Gott als Beziehung

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Interview
Published On:

July 17, 2023

Featuring:
Richard Rohr
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Issue:
Ausgabe 39/2023
|
July 2023
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Eine Theologie der Dreifaltigkeit

Richard Rohr ist einer der bekanntesten Erneuerer der christlichen Botschaft aus einer Mystik heraus, die in Leben und Lehre des Heiligen Franziskus von Assisi wurzelt

evolve: Sie sagen, wir müssen Gott als Beziehung verstehen. Welche Bedeutung hat das für Ihr Verständnis des Göttlichen?

Richard Rohr: In der klassischen jüdisch-christlichen Schöpfungsgeschichte, besonders in Genesis 1, 26 – 27, werden zwei plurale Pronomen benutzt. Dort heißt es: »Lasst uns nach unserem Bilde erschaffen.« Zwei plurale Pronomen – »wir« und »uns«. Und dies erscheint auch in Genesis 18 und sogar im Buch Hiob (1, 6 ff.), wo Gott erscheint und als Plural benannt wird – als ein Rat, als eine Kommunion, als Freundschaft. Somit sind alle Hinweise vorhanden, wenn man sie finden will. Aber dann kommt Jesus und spricht besonders im Johannes-Evangelium mit voller Überzeugung: »Ich und der Vater sind eins, ich komme vom Vater, ich kehre zum Vater zurück, ich bringe euch den Geist, ich habe den Geist, der Vater sendet den Geist.« Deshalb findet man das Wort Dreifaltigkeit nicht im Neuen Testament. Dreifaltigkeit bedeutet, dass Gott als das SEIN selbst gedacht wird, als die Energie zwischen den Teilchen – und nicht die Teilchen selbst, wie in einem Atom. Aber bis vor Kurzem konnten wir uns das nicht vorstellen. Also konzentrierten wir uns auf die Teilchen, die drei »Personen«, wie wir sie nannten – ich benutze das Wort Teilchen, weil ich an ein Atom denke, das ein Spiegel der Dreifaltigkeit ist, mit dem Elektron, dem Neutron und dem Proton, die in der Sprache der Atomphysik »verbunden« sind. Die Bindung macht ein Atom zu einem Atom, und doch besteht die Bindung zwischen drei Hauptteilchen. Wir können also sagen, dass sich unsere Fähigkeit, uns die Dreifaltigkeit »vorzustellen«, in der heutigen Zeit stark entwickelt hat – von den alles durchdringenden Gesetzen der Schwerkraft zu den Umlaufbahnen der Himmelskörper, zum Blutkreislauf aller Säugetiere, der Fotosynthese der Pflanzen bis hin zur Vorstellung eines vollkommen auf Beziehung basierenden Universums, in dem wir Ökosysteme finden.

Wenn Freude entsteht

e: Der Gott der Christen ist dadurch gekennzeichnet, der liebende Gott zu sein. In Ihrem Buch »Der Göttliche Tanz« schreiben Sie, dass es Gott genüge, ein Gott zu sein, um ein guter Gott zu sein, aber Gott müsse mindestens zwei sein, um ein liebender Gott zu sein.

RR: Ein schottischer Mönch im Paris des 11. Jahrhunderts, Richard von St. Victor, sagte: »Wenn Gott ein Gott ist, kann er als gut erkannt werden, aber die Güte ist nicht beweglich, es sei denn Gott ist mindestens zwei – es muss einen Gebenden und einen Empfangenden geben.« Dann führt er weiter aus und sagt: »Damit Gott Freude, Entzücken, Glück oder Schönheit sein kann, muss er drei sein, denn Freude entsteht, wenn zwei Personen gleichzeitig hingebungsvoll dasselbe bestaunen.« Man sieht die augenscheinliche Parallele zu zwei Eltern, die entzückt sind über ihr neugeborenes Baby, was sie zu einer völlig neuen Ebene von Gemeinsamkeit bringt. Das könnte das »dritte Etwas« oder der Geist sein, der genau die Energie zwischen dem Vater und dem Sohn ist.

»Liebe ist die wahre Gestalt des Seins.«

Die Dreifaltigkeit gibt uns zudem einen direkten Weg, um die Bedeutung von Liebe zu erklären. Der Mystiker St. Bonaventura vergleicht die Dreifaltigkeit mit einer sprudelnden Quelle oder einem Wasserrad: Stellen wir uns drei sich entleerende Eimer vor, sich völlig leerend in den anderen. Der andere Eimer nimmt auf, was ihm gegeben wurde und gießt es in den nächsten Eimer – und dieses Wasserrad stoppt niemals, ein unendliches Überfließen, ein unendliches Sich-selbst-Leeren, in eine Richtung. Es gibt kein Zurückfließen und damit keinen Raum für Zorn oder Nichtliebe. Damit finden wir die christliche Grundlage der allumfassenden Liebe. Du kannst nicht gefüllt werden, es sei denn, du leerst dich selbst und machst Raum für den anderen. Unglücklicherweise kennen wir in der westlichen Zivilisation nur die Hälfte dieser Botschaft: Meine Frau sollte mich füllen, mein Freund soll mich füllen, Gott soll mich füllen. Aber parallel dazu wird wenig gelehrt, dass man sich selbst entleeren muss, dass man Hingabe, Loslassen, Vertrauen und Zulassen finden muss. Zur zentralen Frage der Liebe bietet uns die Dreifaltigkeit ein grundlegendes Bild, das die Liebe richtig definiert und ein fast metaphysisches Verständnis der Wirkungsweise der Liebe gibt. Man kann nur gefüllt werden, wenn man sich vorher entleert hat. Wir müssen Raum machen für die Liebe. Jesus nannte dies die »Armut im Geiste« (Mt. 5, 3), die Buddhisten nennen es Leerheit, die Muslime Hingabe und in der spirituellen Psychologie heißt es Loslassen.

Die Fülle des Seins

e: Gott als Dreifaltigkeit und Liebe in dieser Weise zu begreifen, verändert auch das Subjekt. Gewöhnlich verstehen wir Liebe in Beziehung zu uns, Liebe empfangen und Liebe geben, weshalb wir nicht verstehen, worum es bei unendlicher Liebe geht. Aber wenn Liebe das Zentrum von allem ist, verändert es das Subjekt. Wenn Liebe das Zentrum von allem ist und wir uns darauf beziehen können, dann können wir daran teilhaben und erkennen, dass wir niemals von ihr getrennt waren. Das ist eine ganz andere Beziehung zur Liebe, weil es nicht um mich geht, sondern um die Liebe selbst, die das ganze Universum zusammenhält.

RR: Ja, genau. Gott ist kein Wesen, das gelegentlich liebt, wenn wir es wert sind. Liebe ist die wahre Gestalt des SEINS. Oder wie Teilhard de Chardin, der französische Jesuit und Wissenschaftler sagte: »Liebe ist die materielle Struktur des Universums.« Das sehen wir im Gravitationsgesetz, in allen elektromagnetischen Feldern, in allen verbundenen Elementen, in der Sexualität – darin gibt es diesen Zauber und diese Anziehung zwischen allen erschaffenen Dingen. Das ist eine grundlegende Erkenntnis, die das Christentum schon immer beinhaltete, es wusste nur nicht, wie man darauf aufbauen konnte. Im Herzen jedes geschaffenen Wesens gibt es einen Kreisel der Liebe, der sich selbst ewig bewegt, sich erneuert und das LEBEN kreiert! ■

Das Gespräch führte Thomas Steininger für die Ausgabe 13/2017 – das gesamte Interview finden Sie auf evolve-world.org

Author:
Dr. Thomas Steininger
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