Gedanken & Gefühle

Our Emotional Participation in the World
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April 17, 2014

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Ausgabe 02 / 2014:
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April 2014
Weltinnenraum
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Denken und Fühlen gellen als die Pole unserer Psyche, die sich aufeinander beziehen, sich aber auch abzustoßen scheinen. Aber entspricht diese Trennung wirklich unserer inneren Erfahrung? Können Denken und Fühlen nicht auch zu einer höheren Synthese kommen? Wir haben Menschen, die sich mit der Landschaft unserer Innerlichkeit beschäftigen, gefragt:

Wie können wir Denken und Fühlen miteinander verbinden?


Prof. Dr. Harald Walach, Psychologe, Wissenschaftstheoretiker und -historiker, Leiter des Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Harald Walach

Wenn man diese Frage neurobiologisch sieht, dann geht es eigentlich darum, dass wir die bewussten Denkprozesse, die meistens linear ablaufen und sich an den Regeln der Logik entlang hangeln mit den eher unbewussten Prozessen koordinieren, die oft holistisch sind – Julius Kuhl nennt es das Extensionsgedächtnis – und oft auch stärkeren Kontakt zu Bereichen unseres Gehirns haben, die wir mit Körperempfindung und Gefühlen in Verbindung bringen. In unserer Kultur ist aufgrund der Dominanz von Sprache, linearem Denken und Logik der Bereich der weniger leicht bewusst ausdrückbaren Empfindungen in den Hintergrund gedrängt worden. Daher verschafft er sich oft in kulturellen Enklaven Ausdruck: auf dem Fußballplatz, in der Disko, auf Festivitäten oder im Urlaub bzw. in der Freizeit.
Wie gelingt es uns, die beiden Bereiche öfter und vielleicht auch im Alltag zu verbinden? Wir müssen die dominante Seite, das Denken, zur Ruhe und die weniger laute Seite, das Empfinden zu Wort kommen lassen. Das benötigt Zeit. Ein probates Mittel ist es, sich immer wieder neu, manchmal einfach kurz zwischendrin, wenn uns eine Frage beschäftigt, idealerweise einfach als tägliche Übung, auf den Atem und den Körper zu achten. Dann werden die Gedanken automatisch leiser und die Empfindungen treten in den Vordergrund und es stellt sich idealerweise ein ausgeglichenes Gefühl der Heiterkeit ein.

Doris Zölls, Evangelische Theologin, Zen-Meisterin, Spirituelle Leiterin des Benediktushofes Holzkirchen

Doris Zölls

Denken und Fühlen machen wesentlich unser Menschsein aus. Mit ihnen erfassen wir unser Dasein, begreifen die Welt und gestalten sie. Oft werden jedoch Denken und Fühlen in Gegensatz gesetzt, man glaubt, das eine schließe das andere aus. Spüren wir genau in uns hinein, was geschieht, wenn wir denken oder fühlen, können wir zwischen ihnen fast eine Einheit feststellen. Da schießt mir ein Gedanke durch den Kopf, und ich füge ihm sogleich ein Subjekt und ein Objekt hinzu: „Ich denke dies“. In diesem Moment hängt sich auf der Stelle ein Gefühl daran, und umgekehrt, ein Gefühl taucht auf und mein Denken gibt ihm ebenso fast zeitgleich ein Subjekt und Objekt: „Ich fühle dies, weil“.  Damit besteht eine unheilvolle Verbindung von Denken und Fühlen, denn die Anbindung an ein Subjekt und Objekt ruft die Dualität hervor und in uns Zerrissenheit.  
Gelingt es uns den Gedanken eines Subjekts und Objekts außen vor zu lassen, werden wir erkennen, Gedanken und Gefühle gehören nicht mir oder irgendjemandem, sondern beide sind ein momentaner Ausdruck des einen großen Ganzen. Nicht dadurch, dass Gedanken und Gefühle aufeinander bezogen werden, sind sie eins, sondern sie finden ihre Einheit, indem wir jeden für sich in dem Augenblick ihres Vollzuges als die Erscheinung des Ganzen erkennen.

Thomas Hübl, spiritueller Lehrer, Initiator des Celebrate Life Festival und Autor von Sharing the Presence

Thomas Hübl

Der ursprünglich gesunde Zustand eines Menschen ist, dass Gedanken und Gefühle verbunden sind und dieselbe Botschaft aussenden. Sind Denken und Fühlen getrennt, liegt das oft an einer frühkindlichen Traumatisierung oder Konditionierung. Sagen die Worte eines Erwachsenen immer wieder etwas anderes aus als dessen Energiefeld, entsteht im Kind eine Spannung: Worauf beziehe ich mich – auf das, was ich höre oder was ich spüre? Kinder müssen sich da oft entscheiden. Ein erwachsenes Fühlen ist die Fähigkeit, mit dem gesamten emotionalen Reichtum auf die Welt bezogen zu bleiben. Es hat zwei Ebenen: Beim emotionalen Fühlen bin ich in der Lage, meine Angst, Trauer, Freude zu spüren – genau wie beim Gegenüber. In einer gesunden Kultur müssen wir uns nicht mehr erzählen, wie es uns geht. Deine Gefühle sprechen direkt zu meinen Gefühlen und brauchen nicht meinen Verstand als einen Interpretations-Umweg. Schattenarbeit führt wieder in diesen ursprünglichen Zustand zurück. Transpersonales Fühlen geht darüber hinaus. Geschult durch Meditation und Kontemplation können wir eine Gruppe oder Situation subtil wahrnehmen: Wir verbinden unsere Kognition mit dem Herz und können dadurch ganze Felder fühlen und kognitiv erfassen. Durch diese subtile Kompetenz können wir Informationen direkt aus dem Bewusstseinsfeld lesen. So entwickeln wir ein neues Denken und Fühlen.

Dr. Christina Kessler, Studium der Ethnologie, Philosophie, Soziologie und Vergleichenden Religionswissenschaften, Begründerin von Amo Ergo Sum und Autorin von Wilder Geist – Wildes Herz


Christina Kessler

Es gibt zwei elementar verschiedene Arten des Denkens: das rationale und das wilde. Diese Unterscheidung stammt von dem Ethnologen Claude Lévi-Strauss. Die Naturvölker praktizieren eher das wilde Denken, während im Westen das dualistische Denken vorherrscht.
Während  meiner Forschungen bei indigenen Kulturen habe ich an diesem Ansatz weitergesponnen. Heute bin ich davon überzeugt:  rationales und wildes Denken sind komplementär im Menschen angelegt  – als Außendenken und Innendenken. In meiner Arbeit möchte ich erfahrbar machen, wie es im kreativen Spiel der beiden Denkarten zur Hochzeit von Intuition und Intellekt kommt.
Die Brücke von Denken und Fühlen liegt für mich eindeutig im wilden Denken. Das rationale Denken kann das Gefühl völlig abspalten. Beim wilden Denken jedoch, welches alles, was auch immer, als Teil eines großen unsichtbaren Zusammenhanges betrachtet, ist der Denkende stets aktiver Teil des Ganzen. Diese Sichtweise ist unmittelbar an die fühlende Wahrnehmung gebunden – an die Fähigkeit, sich einfühlen und mitschwingen zu können, um aus der Jetzt-Position die nächsten konstruktiven Schritte zu gehen. Rationales Denken bringt die Landkarte hervor, wildes Denken ist der Kompass.
Für die Zukunft der Welt wird es von immenser Wichtigkeit sein, das wilde Denken zu integrieren und von klein auf zu fördern.

Dr. Dr. Wolf-Ulrich Klünker, Vorstandsmitglied der Anthroposophischen Gesellschaft, Veröffentlichungen auf den Gebieten Geistesgeschichte, Psychologie und therapeutische Menschenkunde


Wolf-Ulrich Klünker

Das Gefühl vor dem Denken braucht Deutung und Individualisierung; das Fühlen im Denken kann als Wahrheitsgefühl zum inneren Kriterium werden; das Fühlen hinter dem Denken bildet den heute möglichen Empfindungsraum des Ich.
Das Ich lebt im Denken. Auch Gefühle gehören nur im denkenden Selbstbewusstsein zum Ich. Seit der Entstehung des Ich-Begriffs bei Aristoteles ist deutlich: die Intellektualität ist Träger der Individualität. Dabei meint „intellektuell“ nichts Abstraktes oder Formales, sondern die Fähigkeit, Zusammenhänge zu bemerken, die nur ich erleben kann. Darauf beruht letztlich das Selbstgefühl des Ich, darauf gründet sich seine Fähigkeit, tragfähige Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen und sich interessiert mit der Welt zu verbinden. Erst der Intellektualismus der Neuzeit hat diese Existenzgrundlage des Ich entstellt.
Das Fühlen hinter dem Denken entsteht aus dem Wahrheitsgefühl im Denken. In diesem neuen Empfindungsraum, in den ich jederzeit wie in eine Kathedrale eintreten kann, werden Gefühle erst  wirklich individuell. Hier wirkt Gefühl auf Gefühl, Gefühl nimmt Gefühl wahr; es entsteht gleichsam ein Gefühlsorganismus des Ich. In ihm sensibilisiert und individualisiert sich die Wahrnehmung; hier entstehen tragfähige zwischenmenschliche Gefühle - und das Fühlen bleibt nicht subjektiv in mir: es wird zu einer echten Wirklichkeit „draußen“ und damit wahrheitsfähig.

Author:
Prof. Dr. Harald Walach
Author:
Doris Zölls
Author:
Thomas Hübl
Author:
Christina Kessler
Author:
Prof. Wolf-Ulrich Klünker
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