellektuellen und spirituellen Ausdrucksform der vollen Komplexität und Verschiedenheit menschlicher Erfahrung. Diese Flamme, dieses sich ausbreitende Inferno zu bändigen und eine neue Wertschätzung für die Vielfalt des menschlichen Geistes, wie er sich in diesen Kulturen ausdrückt, wiederzuentdecken, ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.

Wade Davis, Professor für Anthropologie und BC Leadership, Chair in Cultures and Ecosystems at Risk an der University of British Columbia und Fotograf.

Carlo Zumstein

Die Frage löst Fragen aus: Wer bin ich, dass ich die Einladung angenommen habe, in 200 Worten eine derart globale Frage zu beantworten? Wer sind wir, in deren Namen hier gefragt wird? Alle Menschen? Dann gäbe es für alle gleichermaßen wirksame Methoden, um eine heilere globale Welt zu schaffen und darin selbst heil zu werden? Global wirkende Heilmethoden, -techniken, globale Heiler? Gibt es eine globale Gesellschaft? Was macht uns dazu? Oder wäre eine globale Gemeinschaft die Heilung von Traumata, die durch die Medien täglich neu im Bewusstsein der Menschen abgelagert werden. Ist Globalität nicht v. a. digitale Vernetzung und Informationsaustausch? Zur Verfügung gestellt von weltumspannend wirkenden Technologie- und Wirtschaftsunternehmen, wie z. B. Google. Sie definieren, was global ist. Sie designen mein globales Bewusstsein und letztlich mein digital definiertes Menschsein. Fördert die Frage: »Was brauchen wir?« Bedürftigkeit und Begehrlichkeit: alles verfügbar, machbar, kontrollierbar?

Meine Frage: Leben Bäume ein Prinzip, das für jeden/jede von uns wegleitend sein kann? Bäume sind lokal verwurzelt und wirken mit an der Einheit der Natur. Mit diesem Prinzip hat die Natur auf dem ganzen Planeten erfolgreich eine Harmonie von Myriaden unterschiedlicher Lebewesen geschaffen. Lokal verwurzelt, global vereint – eine Haltung, innere und äußere Orientierung, ein Ansatz heilender Sinnfindung im Dasein.

Dr. Carlo Zumstein, Psychotherapeut, Gründer und Leiter der TAOB Foundation.

Helene Prölß

Im Grunde wünscht sich jeder, auf einer Welt zu leben, die friedlich und ohne Not ist. Dem Traum vom Paradies können wir uns nur nähern, wenn wir unseren aktiven Teil dazu beitragen. Das ist das Credo von »Manager ohne Grenzen«: Wir übernehmen ein kleines Stück Verantwortung für das, was wir können. Wir teilen mit anderen unser Wirtschaftswissen, um wirklich Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen. Konkret, praktisch, lösungsorientiert. In vielen benachteiligten Ländern dieser Welt gibt es wenig Aus- und Weiterbildung in grundlegenden Wirtschaftsthemen. Vieles davon ist aber elementar, um überleben zu können.

Und wir brauchen Verantwortung und Respekt im Miteinander, vor allem: den ehrlichen Umgang auf Augenhöhe. Das bedeutet ein Geben und Nehmen auf beiden Seiten. Nicht wir auf der nördlichen Hemisphäre wissen grundsätzlich, was besser ist. Im Gegenteil. Die Afrikaner, mit denen wir arbeiten, zitieren gern folgendes Sprichwort: »Euch Europäern wurde die Uhr gegeben, uns Afrikanern die Zeit.« Beides brauchen wir zu »seiner« Zeit. Es geht also nicht um Almosen, ums Betrachten des ganzen Negativen, was wir als ungerecht empfinden: die große Armut, ausgeliefert sein an äußere Umstände. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen – auf beiden Seiten. Große Lösungen dauern oft sehr lange. Kleine sind möglich, jederzeit und überall. Und helfen den Menschen nicht nur weiter in ihrem Kampf ums alltägliche Überleben. Sie bringen die Menschen auch näher zusammen. Und das ist gut so. Auch für Manager.

Helene Prölß, Diplom-Betriebswirtin, Gründerin und Leiterin der Stiftung »Manager ohne Grenzen«.

Ingo Jahrsetz

Wir brauchen Menschlichkeit. Was ist das? Dass wir uns im anderen selbst erkennen, gleichgültig welcher Kultur, welcher Religion, welcher Rasse er angehört. Mich im anderen zu erkennen, der friedfertig mit sich und anderen umgeht, ist relativ leicht. Wie kann ich mich jedoch im Folterer des Abu Ghraib Gefängnisses erkennen? Wie kann ich mich erkennen, wenn ein »Kämpfer« des IS mit unglaublicher Grausamkeit, sich selbst dabei darstellend Köpfe abschneidet oder Frauen vergewaltigt?

Ubuntu – ich bin, weil du bist. Diese afrikanische Weisheit wurde in den 1990ern berühmt, als sich Südafrika von der Apartheid trennte. In der South African Interim Constitution von 1993 heißt es: »Es gibt eine Notwendigkeit für Verständnis, nicht für Rache; eine Notwendigkeit für Wiedergutmachung, nicht für Vergeltung, eine Not für ›Ubuntu‹, nicht für Diskriminierung.« Im Fremden mich selbst zu finden, braucht Mut, individuell, kollektiv, spirituell. Es braucht Mut, den Kampf aufzugeben, der für westlich orientierte Gesellschaften basal ist. Es ist ein Kampf von »ich« gegen »du«, »ich« gegen »ich«. Wir haben alle Angst voreinander. Am meisten haben wir Angst vor uns selbst, Angst he­rauszufinden, wer wir wirklich sind.

Unsere größte Angst ist die Angst vor Frieden und Liebe. Was Liebe ist, ist nicht leicht zu verstehen. Wenn sie sich allerdings ausschließlich auf einen Menschen, eine Familie richtet, ist sie nicht viel wert. Achtung und Mitgefühl mögen auch die Ökologie des Planeten einbeziehen. In Liebe auch die Tiere einzubeziehen als Mitbewohner dieses Planeten (anstelle sie zu essen) – dies würde ein Evolutionssprung von Menschlichkeit sein. Was allerdings noch wichtiger ist, als Liebe zu verstehen, ist sie zu verwirklichen. Nur das kann die Angst verwandeln, die die Menschheit im Laufe der bisherigen Geschichten in ihrem Griff hielt. Heute ist es möglich, dass sich Angst in Liebe verwandelt. Mehr: Diese Heilung ist notwendig für das Fortbestehen allen Lebens auf diesem Planeten.

Dr. Ingo Jahrsetz, Psychotherapeut, Direktor des Internationalen Instituts für Bewusstseinserforschung und Psycho­therapie Freiburg e. V.

Author:
evolve
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