Die Armut des Reichtums

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Essay
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July 18, 2019

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Ausgabe 23 / 2019:
|
July 2019
Was das Geld mit uns macht
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Wie wir dem Geld wirklich eine Seele geben

In der postmodernen Spiritualität haben Geld und Geist zu einer neuen Allianz gefunden: Eine Spiritualität des Reichtums ist populär, die uns suggeriert, es hänge nur von unserem Denken ab, wie viel auf unserem Konto ist. Wirklich?

S ind Sie reich? Entschuldigen Sie diesen etwas unmittelbaren Einstieg, aber wie schnell haben Sie bei dieser Frage an Geld gedacht? Das allein ist eine aufschlussreiche Erkenntnis. Mir fällt als Antwort zunächst einmal Geld, viel Geld, ein. Das ist unsere Prägung. Unsere Kultur hat Reichtum, Wohlstand und Fülle so sehr mit Geld verbunden, dass es schon etwas bewusste Ausrichtung braucht, um weiter und tiefer zu denken und zu fühlen. Denn was heißt es eigentlich, reich zu sein? Oder genug zu haben? Dies war auch immer die Frage einer mystischen Spiritualität, die uns mit der Fülle des Seins vertraut machen will, die dem Leben und unserem Bewusstsein in ihrer Tiefe innewohnen.

Verkünder des Reichtums

Nun hat sich in den letzten Jahrzehnten auch eine postmoderne Spiritualität etabliert, die dem finanziellen Reichtum sehr wohlgesonnen ist. Wenn ich mit spirituell interessierten Menschen über Geld spreche oder im Rahmen der Recherche für diesen Artikel die Suchbegriffe Spiritualität und Geld eingebe, bekomme ich als Antwort oft eine Geschichte zu hören, die in etwa so lautet: »Ob du reich oder arm bist, entscheidet dein Bewusstsein. Wenn du Gedanken des Reichtums denkst, wenn du denkst, dass du viel Geld bekommen wirst und dafür bereit bist, dann wird es in dein Leben kommen. Du wirst es manifestieren. Das ist das kosmische Gesetz der Anziehung.«

Es gibt eine schier unendliche Schar von Verkündern (und Verkäufern) dieser Reichtums-Spiritualität. Ihre Bücher heißen »So denken Millionäre«, »Geld ist nicht das Problem, sondern du« oder »Das liebe Geld: Sei nett zu ihm, dann ist immer bei dir«. Und auf YouTube rufen mir diese Reichtums-Propheten zu: »The more spiritual you are, the richer you can and should be« (T. Harv Eker) oder »It's Spiritual to be Rich« (Kate Northrup). Northrup erklärt zum Beispiel in einem Video mit dem Titel »The Law of Attraction and Money«, dass wir uns selbst für finanzielle Fülle bereit machen können (whiring ourselves for abundance), sodass, egal, was in der Welt und in der Wirtschaft – Naturkatastrophen oder Finanzkrisen eingeschlossen – geschieht, wir immer wohlhabend sein werden. Als Beispiel für jemanden, dem das meisterhaft gelingt, nennt sie Donald Trump, der mir nun nicht gerade wie ein spirituelles Vorbild erscheint. Auch wenn sie dies vor Trumps Präsidentschaft gesagt hat und dieses Beispiel ein Ausrutscher sein mag, beschleicht mich bei diesen Predigten über den Reichtum doch ein ungutes Gefühl.

Die Religion des Mehr

Viele der großen spirituellen Visionäre wie Jesus, Buddha und Franziskus haben einen Weg der Armut gelehrt – wie kommen nun die Propheten der Reichtums-Spiritualität dazu, finanziellen Reichtum als den Ausdruck spiritueller Entwicklung anzupreisen? Diese Ideen sind wohl nur verständlich, wenn wir sie eingebettet sehen in die Entwicklung einer individuellen Spiritualität und des New Age, die sich oft als Weiterführung mystischer Weisheitstraditionen sehen. Eine Grunderfahrung dieser spirituellen Weisheit ist die von der Einheits-Beziehung zwischen unserem subjektiven Bewusstsein und der objektiven Wirklichkeit. Kurz gesagt: Mein Bewusstsein hat einen Einfluss darauf, wie ich dem Leben begegne und wie ich es erlebe. Die Erfahrung dieser Nichtgetrenntheit vom Leben wird innerlich als befreiende Fülle erfahren, als ein Erwachen zur Ganzheit. Es ist diese innere Fülle-Erfahrung, auf die beispielsweise Buddha hindeutet, wenn er von äußerer oder materieller Armut spricht.

Ein Kennzeichen des New-Age-Denkens ist es, spirituelle Weisheit wie die von der Nichtzweiheit von Bewusstsein und Wirklichkeit oder der inneren Fülle des Seins aus ihrem philosophischen und ethischen Kontext zu lösen, dem Individuum und seinen Wünschen unterzuordnen und es ihm verfügbar zu machen. So kommt man zu der Annahme, dass wir allein durch die Ausrichtung unserer Gedanken gleichsam die Wirklichkeit unseres Lebens »steuern« oder »erschaffen« können. Diese »spirituelle« Erkenntnis müssen wir nur verinnerlichen, dann können wir manifestieren, was wir wollen. Und wenn du es noch nicht geschafft hast, dann bist du eben nicht spirituell genug. Hier schaut hinter dem lächelnden Gesicht der spirituellen Reichtums-Verkäufer die Grimasse einer gnadenlosen Schuldideologie hervor. Und auf einem »Spirituellen Marktplatz« werden mystische (Halb)Wahrheiten, Übungen und Versprechen zum Teil der kapitalistischen Erzählung: Das Glück liegt in deiner eigenen Hand, du musst nur die Regeln des Spiels kennen und umsetzen und so wirst du erfolgreich sein.

WAS HEISST ES EIGENTLICH, REICH ZU SEIN?

Kapitalismus und Spiritualität werden hier auf einen Nenner gebracht. Und da Geld die Triebkraft des kapitalistischen Wirtschaftens ist, wird es zur »Energie«, die dem Individuum für seine Zwecke zur Verfügung steht. Bis hin zu der Gleichung: »Wenn du viel spirituelle Energie hast, dann hast du auch viel Geld.« Dahinter steht die Dynamik der »toxischen Denkweise des Mehr«, wie es Lynn Twist nennt, die Autorin von »Die Seele des Geldes« – eine quasi-religiöse Heilsformel, die wir nicht mehr hinterfragen.

Dabei werden systemische, globale, soziale, politische und ethische Kontexte ebenso aus dem Blick geschoben, wie die Tatsache, dass unser Wohlstand auf der strukturellen Armut eines Großteils der Weltbevölkerung basiert. Genauso wird damit impliziert, dass finanziell arme Menschen selbst für ihren Zustand verantwortlich sind. So wird diese Form des spirituellen Denkens zu einer systemerhaltenden Kraft in einer Welt, in der acht Super-Milliardäre genauso viel Geld haben wie 3,6 Milliarden der ärmsten Menschen.

Und auch, wenn solche Superreichen ihr Geld spenden, ändert sich nichts am zugrundeliegenden Wirtschaftssystem. Da greift ein psychologisch-spiritueller Ansatz zu kurz. Auch Lynn Twist, die viel dafür getan hat, dass Reiche ihr Geld sinnvoll einsetzen, scheint hier den kapitalistischen Denkrahmen nicht vollends zu durchbrechen.

Die Schöpferkraft befreien

Bei alldem kommt mir die Frage, ob sich eine solche ReichtumsSpiritualität irgendwo anders als im kapitalistischen Westen hätte entwickeln können. Denn im Kern steht das Individuum. Uns selbst wird eine fast gottgleiche schöpferische Macht zugesprochen: Durch Gedanken, kann ich die Wirklichkeit verändern; durch »Bestellungen beim Universum« Profite anziehen; durch innere Transformation von einem »Armuts-Bewusstsein« zu einem »Reichtums-Bewusstsein« Geld »manifestieren«. Aber wer bin ich, wenn meine Gedanken die Macht haben, die Realität zu verändern und mich finanziell reich zu machen? Bin ich dann nicht gottgleich? Und wird im Streben nach Geld als mein Heil, das Geld selbst zum Gott, den ich verehre?

Wenn Gott und Geld und ich verschmelzen, dann werden innerer und äußerer Reichtum gleichgesetzt. Ohne dass wir es merken, machen wir die innere Fülle des Lebens, in der wir immer schon sind, abhängig von den Zahlen auf unserem Bankkonto. Auf diese Weise suche ich den Reichtum des Lebens in mir und meinen Wünschen aber nicht in einer Verbundenheit mit dem Ganzen, das sich meiner Verfügbarkeit entzieht. Damit verliere ich aber auch die befreiende Kraft, die dieser Unverfügbarkeit innewohnt. Die Fülle der vielen Beziehungen mit und im Leben wird durch viel Besitz ersetzt. Und das Individuum wird zum machtvollen Ort – der in Wirklichkeit eher ein Gefängnis ist –, wo Reichtum verfügbar sein soll. Das Universum wird zum »Your Youniverse«, wie ein beliebter Law-of-Attraction-YouTube-Kanal heißt.

GELD WIRD ZUM ZIEL UNSERER SCHÖPFERISCHEN KRÄFTE AUSERKOREN.

So wird das Geld zum Ziel unserer schöpferischen Kräfte auserkoren. Damit wird die innerste Entfaltungskraft des Lebens in uns – unser Schöpferisch-Sein-Können – materialistisch und kapitalistisch umgedeutet: Unsere kreative Kraft wird durch uns selbst vereinnahmt und dadurch in ihrem wahren Potenzial und ihrer werdenden Fülle erstickt. Denn wenn ich meine schöpferische Lebendigkeit vor allem auf mich und meine (finanziellen) Wünsche richte, hat das Leben keinen Raum, in mir zu atmen. Ich bleibe in dem, was ich schon bin und kenne. Die Fülle des Lebens, die ich eigentlich bin, findet in mir keinen Raum der Resonanz, um sich in der überraschenden und berauschenden Kraft zu zeigen, die mich immer wieder neu dem Leben schenkt.

Denn die schöpferische Kraft des Lebens gehört mir nicht. Sie ist mein tiefstes Wesen, aber sie überschreitet mich grenzenlos. Ich kann sie ahnend spüren, ihr dankbar lauschen, sie als Geschenk empfinden, dienend und staunend zum Ausdruck bringen. Aber wenn ich sie besitzen und nutzen will, um mehr Geld zu bekommen, dann bleibt mir nur noch ein Zerrbild, vielleicht gar ein Dämon.

In einer solchen Entkopplung der schöpferischen Lebenskraft vom Geld können wir vielleicht auch das Geld zum ersten Mal wirklich sehen: Als unser Gestaltungsmittel, nicht als die Macht, der wir folgen. Ob wir dann viel Geld haben oder wenig: Geld und all unser innerer Reichtum können zum Mittel und Instrument der schöpferischen Kraft des Lebens werden, sie sind nicht das Ziel.

So geben wir dem Geld gewissermaßen eine Seele, wir können es vielleicht sogar poetisieren und aus unserer egoistischen Vereinnahmung befreien. Ja, vielleicht können wir das Geld von uns befreien. Aber dafür wiederum müssen wir uns vom Geld befreien und unsere eigene Seele kennen, spüren und uns ihr hingeben und dürfen diese seelische Tiefe nicht von der Macht des Geldes und ihren Verheißungen vereinnahmen lassen.

Sind Sie reich? Vielleicht schauen Sie sich um: Der Platz, an dem Sie sitzen, Ihre Umgebung, ein warmer, geschützter Ort. Fühlen Sie Ihren Atem, das Schlagen des Herzens. Spüren Sie die Wachheit und Präsenz Ihres Bewusstseins. Und darin dieses zarte, machtvolle Sehnen, ihr Urinnerstes dem Leben zu schenken. In diesem Augenblick, gibt es da mehr, das Sie brauchen, um reich zu sein?

Author:
Mike Kauschke
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