Zum Tod des »Neue Arbeit«-Begründers Frithjof Bergmann
Wie könnte eine Welt aussehen, in der Menschen ihre Lebenszeit vor allem mit Tätigkeiten verbringen, die ihnen zutiefst am Herzen liegen? Wie eine Wirtschaft, die nicht nur Versorgung ermöglicht, sondern Menschen in ihrem Menschsein stärkt? Dass diese Fragen heute mit großer Selbstverständlichkeit in der breiten Öffentlichkeit, der Politik und sogar in Konzernen gestellt werden, ist nicht zuletzt dem Philosophen Frithjof Bergmann zu verdanken. Die von ihm begründete Bewegung »Neue Arbeit, neue Kultur« hat in den vergangenen Jahrzehnten mit ihrem Gegenmodell zur kapitalistischen Lohnarbeit zu einem Bewusstseinswandel beigetragen und indirekt auch den Boden für Ideen wie das Grundeinkommen, die Vier-Tage-Woche oder lokale Selbstversorgung bereitet.
Ich begegnete Frithjof Bergmann 2006 beim Heiligenfeld-Kongress »Der neue Geist in der Wirtschaft«. Aus Frustration über die erlebte Enge in der Berufswelt hatte ich meinen Job in einem Verlag hingeworfen und suchte nach neuen Zukunftsperspektiven. Bergmanns Frage nach dem, was wir »wirklich, wirklich wollen« traf mich mitten ins Herz. Sein Vortrag machte mir deutlich, dass ich nicht einfach einen besseren Job wollte, sondern eine andere Lebensweise suchte. Bergmanns Suchbewegung nach dem besseren Leben erwuchs aus seiner Lebenserfahrung. Geboren in Sachsen (am Heiligabend 1930) und aufgewachsen in Österreich, gewann er als Maturant mit einem Aufsatz zum Thema »Welt, in der wir leben wollen« einen Studienaufenthalt in den Vereinigten Staaten. Er blieb dort, schlug sich als Tellerwäscher, Preisboxer und Fließbandarbeiter durch und erlebte die Härten einer Arbeitswelt, in der der Mensch nur Mittel zu einem oft fragwürdigen Zweck ist. Getrieben von dem Wunsch nach Selbstermächtigung zog er sich für zwei Jahre als Selbstversorger in New Hampshire aufs Land zurück. Doch der Plan ging nicht auf. In Heiligenfeld erzählte Frithjof Bergmann, wie er sich einen großen Teil des Jahres dabei verausgabte, Holz für den Winter zu hacken. Er hatte einen Zwang durch einen anderen ersetzt, von Entfaltung immer noch keine Spur.
Er entschloss sich, in Princeton Philosophie zu studieren, gefolgt von einer Professur an der Universität von Michigan in Ann Arbor. Als General Motors in den frühen 1980er-Jahren in seinem Werk in Flint Massenentlassungen plante, kam Bergmanns große Stunde. Er gründete mit dem Automobilkonzern ein Zentrum für »Neue Arbeit«. Anstelle von Entlassungen arbeiteten viele Mitarbeiter nur noch in Teilzeit, um eine Einkommensbasis zu haben, und widmeten ihre übrige Zeit Betätigungen, die sie persönlich erfüllten. Die neue Arbeit wollte einer neuen Kultur den Weg ebnen. Neben einer Stärkung der Menschen strebte sie auch eine nachhaltige Veränderung der Wirtschaftsstrukturen an. Dem Philosophen schwebte vor, dass Menschen langfristig ein Drittel ihrer Zeit in Unternehmen arbeiten, ein Drittel der Selbstversorgung in lokalen Kontexten widmen und ein Drittel ihren persönlichen Leidenschaften. Damit war er seiner Zeit weit voraus, sodass das Projekt in Flint bis heute die einzige größere Umsetzung seiner Vision geblieben ist.#
UNSERE IDEE IST RADIKAL NEU, EIN ANDERER BEGRIFF VOM MENSCHSEIN.
Frithjof Bergmann
Doch mit seiner Frage nach dem, was wir »wirklich, wirklich wollen«, hat er etwas in Bewegung gesetzt. Wenn heute in agilen Unternehmen oder Co-Working Spaces von »Purpose« gesprochen wird, fällt meist auch Bergmanns Name. Dass viele seiner Fans, oft aus der Berater- oder Technologie-Branche, aus seiner Idee ein schlichtes Wellness-Programm machen, bereitete ihm Unbehagen, denn ihm ging es um Transformation – der Menschen und der Gesellschaft im Ganzen. An Pfingsten verstarb Frithjof Bergmann in Ann Arbor im Alter von 90 Jahren. Die große Zeit für sein Vermächtnis ist womöglich gerade erst gekommen. Heute, wo 3D-Drucker erschwinglich sind, Urban Gardening Landwirtschaft in die Städte bringt und Do-it-yourself ein Trend ist, haben wir die praktischen Mittel, die Blaupause, die er uns hinterlassen hat, mit sinnvollem Leben zu füllen. Wir können die menschlichen Freiräume schaffen, von denen Bergmann träumte, wenn wir sie »wirklich, wirklich wollen«.