Die Welt in Farben sehen

Our Emotional Participation in the World
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Published On:

July 18, 2022

Featuring:
Dr. Don E. Beck
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Issue:
Ausgabe 35 / 2022
|
July 2022
Das Heilige
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Dr. Don E. Beck (1937 – 2022)

Bei meiner ersten Begegnung mit Don Beck war ich von seiner Liebe beeindruckt. Er kam, um der spirituellen Gemeinschaft, der ich angehörte, das Entwicklungsmodell »Spiral Dynamics« vorzustellen. Dazu brachte er passende Musik für jede Stufe der Entwicklungsspirale mit, die uns helfen sollte, die Kernmotivation jeder einzelnen Stufe intuitiv zu erfassen. Ich saß ganz hinten, etwas abseits, und mein ganzer New Yorker Snobismus stand bereit, um diesen Hinterwäldler aus Oklahoma zu kritisieren, der die Welt in Farben sah (jede Entwicklungsstufe in seinem Modell war farblich gekennzeichnet). Immerhin war ich doch eine in Harvard ausgebildete Entwicklungspsychologin ... Doch während ich diesem Mann zusah und zuhörte, spürte ich die Kraft seiner Liebe zu den Menschen auf jeder Entwicklungsstufe der von ihm beschriebenen Spirale. Während die Farben in seinem Modell später zu einer vereinfachten Darstellung verleiteten, die suggerierte, dass die höheren Stufen etwas Besseres als die jeweils vorherigen bedeuteten, gab es bei Beck selbst kein solches Werturteil. Stattdessen brachte er eine Freude zum Ausdruck, wenn er über die bemerkenswerten Fähigkeiten von Menschen sprach, die kulturell betrachtet der Vormoderne zuzurechnen sind. Erstaunlich ist auch die Tatsache, dass der Mann mit der Farbspirale eigentlich farbenblind war.

Ich meine dies in einem besonderen Sinne: Beck, der in dem Staat geboren wurde, der 1921 während der Rassenunruhen seine blühende schwarze Gemeinde niederbrannte, erkannte, dass die Farben der Spirale das Schwarz-Weiß-Denken in der Wahrnehmung von Schwarzen und Weißen transformieren können. Und so machte er es sich zur persönlichen Aufgabe, nach dem Ende der Apartheid über sechzig Mal nach Südafrika zu fliegen, um sein Modell bekannt zu machen. Es gibt Wertesysteme, die sich als Reaktion auf die Lebensbedingungen entwickeln und den »Code« – die DNA – einer Kultur prägen. Solche Systeme entwickeln sich immer in einer bestimmten Reihenfolge und schwanken zwischen einer individualistischen und einer gemeinschaftlichen Ausrichtung. Beck verstand, dass die Feindseligkeit zwischen den schwarzen und weißen Südafrikanern kein Rassenproblem war, sondern ein Aufeinanderprallen dieser »bio-psycho-sozial-geistigen« Werte­systeme. Die modernen, kapitalistischen Werte und das Wissen der weißen Afrikaner wären unter den Bedingungen und in den Kontexten der Schwarzafrikaner im Grunde nutzlos – und umgekehrt.

¬ DON BECK HAT WIE KAUM EIN ANDERER DIE ENTWICKLUNGSPERSPEKTIVE EINER BREITEREN ÖFFENTLICHKEIT ZUGÄNGLICH GEMACHT. ¬

Beck war der Protegé von Dr. Clare ­Graves, einem Psychologieprofessor an der Clark University in den Vereinigten Staaten. ­Graves entwickelte ein Modell mit acht Stufen (oder »Wertesystemen« oder Weltsichten), die das Modell für die menschliche Psychologie und Gesellschaft darstellen. Er hatte komplexe Namen für jede Stufe und schuf Akronyme für die Eigenschaften jeder Stufe. Beck und sein damaliger Kollege Chris Cowan leiteten jedoch einmal einen Workshop mit Bildern einer Spirale in verschiedenen Farben – und bei diesen Farbcodes blieb es dann. Es gibt zwar viele Fragen zu Graves' Forschungsmethoden und zu seinen Verallgemeinerungen über Kulturen anhand der Tests von Einzelpersonen, aber ­Graves hat etwas zutiefst Bedeutsames über die Kernmotivationen und Anliegen von Menschen erkannt, die unter verschiedenen »Lebensbedingungen« leben, wie er es nannte. Wenn man die Farben einmal gesehen hat, ist es nicht leicht, sie wieder loszuwerden. Sie scheinen überall zu sein.

Beck selbst, ein leidenschaftlicher Verfechter »seiner« Spirale, war ein komplexer Charakter. Er war störrisch und stur, geriet oft in Fehden und haderte mit vermeintlichen Kränkungen. Gegen Ende seines Lebens wirkte er wie ein Orakel, das in fast unverständlicher Sprache kryptische Kommentare über die politischen Ereignisse abgab. Aber es war Beck, der Ken Wilber die Möglichkeiten und das Potenzial der Entwicklungstheorie eröffnete. Und Beck hat wie kaum ein anderer die Entwicklungsperspektive einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Ich bin Dr. Don Beck für seine Beharrlichkeit und seine Liebe zur Widerstandskraft und den Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen dankbar. Vielleicht wird es eines Tages bei den Farben, die wir sehen, nicht um Rassen gehen, sondern um die wesentlichen Werte, die unser Menschsein ausmachen. Das würde sowohl seiner Vision als auch seinem Vermächtnis gerecht werden. In einer bewegenden Hommage an ihren Vater schrieben Dons Kinder einen Brief an alle, die von seiner Arbeit berührt wurden und Teil davon waren. Darin heißt es: »Dad war ein Visionär, der keine Grenzen der menschlichen Existenz kannte« und uns alle aufruft, »sein Vermächtnis weiterzuführen ... und weiterhin über den Horizont hinauszuschauen ... um die Welt in eine gute Zukunft zu führen.«

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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