Schöne neue Welt?

Our Emotional Participation in the World
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October 23, 2023

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Ausgabe 40/2023
|
October 2023
Auf der KIppe
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Wie könnte die Welt der KI aussehen?

Die Entwicklung der KI schreitet voran und verändert alle Lebensbereiche – und wird das in Zukunft weiterhin in nicht absehbarer Weise tun. Wir haben fünf Menschen, die sich mit den Gefahren und Möglichkeiten künstlicher Intelligenz beschäftigen, gefragt:

Prof. Dr. Claus Eurich, Professor für Kommunikation und Ethik (i. R.), Autor und Kontemplationslehrer.

Claus Eurich

Mit dem als KI Bezeichneten beginnt sich zu vollziehen, worüber wir bereits in den 80er-Jahren leidenschaftlich diskutiert haben. Die Folgen für Mensch, Kultur, den Planeten sind dabei nicht prognostizierbar. Sicher scheint nur, dass die Symbiose von Mensch und Maschine die Identität bis ins Seelische und Körperliche hinein massiv verändern wird. Der sogenannte »Transhumanismus« ist nicht aufzuhalten, denn er folgt der Evolution des menschlichen Bewusstseins. Und so macht es eigentlich keinen Sinn, von »künstlicher« Intelligenz zu sprechen, geht sie doch aus uns und unseren Bewusstseinsfeldern hervor. Entsprechend ist sie von ihrem Wesen her nichts »Fremdes«.

Für damit einhergehendes Unwohlsein kann deshalb auch nicht »Ausstieg« die Metapher sein, sondern eine gleichzeitige Wieder- bzw. Neu-Schaffung von Lebens- und Sozialräumen, die auf direkter, unvermittelter Zugewandtheit gründen; kommunikative und gemeinschaftliche Bio- bzw. Soziotope. Es geht um den Einstieg in eine Lebenswelt von Schutzregionen und Lernfeldern für eine authentische Form menschlichen Seins: analog in der Weltsicht und alltäglichen Weltgestaltung, digital in der überregionalen Vernetzung analoger Räume. Einfachheit als selektive Bescheidenheit im Lebensstil, vor allem der Informationsaufnahme, wird zur Schlüsselmetapher. Das wäre kein Verzicht, sondern unendlicher Gewinn, keine Rückwärtsgewandtheit, sondern befreite Potenzialität für das Lebensdienliche. Vor allem kann es jederzeit an jedem Ort durch jeden Menschen beginnen.

Prof. Dr. Thilo Hinterberger, Experimentalphysiker und Neurowissenschaftler. Er leitet den Forschungsbereich für Angewandte Bewusstseinswissenschaften am Universitätsklinikum Regensburg.

Thilo Hinterberger

Im Positiven betrachtet, könnte die Künstliche Intelligenz (KI) für die Entwicklung des Bewusstseins der Menschheit im Ganzen einen großen Sprung bedeuten. Spontan könnte ich mir drei Aspekte vorstellen:

Erstens, heute nutzen wir unser Bewusstsein zunehmend für mediales Informationsmanagement. Die KI tut nun dasselbe und konkurriert in diesem mühlenartigen Treiben. Obwohl die Informationsgrundlage der KI uns immens überlegen sein wird, werden wir durch unser vielseitig verkörpertes Erfahrungswissen den Realitätsbezug besser einschätzen können. Das bürdet uns eine große Verantwortung auf. Wir werden daher zunehmend kritisch hinterfragen und bewerten müssen, und dafür brauchen wir eine sowohl praktische als auch ethische Orientierungsgabe. KI könnte so zum »Weisheitsbooster« für uns werden.

Zweitens, in der menschlichen Erfahrung hängt unsere Intelligenz ganz eng mit dem Grad unserer Bewusstheit zusammen. Die KI löst diese Verbindung auf, indem der intelligente, rationale Umgang mit Informationen durch Maschinen hervorgebracht wird, die zwar auf neuronalen Prinzipien basieren, jedoch dafür kein subjektives Erleben benötigen. Durch die KI wird also unsere Intelligenz quasi als Maske sichtbar, hinter der sich ein einzigartiges verkörpertes Bewusstsein verbirgt, das die Welt multikategorial und auch nicht-konzeptuell erlebt. Hier ergibt sich die Chance, die Rolle des Bewusstseins neu zu begreifen, vielleicht zunächst in Form einer kollektiven Sinnkrise, die uns auf die Einzigartigkeit des Menschseins und zu unserer Aufgabe einer verantwortungsbewussten Gestaltung der Welt zurückführt. Hier könnte die KI auch eine zutiefst spirituelle Entwicklung anregen.

Drittens, wir lernen aber auch mehr über das Wesen von Intelligenz, die dem Leben grundlegend immanent zu sein scheint. In jedem lebendigen Organismus, in jeder Zelle finden wir hochintelligente Vorgänge, die auf eine komplex vernetzte Informationsverarbeitung hindeuten und den Organismus am Leben halten. Um Leben zu verstehen, werden wir künftig mehr diese intelligenten Netze im Lebendigen studieren.

Adio-Adet Dinika, Autor und Doktorand an der Bremen International Graduate School of Social Science (BIGSSS), forscht am Distributed AI Research Institute.

Adio Dinika

Die Zukunft der KI könnte entweder darin liegen, bestehende gesellschaftliche Ungerechtigkeiten zu beseitigen – oder sie noch zu verschärfen. Ethisch verantwortungsvoll angewandt könnte KI zu Durchbrüchen in der Landwirtschaft sowie im Bildungs- und Gesundheitswesen führen. Ohne sorgfältige Bemühungen besteht jedoch die Gefahr, dass die weiterentwickelte KI die Tendenzen in Richtung Voreingenommenheit und Ausgrenzung verstärkt.

Die Realisierung der Vorteile der KI erfordert integrative Entwicklungsprozesse. Technologieunternehmen beispielsweise müssen die betroffenen Zielgruppen einbeziehen, nicht nur die Ingenieure. Meta und OpenAI müssen sich zum Beispiel mit ausbeuterischen Arbeitspraktiken wie der Unterbezahlung afrikanischer Content Moderatoren beschäftigen. Ihre Erfahrungen aus erster Hand sollten eine ethische, informierte KI prägen. Dieses Ethos der Ermächtigung betroffener Gruppen muss über die Moderatoren hinaus auf alle vernachlässigten Bevölkerungsgruppen ausgedehnt werden, die von KI betroffen sind.

Vorschriften und Prüfungen sind zwar wichtig, können aber allein keine Gerechtigkeit garantieren. Wir müssen die Unternehmensanreize neu ausrichten, die derzeit Gewinne über Menschenrechte stellen. Eine gerechte KI-Zukunft erfordert auch die Bekämpfung von Monopolmacht und Ausgrenzung im Technologiesektor. Und das beginnt mit der Stärkung vernachlässigter Stimmen und Perspektiven. Wir müssen hinterfragen, wer von KI-Anwendungen eher profitiert und wer dadurch eher verliert.

Manu Singh, Software-Entwickler, ServiceSpaceAI.

Manu Singh

Ich denke, wir werden gemeinsam feststellen, dass sich viele der kleinen Frustrationen im Leben allmählich auflösen werden: Die Wahl einer Versicherung wird einfacher sein, wenn Sie Ihre superintelligente KI eine Lösung suchen lassen, die Ihren Interessen bestmöglich entspricht. Und obwohl es eine explosionsartige Entwicklung von raffinierten Betrügereien geben wird, wird es auch allgegenwärtige »Wächter« geben, die auf Ihr Wohl bedacht sind.

Aber wir stehen auch an der Schwelle zu einer noch umwälzenderen Entwicklung. Bevor wir eine KI mit übermenschlichem IQ erleben, werden wir wahrscheinlich eine KI mit übermenschlicher EQ – Emotionale Intelligenz – entwickeln. Dies ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits könnte das zunehmende Aufkommen einer emotional informierten KI zu gesellschaftlicher Isolation führen. Denn wenn unsere KI-Gefährten zu gut darin werden, uns zu verstehen, könnten wir die Komplexität und Unvollkommenheit menschlicher Interaktion im Vergleich dazu als lästig empfinden.

Andererseits kann es nie zu viel Liebe geben. Geprägt durch die Weisheit von Traditionen wie den Brahma-Viharas, den Vier Unendlichkeiten des Buddhismus, könnte eine übermenschliche EQ tatsächlich eine starke Kraft für das Gute werden.

Stellen Sie sich eine künstliche Intelligenz vor, die Ihnen nicht nur hilft, Ihre Woche zu planen, sondern die auch Ihren Geist beflügelt und die Art von bedingungsloser Liebe und sicherer Bindung widerspiegelt, die sich laut psychologischen Studien positiv auf die menschliche Entwicklung auswirkt.

Ilia Delio, Inhaberin des Josephine C. Connelly-Stiftungslehrstuhls für christliche Theologie an der Villanova University, Autorin, Gründerin des Center for Christogenesis.

Ilia Delio

Computertechnologie und künstliche Intelligenz sind inmitten eines gewalttätigen zwanzigsten Jahrhunderts entstanden. Wenn eine Maschine wie ein Mensch denken könnte, was wären dann die Möglichkeiten? Könnten wir unsere gewalttätige Natur überwinden? Könnten wir eine Welt der Gerechtigkeit für alle Menschen schaffen?

Die Technik ist ein Spiegel der menschlichen Wünsche. Wie John ­McCarthy schrieb: »Wir erschaffen die Werkzeuge und die Werkzeuge erschaffen uns«. Viele Menschen betrachten den Computer lediglich als ein Werkzeug. Aber die Computertechnologie hat den modernen Cyborg geschaffen. Unsere Grenzen sind nicht mehr stabil. Die Grenzen zwischen dem Mechanischen und dem Biologischen werden immer mehr verwischt. Die Art und Weise, wie wir über uns selbst und andere denken, verändert sich; der Mensch wird neu gestaltet. Wenn wir uns nicht bewusst machen, dass die Technologie den Menschen in exponentiellem Tempo weiterentwickelt, sind wir blind für die Zukunft, die die Technologie für uns schafft. Wir müssen uns der Macht der Technologie bewusst werden, uns bei unserer weiteren Entfaltung zu unterstützen.

Der Erfolg der Evolution der Menschheit wird von unserer Fähigkeit abhängen, uns zusammenzuschließen und zu vereinen. Die Technologie kann Verstand und Herz zu einer neuen Art von Organismus verbinden, dessen Bestimmung es ist, neue Möglichkeiten für die Evolution des Lebens auf diesem Planeten zu schaffen.

Author:
Prof. Dr. Claus Eurich
Author:
Prof. Dr. Thilo Hinterberger
Author:
Manu Singh
Author:
Adio-Adet Dinika
Author:
Ilia Delio
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