Wie wir Zukunftskompetenzen entwickeln
Erlernen Studierende heute das Wissen und die Fähigkeiten, um auf die Welt der Zukunft antworten zu können? Ralph Buchner, Professor für Design in München, ist der Ansicht, dass Zukunftskompetenzen erforderlich sind, die momentan kaum vermittelt werden. Vor Kurzem hat er zusätzlich eine Professur für Transformative Lehre angetreten und ist damit in der besonderen Lage zu erforschen, was diese neuen Kompetenzen und Lerninhalte sein könnten.
evolve: Wie entstand dein Interesse an Kreativität und Transformation?
Ralph Buchner: Schon als Student las ich 1988 Fritjof Capras Buch »Wendezeit«, in dem er den Paradigmenwechsel vom mechanischen zum holistischen Weltbild beschreibt, sowie Willis Harmans Buch »Higher Creativity«, in dem es um die Aktivierung des Unbewussten für den schöpferischen Durchbruch geht. Seit dieser Zeit interessiere ich mich für die Dynamik von Transformation, was durch eine tiefe mystische Erfahrung im Jahr 2012 noch verstärkt wurde. Durch den Neurostimulator Lucia N°03 habe ich erweiterte Bewusstseinszustände erfahren, die man mit denen unter LSD vergleichen kann. Durch starke Lichtimpulse wird man in eine Trance zwischen Schlafen und Wachen, in einen hypnagogen Zustand versetzt. Diese Methodik habe ich dann auch in der Fakultät für Design der Hochschule München ausprobiert. Mit meinen Studierenden untersuchte ich in zwei Forschungsprojekten, ob man mit solchen psychedelischen Erfahrungen kreative Prozesse anregen kann. Die Studierenden berichteten von einem Strom von kreativen Ideen nach diesen Sitzungen, einige beschäftigten sich auch mit Themen wie Psychologie oder Quantenphysik, die ihnen zuvor fremd waren. Einige beschrieben es so, dass eine Blockade weggenommen wurde und ihre Kreativität ins Fließen kam. Jetzt haben sie permanenten Zugang dazu. Dadurch und durch weitere Kreativitätstechniken sind beeindruckende Arbeiten entstanden, wie eine dreidimensionale, illustrative Darstellung der integralen Theorie Ken Wilbers, ein veganes Kochbuch für Bergsteiger, ein Workbook über Kunst als spiritueller Weg oder ein transparentes Buch mit Illustrationen von Lichtgottheiten. Andere arbeiten mit dem Medium Film, wie zum Beispiel ein Porträt von Extinction Rebellion, ein Animationsfilm über luzide Träume oder über Kochen als achtsames Erlebnis, wo die Protagonisten in Zeitlupe zu suggestiver Klaviermusik kochen.
e: Mit solchen erweiterten Bewusstseinszuständen möchtest du den Studierenden eine tiefere Kreativität eröffnen?
RB: Ja, es geht mir darum, bei den Studierenden Wahrnehmungsebenen jenseits des rationalen Verstandes anzusprechen. Ich will eine ganzheitliche Perspektive auf die Welt inspirieren und einen größeren Möglichkeitsraum eröffnen. Die Studierenden können so eine offene Betrachtung ihres Themas und ihrer Aufgabenstellung finden. Das sind wichtige Bedingungen für Kreativität. Sie blicken dann nicht nur von außen auf ihr Thema, in einer getrennten Wahrnehmung von Subjekt und Objekt, wie es die herkömmliche Wissenschaft tut, sondern sie können sich innerlich damit verbinden. In einer ganzheitlichen Perspektive werden der Betrachter und das Betrachtete eins, die Erkenntnis entsteht aus einer Erfahrung der Identifikation heraus. Dazu gehört auch, dass die Studierenden nicht nur den rationalen Verstand nutzen, um sich mit ihrem Thema zu beschäftigen, sondern auch Inspiration, Intuition und Imagination nutzen. Eine imaginative Betrachtungsweise denkt in Bildern und Formen, in der Inspiration kann ich mich emotional mit dem Thema verbinden und auch intuitives Gespür und Ahnungen berücksichtigen.
Nach den Projekten mit dem Neurostimulator suchte ich nach anderen Methoden, um solche tieferen Wahrnehmungsebenen zu erleben, wie zum Beispiel den U-Prozess von Otto Scharmer. Darin erleben die Studierenden nicht nur den rationalen Verstand, sondern auch die Herzintelligenz und eine noch tiefere intuitive Intelligenz. Um mit Scharmer zu sprechen: den offenen Geist mit Neugierde und der Fähigkeit, nicht sofort zu urteilen. Das offene Herz mit Empathie, der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und dem Gefühlssinn und der offene Wille, in dem sie den Mut finden, loszulassen und Neues kommen zu lassen. Zur Unterstützung nutze ich dabei auch verschiedene Meditationen und Dialogtechniken.
e: Du hast vor Kurzem auch eine Innovationsprofessur »Tranformative Lehre« übernommen. Was ist deren Inhalt?
RB: Die Schwerpunkte der Innovationsprofessur »Transformative Lehre« liegen in der Vermittlung der Fähigkeiten zu kreativem Denken, interdisziplinärem Dialog und verantwortlichem Handeln. Durch die Förderung der ko-kreativen Intelligenz, der Potenzialentfaltung, des schöpferischen Dialogs sowie der Persönlichkeitsentwicklung durch inneres Wachstum unterstütze ich die Studierenden dabei, zu Akteuren des gesellschaftlichen Transformationsprozesses zu werden. Ich bin zu 50 Prozent lehrbefreit und habe den Auftrag, diese Ansätze auch in andere Fakultäten zu bringen. Und zwar so, dass nach der fünf Jahre währenden Professur ein System besteht, das dieses Wissen und diese Praktiken weitergibt. Eine Idee ist die Gründung eines Transformation Lab.
ICH MÖCHTE BEI DEN STUDIERENDEN WAHRNEHMUNGSEBENEN JENSEITS DES RATIONALEN VERSTANDES ANSPRECHEN.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Arbeit in der Gruppe Futur4, die den interdisziplinären Dialog fördert. Dahinter steht die Idee, die Perspektiven aus vier Disziplinen zusammenzubringen. Als Designer bringe ich die künstlerische Perspektive ein, die Sozialwissenschaften vertritt Peter Dürr, der Sohn des Quantenphysikers Hans Peter Dürr, Georg Zollner ist BWLer und Nachhaltigkeitsbeauftragter der Hochschule München, Christian Holler bringt als Astrophysiker und Mathematiker die Naturwissenschaft ein. In diesem Forum widmen wir uns Fragen wie: Was ist die Lehre der Zukunft? Wie kommen wir aus dem Silo-Denken einzelner Fakultäten und Fachbereiche heraus? Wie können wir modellhaft zeigen, dass wir die Perspektiven aus vier unterschiedlichen Richtungen zusammenbringen, um produktiv etwas daraus entstehen zu lassen?
Durch meine 20-jährige Lehrerfahrung und die Projekte zur Erforschung der Kreativität ist mir klar geworden, dass wir in Zukunft Kompetenzen brauchen, die wir momentan in unserem Bildungssystem nicht vermitteln. Das sind »transformative Zukunftskompetenzen«, die für eine zivilisatorische Erneuerung und auch für eine Transformation des Bildungssystems meines Erachtens ausschlaggebend sind. Dazu gehören ganzheitliche Denkweisen jenseits der Trennung von Subjekt und Objekt. Daraus kann eine Verbundenheit mit dem Leben erwachsen, gewissermaßen eine globale Identität. Dann wird es notwendig sein, die getrennten akademischen Silos zu verlassen und über verschiedene Forschungsdisziplinen schöpferische Felder zu bilden. Und die standardisierte Bildung muss dem Fördern einzigartiger Potenziale weichen, in dem wir das Feuer der Kreativität im Menschen entfachen und hüten. Es geht also in der Bildung um eine Bewusstseinsentwicklung, durch die wir, glaube ich, in der Lage sein werden, auf die Herausforderungen der Zukunft angemessener zu antworten.
Das Gespräch führte Mike Kauschke.