Gemeinsam auf der Reise zum Wesentlichen

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

February 2, 2024

Featuring:
Alexandra Mann
Dalai Lama
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Issue:
Ausgabe 41/2024
|
February 2024
Leben, Tod
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Die Initiative »Weltkloster«

Das »Weltkloster« ist eine Initiative, die geistliche Repräsentanten verschiedener Religionen in einem dialogischen Raum zusammenbringt. Alexandra Mann leitet, gestaltet und begleitet die Initiative seit ihrer Neuausrichtung im Jahr 2008.

evolve: Sie arbeiten seit 15 Jahren mit Geistlichen aus unterschiedlichen Religionen in dialogischen Räumen zusammen. Welche Praktiken haben Sie in dieser Zeit als besonders unterstützend für den Dialog erlebt?

Alexandra Mann: In unserer Arbeit orientieren wir uns an klassischen klösterlichen Tagesabläufen. Das heißt, wir gehen gemeinsam durch die kontemplativen Praktiken der geistlichen Vertreter und kommen zu bestimmten Gebetszeiten zusammen. Dabei passen wir den genauen Rahmen immer der eigenen Praxis der Geistlichen an. Neben gemeinsam gestalteter Meditations- und Gebetspraxis gibt es dann Dialogeinheiten zu bestimmten, originär geistlichen Themen, zu denen wir vergleichend einen gesellschaftspolitischen und interreligiösen Bezug herstellen möchten. Hierzu zählen vor allem Zugänge zu Gerechtigkeit, Demut, Toleranz und Mitmenschlichkeit.

Besonders unterstützend erlebe ich in der Arbeit auf monastischer Ebene die innere Verwurzelung und Festigkeit der Teilnehmenden, ihre Verwurzelung in der Spiritualität. Es ist etwas Universelles, zu dem man sich gemeinsam auf die Reise macht. Wenn Menschen in diesem Geist und mit dieser Haltung zusammenkommen, passiert etwas.

e: Können Sie das genauer beschreiben? Was passiert in diesen dialogischen Prozessen?

AM: Auf individueller Ebene ist es so, dass die Geistlichen allein aus dem Interesse am anderen heraus auch ihren eigenen Weg anders sehen lernen. Jeder, der an unseren Dialogen teilnimmt, ist jemand, der sich auf dem Weg versteht und der sich darüber bewusst ist, dass er nur einen Teil der Wahrheit für sich gefunden hat.

Aus diesem Bewusstsein entwickelt sich eine Neugierde, eine Begeisterung und oft auch eine Freundschaft. Man entdeckt gemeinsam eine Tiefe und eine Bereicherung für den eigenen Weg und auch für die Gemeinschaft, aus der man kommt.

So entsteht eine tiefe Verbundenheit zwischen den Geistlichen. Sie wird getragen von einer Art und Weise zu diskutieren, die den anderen stehen lassen kann und ihn nicht missionieren möchte, und sie wirkt wie eine große Kraft auf unser Umfeld. Jede innere Arbeit hat eine Auswirkung auf unser Feld und das, was im Außen passiert. Es ist das, was jenseits der Worte ist, das wirkt.

e: Welche innere Haltung ermöglicht diese Art von Dialog?

AM: Ganz entscheidend für das Gelingen dieser Art des dialogischen Miteinanders ist die innere Absicht der Teilnehmenden. Jedem geht es darum, sich in Wertschätzung zu begegnen, seine eigene Tradition zu erhalten und das Heilsame, das wir jetzt brauchen, in einer konstruktiven Art und Weise in die Welt zu transportieren. Dafür braucht es eine starke innere Verwurzelung und eine Offenheit, so dass der eigene Glaube zu einer Quelle wird, die immer wieder von Neuem sprudelt. Ich muss dazu bereit sein, mich zu entwickeln und immer neue Impulse aufzunehmen. Das, was dann bleibt, ist der Kern. Das Schöne ist, dass so niemand etwas zugunsten eines anderen aufgeben muss, sondern dass etwas Gemeinsames, eine Verbundenheit entsteht und sich Haltungen annähern.

e: Sie öffnen diese dialogischen Räume dann auch immer wieder für das öffentliche Publikum. Welches Anliegen haben die Menschen, die zunächst nur als Zuhörer zu Ihren Veranstaltungen kommen?

AM: Oft sind es Menschen, die schon religiös sind, aber möglicherweise damit hadern. Einige sind aus der Kirche ausgetreten und wollen dennoch etwas für das ethische Miteinander tun. Sie beschäftigen sich ich mit Themen wie Religion, interreligiösem Dialog und dem Weltgeschehen und sind auch gesellschaftspolitisch interessiert. Und manchmal sind es auch einfach Menschen aus der Umgebung, die zufällig von uns hören und neugierig werden. Manche kommen dann über uns wieder mit ihrer eigenen kulturellen Prägung, dem christlichen oder benediktinischen Weg in Berührung.

e: Welche Rolle kann ein Netzwerk wie das Weltkloster in der globalen Gesellschaft spielen?

AM: Wir möchten unsere Arbeit mit den Geistlichen fortführen und das, was dort entsteht, einem breiteren Publikum zur Verfügung stellen. Dabei geht es nicht um das Vermitteln von Erkenntnissen, sondern um die Art und Weise der Interaktion, das dialogische Aufarbeiten von gewissen Themen. Durch die gegenseitige Wertschätzung und das »Stehen-Lassen« des Gegenübers und seiner Ansichten werden Ängste abgebaut.

Die Debatten in der Politik und Öffentlichkeit sind oft verkopft. Dann sackt es bei den Menschen nicht hinunter in die Gefühle. Es geht darum, unter Einbeziehung unserer Emotionen etwas Heilsames entstehen zu lassen.

Durch unsere kontinuierliche dialogische Arbeit erzeugen wir ein Feld, das zurück in die Gemeinschaften und Herkunftszentren der Menschen wirkt und zu Frieden beiträgt. Der Dialog der Spiritualitäten birgt enormes Potenzial, das stärker verwirklicht werden muss. Denn es liegt gerade in der Tradition der Spiritualitäten, dass Menschen ihren eigenen inneren Weg gehen und nach außen nicht so sehr sichtbar sind. Es geht da­rum, die Herzensmenschen, die in dieser Weite denken und agieren, zusammen-zubringen. So entsteht eine große Kraft.

»Entscheidend für das Gelingen des dialogischen Miteinanders ist die innere Absicht der Teilnehmenden.«

e: Welche Rolle spielt der Netzwerkgedanke dabei?

AM: Unser Selbstverständnis als Netzwerk symbolisiert, dass wir kein Haus sind, das einer bestimmten Glaubensrichtung angehört. Wir arbeiten mit Zentren unterschiedlicher Religionen zusammen. Ob wir bei ihnen zu Gast sind oder deren Vertreter zu uns ins Europakloster einladen, ist nicht so relevant. Was uns zusammenführt, ist der gemeinsame Geist, in dem wir unterwegs sind. Das führt uns zu Menschen, die auch so arbeiten und wirken möchten wie wir. Wir bleiben in kontinuierlichem Kontakt und schauen, wie das Heilsame und Friedensfördernde, was in den Religionen stets so wichtig war und über Jahrtausende hin entwickelt wurde, erhalten bleibt und fruchtbar gemacht werden kann – für das, was jetzt gebraucht wird.

e: Der gemeinsame Weg zu Gott oder dem großen Geheimnis ist in Ihren Dialogen ein Bezugspunkt, der Verbundenheit schafft, die man im Politischen oder im Gesellschaftlichen nicht so leicht voraussetzen oder finden kann. Was kann man Ihrer Meinung nach aus diesem Kontext für gesellschaftliche Dialoge lernen?

AM: Die Strukturen, in denen ein Mensch aufwächst, bestimmen oft das, was er auch später noch braucht. So ist es nicht die Ideologie, der sich Menschen anschließen, sondern es sind die Strukturen in dieser Ideologie, für die sie dann plötzlich empfänglich sind. Menschen, die keinen Halt haben und denen Fürsorge gefehlt hat, sind damit für extremistische Richtungen erreichbar. Ein Verstehen und Wissen, wie diese Art von Psychologie funktioniert, erscheint mir essenziell, um polarisierenden Strömungen etwas entgegensetzen zu können.

Wir müssen viel mehr mit den Menschen um uns herum in Beziehung gehen und heilsame Felder entstehen lassen. So wirken wir demokratiefeindlichen Strömungen entgegen.

Der Dalai Lama schreibt, dass Ethik wichtiger sei als Religion, und er geht davon aus, dass jeder Mensch einen naturgegebenen spirituellen Kern in sich trägt. Es geht darum, diesem Kern im prozesshaften Miteinander und wohlwollenden Austausch Raum zu schenken, verschiedene interessierte Menschen einzubeziehen und darüber zu berichten. Wir sollten mehr Dialoge dieser Art in der Öffentlichkeit initiieren und uns dafür einsetzen, dass dem Thema Spiritualität generell mehr Bedeutung beigemessen wird.

Author:
Julia Wenzel
Author:
Mike Kauschke
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