Bilder als Beziehung

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

November 6, 2020

Featuring:
Ulrich Naumann
Categories of Inquiry:
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Issue:
Ausgabe 28 / 2020:
|
November 2020
Der Sinn des Lebens
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Diese Ausgabe von evolve gestalteten wir mit Arbeiten des Künstlers Ulrich Naumann. Wir sprachen mit ihm über das Anliegen seiner Kunst.

evolve: Wodurch sind Sie zur Malerei gekommen?

Ulrich Naumann: Nach dem Abitur wollte ich Kunst studieren, hatte sogar einen Platz an einer Kunsthochschule. Letztlich bekam ich jedoch kalte Füße, da ich sehr unsicher war, ob ich mit Kunst wirklich mein Geld verdienen kann. Ich habe dann Ingenieurwissenschaften studiert und bin zu einem großen amerikanischen IT-Konzern gegangen. Nach 30 Jahren gab es die Chance, über Altersteilzeit schon mit 60 in Rente zu gehen – das war die Gelegenheit, mich vollständig meiner alten Passion Kunst zu widmen. Ich habe dann drei Jahre lang an einer Kunstschule die Grundlagen der Acrylmalerei gelernt, aber auch schon eine eigene Technik entwickelt, wie ich Collagen in einer völlig neuen Art mit Acrylmalerei verbinde.

e: Wie gestaltet sich Ihre Arbeitsweise?

UN: Es war bereits immer mein Wunsch, abstrakte Malerei und Fotografie zusammenzubringen. Bei der traditionellen Collagetechnik werden Fotos lasierend übermalt, wodurch die Fotos viele Details und ihre Farbigkeit verlieren. Ich bedrucke per Laserdruck hauchdünnes, handgeschöpftes Papier vom Maulbeerbaum, wobei ich die Fotos vorher mit Photoshop stark abstrahiere. Mit einem speziellen Kleber trocknen diese Collagen völlig transparent auf, sodass nur noch das bearbeitete abstrahierte Foto sichtbar bleibt und das unter der Collage befindliche Acrylbild vollständig durchscheint. Durch dieses neue Verfahren bekommen die Collagen eine enorme Farbtiefe und Detailtreue. Es ist dadurch auch recht einfach möglich, Bilder zu personalisieren. Gleich am Anfang meiner zweiten Karriere als Künstler habe ich eine neunteilige Serie von Szenen aus dem Ballettstück »Ballett Roulette« des hessischen Staatstheaters umgesetzt. Zur ersten Präsentation waren auch alle Tänzerinnen und Tänzer dabei – und der Erlös wurde für Jugendarbeit am Theater gespendet.

e: Gibt es eine bestimmte Wirkung beziehungsweise Stimmung, die Sie beim Betrachter auslösen möchten?

MIR IST ES WICHTIG, DASS MEINE BILDER EINE POSITIVE RESONANZ IM RAUM ERZEUGEN.

UN: Wenn man gute abstrakte Acrylbilder malen will, muss man sich vollständig von der Vorstellung lösen, wie das Bild letztlich aussehen soll. Man kann nur die Farben vorab wählen. Farben werden sehr impulsiv aufgetragen, ohne lange nachzudenken. In der zweiten Phase wird das Chaos auf der Leinwand reduziert, indem große Teile einfach übermalt werden. Dann folgen viele Arbeitsgänge – oft mit unterschiedlichen Werkzeugen. Lasierende Schichten ergeben im Laufe der Entstehung immer wieder Blicke frei auf darunterliegende Schichten, was dem Bild spürbare Lebendigkeit verleiht. Ganz zum Schluss setzte ich dann eine oder auch mehrere Collagen ein, die das Bild akzentuieren und natürlich auch eine Aussage geben sollen.

e: Diese Ausgabe des Magazins beschäftigt sich mit der Sinnfrage. W­orin liegt für Sie der Sinn in der Kunst?

UN: Im Idealfall löst das Gefühl beim Betrachten eines Bildes, dieser erste, unvermittelte Eindruck, etwas bei uns aus und berührt uns, erzeugt eine Resonanz. Ich benenne meine Arbeiten oft nach Songs, die eine Stimmung erzeugen, die ich mit meinem Bild verbinde. Ich finde es oft amüsant, welche Deutungen Kunsthistoriker bei Bildbesprechungen in die Bilder legen und ich frage mich dann, ob der Künstler wirklich diese Aussage machen wollte. Meine Bilder findet man nicht in Sammlungen, sondern in Privathaushalten und da ist es wichtig, dass meine Bilder eine positive Resonanz im Raum erzeugen und den Besitzer jeden Tag aufs Neue erfreuen. Eine kürzlich entstandene »Corona-Serie« habe ich »Lost at FraPort« benannt. Es hat mich fasziniert, wie einzelne Reisende in völlig verwaisten Abflughallen umherirren – das war eine wirklich kafkaeske Situation. Diese Stimmung erfreut den Betrachter natürlich nicht, ist aber die neue Realität.

e: Hat die Kunst Ihnen persönlich einen neuen Sinn eröffnet?

UN: Unbedingt! Früher hatte ich viel Stress, und dadurch gesundheitlich jede Menge Stress-Symptome. Heute geht es mir gesundheitlich viel besser, ich koche gerne und verbringe viel Zeit mit Freunden und der Familie. Mein Netzwerk aus Künstlern in der von mir gegründeten Galerie »art2you«, das Vorbereiten von Ausstellungen und der Kontakt zu den kreativen Menschen aus der Kunstszene sind für mich heute eine große und, ja, auch sinn­stiftende Bereicherung.

Author:
Mike Kauschke
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