Der Brautpreis

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

July 18, 2019

Featuring:
Dr. Elizabeth Debold
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Ausgabe 23 / 2019:
|
July 2019
Was das Geld mit uns macht
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Die Macht der Vermarktung und unsere menschlichen Werte

Was bin ich wert? Diese Frage stellte sich für Frauen in früheren Zeiten anders als heute, aber was die Sichtweise des Westens nach der Moderne verbindet, ist der verdinglichte Blick auf den Menschen und insbesondere die Frauen. Eine Dynamik, an der wir alle – Männer und Frauen – mitwirken. Welche Alternativen gibt es, um unseren wahren Wert zu finden und gemeinsam zum Ausdruck zu bringen?

I n Stammeskulturen und traditionellen Gesellschaften hatten Bräute einen Preis. Ich weiß nicht, wie die Praxis der Mitgift zustande kam, aber die Menge der Ziegen, des Goldes, des Getreides oder anderer Gegenstände, die der Familie des Ehemannes überreicht wurde, zeigten den Status der Braut an und sicherten den Wohlstand seiner Familie. Viele Märchen begannen damit, wie hart es für einen Mann war, viele Töchter zu haben, weil er für jede von ihnen eine Mitgift zu zahlen hatte. Ohne Zweifel war das mit ein Grund, warum Mädchen und Frauen als weniger wertvoll angesehen wurden. Auch heute, in unserer materialistischen globalen Kultur setzt sich der Druck auf die armen Familien fort, die zukünftigen Familien der Ehemänner mit teuren Konsumgütern zu versorgen. Das führte zu dem Horror der Verbrennungen junger Frauen, die starben (manchmal angeblich nur durch einen unglücklichen Küchenunfall), weil sie nicht genug in die Familie einbrachten.

Man ist versucht zu denken, wir im aufgeklärten Westen hätten diese Bräuche hinter uns gelassen. Doch nicht so schnell! In der Zeit meiner Mutter existierte Brautgeld in diesem Sinn nicht mehr, doch die Frauen übernahmen diese Praxis und veränderten sie. Sie brachten ihre eigene Mitgift in die Ehe ein. Während ihrer Jugendzeit begann die junge Frau mit der Vorbereitung ihrer »Aussteuer«, eine große Truhe wurde gefüllt mit handbestickten Betttüchern, handgenähten Bettdecken, handgefertigter Tischwäsche und ähnlichen wertvollen Dingen, die sie mit in ihre Ehe brachte. Sie demonstrierten nicht nur ihren Wert durch die Handarbeit, sie waren auch Ausdruck ihrer Hoffnung auf ein wohlhabendes, bürgerliches Leben.

Doch wenn ich heute über den Brautpreis nachdenke, meine ich etwas ganz anderes. Die Frauen selbst sind ein Wertgegenstand geworden. Auf den ersten Blick scheint dies positiv – und historisch gesehen mag es auch ein Fortschritt gegenüber der Forderung nach Brautgeld sein – aber ich sehe es überhaupt nicht positiv. Die »Verdinglichung« von Frauen – von menschlichen Wesen – bedeutet, sie zu Waren zu machen. Dies ist ein zutiefst verstörender Aspekt unserer Kultur im Spätkapitalismus. Und das Problem ist, so scheint es mir, dass viele Frauen sich an dieser Verdinglichung beteiligen; sie denken, das bedeutet, eine Frau zu sein. Für diejenigen unter uns, die über die Konsequenzen einer Welt besorgt sind, in der man Wert und Preis miteinander verwechselt, ist es auch dringend notwendig, die Rolle der Frau in dieser Warenkultur und die Art und Weise, wie Männer hier mitspielen, in Frage zu stellen. Frauen haben hier eine kritische Rolle bei der Erneuerung unserer Welt und ihrer Werte.

Zwei Währungen

Ich spreche, wie so oft, über Männer und Frauen. Das mag irritierend sein. Über wen (oder was) rede ich? Ich untersuche die Funktion und die Rolle, die beide Geschlechter – die beiden an der Fortpflanzung beteiligten – innerhalb einer Kultur spielen. Kulturen sind vielfältig. Sie verändern sich über die Zeit und unter unterschiedlichen Umständen. Natürlich hat jeder einzelne Mensch – männlich oder weiblich – Wünsche, Motivationen und Fähigkeiten, die es ihm oder ihr ermöglichen, diese kulturellen Funktionen und Rollen in neuer Weise zu verkörpern. Aber es ist dieser größere Kontext, in dem Sehnsüchte geschaffen werden. Unser Sinn für Werte und unser Sinn dafür, was gut ist, wird durch unser Verständnis davon getragen oder beschränkt, was es bedeutet, Mann oder Frau zu sein.

Die Geburt der Moderne – die vor ungefähr fünfhundert Jahren begann und über die letzten dreihundert Jahre sich voll entwickelte – schuf zwei verschiedene Wertesphären, eine für Männer und eine für Frauen. Dies markierte auch den Beginn der kapitalistischen Wirtschaft; aber damals entstand auch eine zweite Ökonomie, wie es die Literaturtheoretikerin Nancy Armstrong in »Desire and Domestic Fiction: A Political History of the Novel« beschreibt. Eine Ökonomie handelte von Geld und die andere Ökonomie handelte von weiblichen Tugenden.

FRAUEN SELBST SIND EIN WERTGEGENSTAND GEWORDEN.

Durch den Roman verbreitete sich das christliche Ideal der tugendhaften Frau in unserer westlichen Kultur: keusch, fromm, bescheiden, sparsam, klug, fürsorglich, gutmütig, selbstlos. Zahlreiche Frauen des Mittelstands übernahmen die häusliche Welt, die im Mittelalter ein Ort der ökonomischen und sozialen Macht war, als ihre Domäne. Das Heim schützte und kultivierte auch die traditionellen christlichen Werte, diese angeblich unbezahlbaren Werte der Kultur. Derweil schufen Männer die moderne Welt der Lohnarbeit, des Kapitals, der Aktienmärkte und Unternehmen ebenso wie die sozialen und politischen Institutionen zu deren Unterstützung – wie zum Beispiel die Demokratie, die Presse und den Nationalstaat. Die Werte der Geldökonomie waren alles andere als christlich: Wettbewerb, Leistung, Bemessung, Status, Aneignung und Innovation definierten die Moderne. Die Ehe war die Verbindung dieser beiden Ökonomien.

Diese feminisierten christlichen Ideale wurden die Vorlage für Generationen von Frauen, die ihren Wert durch die Verkörperung dieser Ideale demonstrierten; sie wurden von einem Mann als Ehefrau ausgewählt. Er zahlte die Rechnungen. Er kam für das Zuhause auf. Tatsächlich sollte es einen Zusammenhang zwischen beidem geben: eine Frau mit höheren Tugenden »verdiente« einen Mann mit mehr Geld. Die Werte der Welt des Geldes maßen so den Wert der Frau.

Der Tauschhandel unter dem Schleier

Ich bezeichne die Beziehung, die der westlichen Liebesgeschichte zugrunde liegt, bewusst als Tauschhandel. Das (wortwörtlich) Aufregende an der Liebesheirat ist, wie geschickt sie uns von dem kalten Tauschgeschäft ablenkt, das sich unter ihrem magischen Funkeln verbirgt. Mit etwas Abstand betrachtet, ist der Tausch von Tugend gegen Wohlstand hoch problematisch. Güte wird so zu einem marktfähigen Gut. Sie ist die Währung der Frauen, um sich ein gutes Leben zu »verdienen«. Nicht nur, dass diese Gleichsetzung zu einer entsetzlichen Verzerrung der weiblichen Sexualität und Spiritualität führt, sie bringt Frauen in eine moralisch fragwürdige Position. Die kulturellen Bedenken zeigen sich auch in zahllosen Geschichten über Frauen, die sich einen reichen Mann »angeln«, oder die Geschichten über die »Prüfung« der Reinheit der Liebe einer Frau. Steckt unter dem Schleier der errötenden Braut in Wirklichkeit ein manipulatives Weib?

Geschichten über heuchlerische Frauen – wie Madame Bovary – waren durchgehend Teil des Kanons der Moderne. In der Postmoderne veränderte sich die Moral der Geschichte. Der Nervenkitzel und das Herzklopfen der romantischen Brautwerbung basieren auf der Tabuisierung des Sexes vor der Ehe. Romantische Liebe wurzelt im unerfüllten sexuellen Begehren. Auch ist die erklärte Jungfernschaft das größte Vermögen der zukünftigen Braut; sie muss locken, darf sich aber nicht verführen lassen. Heute sind Sex und außereheliches Zusammenleben alltäglich und Frauen verdienen ihr eigenes Geld. Die romantischen Rituale, die das Herz der westlichen Kultur waren, haben viel von ihrer Kraft verloren, das Gegenstück der harten Realität einer Kultur zu sein, die von der Suche nach Geld getrieben ist.

Die Konsumnatur der Ware

Was jedoch geblieben ist – es ist sogar noch stärker geworden –, ist die Selbstverdinglichung der Frauen. Sie wurde durch die materialistische Konsumkultur und durch die sozialen Medien sogar noch ausgeweitet. Dies ist keine Opfer-Geschichte: In diesem Prozess der Selbstverdinglichung liegt auch eine Quelle von Macht. Vom 18. bis zum 20. Jahrhundert konnte sich eine junge intelligente Frau an die Ideale der Zeit anpassen und sich so die Mittel für ein besseres Leben verdienen. Ich meine das nicht zynisch, jeder Mensch formt sich selbst nach den Narrativen und Vorgaben der eigenen Kultur. Aber für Frauen wurde dieses »Verdinglichen« oder Selbstvermarkten ein aktiver und andauernder Aspekt der Identität, der bis heute hartnäckig anhält.

Schauen wir in all die Frauenmagazine und deren endlose Angebote ständiger Selbstverbesserung. Wie viele Produkte braucht eine Frau, um weiblich zu sein? Wie oft ist die Selbstdarstellung einer Frau damit verbunden, etwas zu kaufen? Die traditionellen Werte, die einst die Währung einer Frau waren, wurden durch den Wert ihrer Kaufkraft ersetzt: Die Kraft, verschwenderisch zu sein, zu shoppen, und sich ständig und immer verfeinerter selbst zu inszenieren und zu verbessern – was dann häufig frisch und hübsch verpackt dem Publikum via Instagram präsentiert wird. Die Milliarden-Dollar-Glamour-Industrien – Kosmetik, Mode, Nagelstudios, Schönheitschirurgie, usw. – wuchsen in den letzten Jahrzehnten immer mehr an. Das Verhältnis der Frauen zu den Konsumgütern ist eine Form, wie Frauen bei der Verdinglichung mitwirken: Sie brauchen unnötige Kleidung, und Binge-Shopping ist eine weit verbreitete Möglichkeit für Frauen, sich selbst zu belohnen – sie kaufen sich Dinge und inszenieren sich damit in den sozialen Medien. Das Innenleben und der Selbstwert wurzeln jetzt nicht mehr in den christlichen Werten, sondern in der Fähigkeit, Dinge zu besitzen und damit elegant oder sexy zu erscheinen – oder was immer gerade in Mode ist. Deshalb werden Kauforgien für relativ nutzlose Konsumgüter auch als »Einkaufstherapie« bezeichnet.

IM PROZESS DER SELBSTVERDINGLICHUNG LIEGT AUCH EINE QUELLE VON MACHT.

Die Aushöhlung der häuslichen Werte

Es gibt einen Zusammenhang zwischen der verdinglichten Frau, die man kaufen kann, und der Entwicklung der modernen Konsumkultur. Die häusliche Sphäre, welche die Domäne der Frauen war, wurde in der Moderne zum Ziel der Produktion von Konsumgütern. Wie »Bloomberg« schreibt, »… wenn die Konsumökonomie ein Geschlecht hätte, wäre sie weiblich,« denn Frauen haben – aufgrund einer Kombination von Kaufkraft und Mitbestimmung – einen Einfluss auf »70 bis 80 Prozent aller Konsumenteneinkäufe«. Weltweit summiert sich die Einkaufskraft von Frauen auf mehr als 20 Billionen Dollar – wobei ungefähr 171 Milliarden Dollar von Frauen der Millennial-Generation ausgegeben werden. Sarah Auer, eine Mitarbeiterin der Marktforschungsfirma Nielsen, nennt dies »die ›Feminisierung des Geldes‹, bei der heutige und zukünftige Frauen bereit sind, ihre ökonomische Kraft einzusetzen – und nicht nur in traditionellen Bereichen der Frauenwaren«

Deutsche Frauen tätigen mehr Anschaffungen als Frauen in anderen entwickelten Ländern in Bereichen wie Elektrogeräte (17 %), Autos und Hauselektronik (14 %), Versicherungen (19 %) und Familienfinanzen (22 %). Der Wert der Frauen ist nicht mehr länger verbunden mit ihrer Fähigkeit, Fürsorge auszudrücken und das Herz der westlichen Kultur zu verkörpern, heute besteht ihr Wert durch das Bargeld, das sie ausgeben können.

Die Geldwirtschaft hat die weiblichen Werte übernommen – und mit jedem Jahr wird es schlimmer. Als Frauen ins Arbeitsleben wollten und mussten, wurden die Aspekte des Lebens, die vermeintlich unbezahlbar waren – die Ernährung und die Erziehung der Kinder oder die Pflege der Älteren, menschliche Verbindungen und Intimität, ein Zugehörigkeitsgefühl – zunehmend umgewandelt in Dienstleistungen und »ausgelagert« an andere, die für unsere Herzensarbeit sehr schlecht bezahlt werden. Dieser gefräßige Prozess der Ökonomisierung vermischt Wert mit Preis und entwertet die wertvollsten Aspekte des Lebens.

Ich will nicht die Uhr zurückdrehen und die zukünftigen Bräute »zurück an den Herd« schicken. Ich suche nach einem Weg für Widerstand. Frauen und zunehmend auch Männer: Können wir der Anziehungskraft und den Versprechungen der Selbstverdinglichung widerstehen? Es würde wirklich etwas bewirken, wenn Frauen ihre Kaufkraft als Ausdruck ihrer tieferen Werte verwenden – anstatt Dinge zu konsumieren, einfach um sich besser zu fühlen. Männer können die Frauen hierbei unterstützen: Können wir das Echte mehr wertschätzen als Plastik? Natürlich sind auch Männer nicht immun. In Verkaufsjobs verkaufen Männer (und Frauen) ihre Persönlichkeit, um ein Image des Erfolgs zu kultivieren. Können wir – jede/r für sich und gemeinsam im Dialog – unsere menschlichen Werte von den Marktwerten unterscheiden? Und können wir in unserem Leben mehr Raum für diese menschlichen Werte schaffen? Wir müssen das Vermarktungsmonster sabotieren und enttarnen, weil es unsere Menschlichkeit in Geld verwandelt. Das ist keine Kleinigkeit, es geht um den Kern unseres gesellschaftlichen Systems, in das wir eingebettet sind. Aber vielleicht können wir Räume schaffen, zu zweit, in kleinen Gruppen oder Gemeinschaften, wo unsere tieferen Werte wie Fürsorge und Verbundenheit die wahre Währung in unserem Leben sind.

DIE GELDWIRTSCHAFT HAT DIE WEIBLICHEN WERTE ÜBERNOMMEN.

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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