»Geld ist das Modell des Ich«

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July 18, 2019

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Ausgabe 23 / 2019:
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July 2019
Was das Geld mit uns macht
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Logos, Ratio und die Grenzen des rechnenden Bewusstseins

Geld verstehen heisst, unsere Welt verstehen. Wie nur wenige hat sich Karl-Heinz Brodbeck in den letzten Jahrzehnten darum bemüht, dem Wesen des Geldes auf den Grund zu gehen und Möglichkeiten der Reform unseres Finanzsystems aufzuzeigen. Mit seiner Verwurzelung in einer buddhistischen Philosophie und Ethik blickt er tief in das rechnende Bewusstsein, dessen Ursprung und Ausdruck das Geld ist, und zeigt Wege auf, die darüber hinausgehen.

evolve: Sie schreiben in Ihren Schriften etwas, was zunächst ungewöhnlich klingt: Sie sagen, dass Geld kein Ding ist, sondern eine Denkform. Geld ist ja klassisch etwas, von dem man meint, man könnte es in der Hand halten. Wir denken an die Münze, das Papiergeld. Das Geld auf der Bank haben wir nicht mehr in der Hand, aber wir denken, es ist ein Rechenverhältnis auf einem Computer und insofern auch ein Ding. Sie aber sagen, das sei eine Täuschung. Geld ist vielmehr eine universalisierte Denkform. Können Sie das etwas erläutern?

Karl-Heinz Brodbeck: Das ist vielleicht am besten mit einem Vergleich zu beschreiben. Die zwei wichtigsten Formen, die Menschen in einer Gesellschaft verbinden, sind die Sprache und die Prozesse, die über das Geld ablaufen. Auch Sprache ist kein Ding irgendwo da draußen. Wenn Sprache in einem Buch gedruckt ist, dann kann ich ihre Bedeutung, den begrifflichen Inhalt, nur durch das Lesen verstehen. Um das Phänomen der Sprache zu verstehen, muss jemand da sein, der sie aktualisiert, der sie denkt, der sie hört, der sie spricht. Durch Sprechen erhalten und reproduzieren wir die Sprache. Wir alle teilen sie gemeinsam. Trotzdem macht jeder daraus individuell seine eigene Sprachform, wenn wir z. B. im Stillen nachdenken.

Beim Geld ist es ähnlich. Es ist ein äußerer Gegenstand wie ein Geldschein, eine Münze oder ein Kontoauszug. Aber auch hier ist der äußere Gegenstand an sich nicht das Geld. Ich muss ihn erst in Geld verwandeln, indem ich mich auf eine bestimmte Weise dazu verhalte. Was ist die häufigste Umgangsform mit Geld? Man rechnet in Geldeinheiten. Geld funktioniert nur dadurch, dass wir damit rechnen. Das ist das erste Phänomen, das Ökonomen in der Regel übersehen. Aber man kann sagen, dass viele der rechnenden Denkformen, also Mathematik, Zahlensysteme usw., aus dem Geldverkehr entstanden sind. Erst durch den Geldverkehr kam es zu Fragestellungen, die heute in der Mathematik typisch sind. Geld, wenn es als Geld funktionieren soll, ist zunächst ein alltägliches, unaufhörliches Rechnen in einer abstrakten Einheit, zu der wir eigentlich nichts sagen können, außer ein Wort wie Euro, Bitcoin oder was auch immer.

GELD FUNKTIONIERT NUR DADURCH, DASS WIR DAMIT RECHNEN.

Der Geldverkehr und der Austausch von Gütern basieren auf einer abstrakten Einheit. Das bildet die Grundlage der praktischen Geldverwendung. Sie gehen in ein Geschäft und rechnen Menge mal Preis, und prüfen, ob Sie genug Geld im Geldbeutel oder auf dem Konto haben. Vorübergehend entsteht ein Schuldverhältnis, und Sie begleichen es, indem Sie das entsprechende Geld von Ihrem Konto abbuchen.

Logos und Ratio

e: Sie sagen sogar, dass der Eintritt des Geldes in die Geschichte nicht nur unsere Wirtschaftsstrukturen verändert hat. Er hat auch die seelische Verfassung der Menschen verändert?

KHB: Um die Dynamik des Geldes anschaulich zu machen, verwende ich zwei Wörter: Logos und Ratio. Im Griechischen bezeichnet man die Sprachformen, wenn Menschen miteinander sprechen, als das Wort, den Logos. Unsere sprachliche Vergesellschaftung geschieht durch den Logos. Unsere Kommunikation und die Demokratie beruhen auf dem Logos. Jede Art von Arbeitsanweisung, aber auch jede harmlose Unterhaltung beruht darauf.

Durch den Geldverkehr auf den Marktplätzen hat sich interessanterweise schon sehr früh herausgebildet, dass man Dinge, die über das Jahr erzeugt wurden, in einer abstrakten Einheit rechnete. Tauschgesellschaften gibt es nur, wenn es so etwas wie eine gemeinsame Rechnungseinheit gibt. Aber das Rechnen ist eine andere Art, wie Menschen in Beziehung treten. Es ist anders als das Sprechen. Wenn wir miteinander sprechen, setzen wir eine gemeinsame Bedeutung voraus. Wir beziehen uns auf äußere Gegenstände oder auch auf seelische Befindlichkeiten. Beim Geld aber beziehen wir Geldbeträge auf leere Einheiten. Das war gleichsam die Revolution, die vor etwa 2500 Jahren in Griechenland begann, als man anfing, das Rechnen mit Geld anzuwenden. Man begann, Münzen zu prägen, mit denen ein Herrscher seine Soldaten bezahlt hat. Damit war eine abstrakte Einheit definiert und die Menschen haben im Verkehr miteinander Leistungen, Waren, Arbeit, den Sold von Soldaten oder Steuern beglichen. Bei den Römern setzte sich die Geldverwendung durch und damit auch die Fähigkeit zu rechnen. Das Rechnen wird zu einer alltäglichen Verhaltensweise. Dieses alltägliche Rechnen in abstrakten Einheiten war dann auch schrittweise die Geburtsstunde der modernen Mathematik. Zunächst der Arithmetik, der Algebra usw., und als 1202 Fibonacci zum ersten Mal den Dreisatz beschrieben hat, war das eine Sensation. Diese Dreisatzrechnung war für den kaufmännischen Alltag ungeheuer wichtig, und Fibonacci hat sie in seinem Buch in vielen Beispielen aus dem kaufmännischen Alltag vorgestellt. Das war die Geburtsstunde der modernen Arithmetik.

In der lateinischen Sprache heißt rechnendes, kaufmännisches Denken Ratio. Das innere Rechnen, der Umgang mit Zahlen, in dem wir alles auf Quantitäten beziehen, ist das Vordringen des Geldes in unsere alltägliche Denkweise und auch unsere seelische Verfassung.

e: Geld an sich hat also keinen realen Wert. Es ist vielmehr ein soziales Phänomen.

KHB: Ganz genau, Geld ist einfach das, was misst, was ein Maß zur Verfügung stellt. Man kann aber Geld seinerseits nicht messen. Es gibt die Vorstellung, dass es hinter dem Geld etwas gibt, das von den Menschen wertgeschätzt wird, was diesen Wert stützt. Die einfachste Überlegung ist die, dass es ein besonders wertvolles Gut sein muss, wie Gold oder Silber. Oder, wie die Theoretiker der englischen Schule annahmen, dass hinter dem Geld die Arbeitsleistung steht. Bei Marx ist die abstrakte menschliche Arbeit der eigentliche Wert des Geldes. In der subjektiven Denkschule wurde gesagt, dass der allgemeine Nutzen den Wert des Geldes ausmacht. Es gibt noch viele andere Ansätze, aber der Grundgedanke ist immer derselbe: Geld hat vermeintlich einen Wert, also muss der Wert irgendwo herkommen und muss das Geld in seinem Wert stützen.

DER GELDVERKEHR UND DER AUSTAUSCH VON GÜTERN BASIEREN AUF EINER ABSTRAKTEN EINHEIT.

Heutzutage spricht man meistens davon, dass dieser Geldwert durch eine Institution wie die Zentralbank garantiert wird. Dabei wird aber nicht verstanden, dass das Geld den Wert setzt, man kann es seinerseits nicht messen. Das wäre ungefähr so, als würde ich fragen, wie lang eigentlich das Urmeter in Paris ist: Es ist selbst das Maß, deshalb kann man es nicht messen. Die Besonderheit beim Geld besteht darin, dass diese Maßsetzung zugleich ein sozialer Prozess ist. Indem wir alle gemeinsam in Geld rechnen, schaffen wir den Wert des Geldes täglich neu. Man kann auch sagen, hinter dem Geld steckt ein allgemeines Vertrauen. Wir vertrauen dem Wert des Geldes. Warum tun wir das? Wir vertrauen, weil alle darin rechnen, wir rechnen alle damit, weil wir ihm vertrauen.

Verrechnende Abstraktion

e: Geld ist also eine Form der Abstraktion?

KHB: Es ist eine spezielle Art der Abstraktion. Auch in der Sprache haben wir schon Abstraktion. Wenn Sie zu mir sagen, wir wollen das Wort Geld verwenden, vollziehen Sie eine Abstraktion. Wir verwenden ständig Abstraktionen, unser ganzes Nachdenken ist erfüllt von Abstraktionen, denn es gibt kein nicht-begriffliches Denken. Wie Goethe gesagt hat: »Das Höchste wäre, zu begreifen, dass alles Wirkliche schon Theorie ist.« Wenn ich sage, ich sehe einen Baum, der ist wunderschön, dann verwende ich drei Abstraktionen: Sehen, Baum und Schönheit. Ich beziehe drei völlig abstrakte Konzepte aufeinander. Auch Sie benutzen das Wort Baum, aber Sie haben bestimmt andere Baumerfahrungen gemacht als ich.

e: Das Besondere beim Geld ist demnach, dass es eine verrechnende Abstraktion ist. Aber wir brauchen diese Abstraktion auch. In einer arbeitsteiligen globalen Gesellschaft können wir nur über abstrakte und auch rechnende Systeme miteinander so etwas wie eine Weltgesellschaft bilden.

KHB: Ich habe nicht gesagt, dass Geld gut oder schlecht ist. Ich will vielmehr verstehen, was das Wesen des Geldes ist. Ein Wesensmerkmal des Geldes ist diese rechnende Haltung anderen Menschen und den Dingen gegenüber. Das hat noch weitere Aspekte, wenn wir den Geldtausch beim Einkaufen beobachten. Wir beziehen da etwas auf eine Geldsumme, z.B. ein Kilogramm Getreide auf eine bestimmte Summe Euro. Man kann aber etwas nur dann auf das Geld beziehen, wenn dadurch der Gegenstand ebenfalls gemessen wird. Mit der Entstehung des Geldes haben wir gleichsam eine Haltung gegenüber der Welt entwickelt, die alles auf Berechenbarkeit hin abstrahiert. Die letzte Konsequenz daraus ist die Physik, sie betrachtet die gesamte Natur als etwas Berechenbares. Und das funktioniert auch wunderbar, auf den ersten Blick zumindest: Flugzeuge fliegen, Eisenbahnen fahren, wir können über elektromagnetische Wellen miteinander sprechen. Der rechnende Blick auf die Natur ist ungeheuer erfolgreich gewesen und er lässt sich tatsächlich auf die Geldverwendung zurückführen.

Die Lebenswelt stärken

e: Aber offensichtlich gibt es auch sehr negative Folgen durch die Abstraktion des Geldes und die Dominanz des berechnenden Denkens?

KHB: Lassen Sie mich mit einem Zitat von Hegel antworten: »Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören.« Wenn ich alles über einen abstrakten Kamm schere, wenn ich alles nur noch nach einem Maßstab berücksichtige, dann blende ich sehr viel aus. Die Abstraktion macht mächtig, ich kann viele Dinge gleichermaßen erfassen, aber sie macht auch blind. Jedes Messer ist z. B. eine Abstraktion, es schneidet etwas durch. Wenn ich einen Acker bebaue und mit einem Pflug oder Traktor darüberfahre, dann behandle ich den Boden und die Pflanzen sehr abstrakt, nämlich nur darauf hin, Boden zu sein. Das ist unsere Haltung der Natur gegenüber. Und weil wir durch die Abstraktion sehr viel ausblenden und nur das festhalten, was uns im Augenblick nützlich ist, entstehen unendlich viele ökologische Probleme. Alles, was wir in unseren Abstraktionen der Naturwissenschaft ausblenden und notwendigerweise auch in unseren Rechnungen ausblenden, das ist in der Wirklichkeit des Erlebens nichts weniger als unsere ganze Lebenswelt.

e: Und in dieser Kritik der berechnenden Vernunft, die mit der Geldwirtschaft entsteht, haben wir noch gar nicht angesprochen, welche Dynamik durch Zins und Zinseszins entsteht.

KHB: Ja. Wenn wir Geld verstehen wollen, müssen wir genauer seine Verwendung untersuchen. Was ist typisch für das Geld? Geld ist nur dann wirklich, wenn es ständig ausgegeben und eingenommen wird. Es funktioniert nur dadurch, dass ich es ausgebe; dann bin ich aber hinterher ärmer. Um wieder am Markt teilnehmen zu können, um mir andere Güter kaufen zu können, brauche ich Geld. Ich muss nach Geld streben. Geldverwendung und das Streben nach Geld bedingen einander. Wenn ich am Markt und an der Gesellschaft teilnehmen will, dann ist das Geld meine Eintrittskarte. Das ist bei der Sprache anders. Wenn ich sprechen kann, kann ich mit jedem reden. Da gibt es keine Zutrittsschranke. Um am Markt teilzunehmen, brauche ich Geld als Eintrittskarte. Deshalb müssen wir nach Geld streben.

Je mehr Geld ich habe, desto leichter ist mein Zutritt zum Markt. Damit können wir verstehen, wie das Streben nach mehr Geld entsteht. Die Urform des Zinses ist der kaufmännische Gewinn. Ich kaufe eine Ware, um sie weiterzuverkaufen, sodass ich am Ende mehr Geld habe, als eingesetzt wurde. Ich benutze den Mechanismus des Geldes, um mehr Geld zu bekommen. Das ist die Einkommensart der Kaufleute, die von der frühen Philosophie, beispielsweise von Aristoteles, und in den verschiedenen Religionen immer wieder verurteilt wurde: Geld ist eigentlich ein öffentliches Gut, und die Kaufleute fangen an, es als privates Gut zu missbrauchen, um an mehr Geld zu gelangen. Das ist auch die Grundlage und die Voraussetzung für den Zins.

WENN ICH ALLES ÜBER EINEN ABSTRAKTEN KAMM SCHERE, DANN BLENDE ICH SEHR VIEL AUS.

All die schönen Utopien, die ein zinsfreies Geld wollen, haben nicht verstanden, dass die Geldverwendung selbst immer wieder zu einem Streben nach Geld führt. Die daraus hervorgehende Geldgier ist, wenn ich die menschliche Psyche mit einbeziehe, nahezu unvermeidlich.

Eine andere Frage ist: Wie könnte man Geld reformieren? Oder könnte man sich eine Gesellschaft ohne Geld vorstellen? Von diesem Gedanken wurden frühe Sozialisten, romantische Denker oder auch religiöse Gruppen bewegt, die sich von der Gesellschaft abgelöst und nur noch auf elementarste Weise miteinander gelebt haben. Das ist natürlich möglich, aber wir können das nicht für 7,5 Milliarden Menschen weltweit umsetzen. Ein paar dutzend Mönche können sich in den Wald zurückziehen, aber eine Gesellschaft kann das nicht.

Könnte man sich nicht eine Gesellschaft denken, wo das Geld einfach überflüssig ist, bevor es abgeschafft wird? Das wäre konsequenter Sozialismus. Vor allem im Marxismus hat man versucht, das zu Ende zu denken. Der junge Marx hat gesagt, es genügt nicht, dass der Gedanke zur Wirklichkeit drängt, die Wirklichkeit muss auch zum Gedanken drängen. Wenn wir das Geld abschaffen oder reformieren wollen, dann muss die Wirklichkeit selbst Tendenzen aufzeigen, die zu seiner Abschaffung führen würden. Bei Marx steht am Ende dann die Abschaffung des Privateigentums, und damit steht an der Stelle des Geldes eine Planwirtschaft. Das war die große Idee und wie das funktioniert oder besser gesagt, nicht funktioniert, das haben wir in einigen Ländern gesehen. Das Geld abzuschaffen ist also nicht möglich. Kann man aber Geld oder die Verwendung des Geldes reformieren? Oder kann man die Geldverwendung ethisch begrenzen? Das wiederum ist meiner Ansicht nach durchaus möglich.

e: Besteht die Möglichkeit, dass wir die Definitionsmacht des Geldes und des berechnenden Denkens auf die Seite drängen und das, was Sie die sprachliche Verständigung nennen, mehr ins Zentrum unserer Vergemeinschaftung stellen?

KHB: Es ist tatsächlich so, dass die Ratio immer stärker den Logos übermächtigt, ja, vergewaltigt hat. Diese Ökonomisierung der Welt, das Vordringen des rechnenden Denkens beobachten wir überall. Bis in unsere Alltagssprache hinein, wenn wir miteinander reden und Sie sagen: »Erläutern Sie das mal, mit 1., 2., 3., …« Schon sind wir wieder in der Gliederung der Welt nach Zahlen. Unsere Denkformen sind selbst zuinnerst durchdrungen von der Ratio. Geld ist als Ratio, als rechnendes Denken in uns. Wir können nicht mit einem Denken, das vom Geld durchsetzt ist, die Welt neu organisieren ohne Geld oder den wesentlichen Einfluss des Geldes. Wir können dieses Vordringen des rechnenden Denkens, mit dem man alles misst, erfasst und alles auf die Zahlenform zurückgeführt wird, aber eindämmen, wenn wir dem Logos wieder mehr Macht geben. Was ist das für eine Macht? Die Ethik ist eine sprachliche Form, in der wir uns auf bestimmte Werte beziehen und damit Handlungen begrenzen, die wir nicht vollständig berechnend beherrschen können oder wollen.

DIESE ÖKONOMISIERUNG DER WELT, DAS VORDRINGEN DES RECHNENDEN DENKENS BEOBACHTEN WIR ÜBERALL.

Das bedeutet aber nicht, dass wir das Geld aufgeben, denn es stellt Handlungen von Menschen in Form von Arbeit, von Gütermengen, Rohstoffen zueinander in rechnende Beziehung. Auch in der besten aller Gesellschaften werden wir berechnen müssen, wie viel Wasser oder Saatgut verfügbar ist.

Digitale Abstraktion

e: Die digitale Währung Bitcoin treibt ja die Abstraktion des Geldes noch einen Schritt weiter. Was bedeutet diese neue Währung für unsere Zukunft?

KHB: Dazu muss ich ein wenig ausholen. Geld funktioniert dadurch, dass wir in Geld rechnen. Weil wir es alle verwenden, schreiben wir ihm einen Wert zu. Der Wert des Geldes ist aber nichts anderes als unsere Vergesellschaftung durch das gegenseitige Vertrauen auf den Geldwert. Wenn man ein neues Geld einführen möchte, dann muss sich zuerst das gegenseitige Vertrauen herausbilden. Beim traditionellen Geld versuchte man dies für viele Jahrhunderte durch eine Bindung an Gold. Nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems ersetzte man die Goldbindung durch die Bindung an den Dollar, kontrolliert durch eine Zentralbank. Auf diesem Wege konnten sich Staaten auch durch Geldschöpfung refinanzieren. Die Folgen sind bekannt – ein gewaltiger globaler Schuldenberg. Zudem verliert der Dollar nun immer mehr an globalem Vertrauen. Wir befinden uns in einer Zeit der Handels- und Währungskriege, in der das allgemeine Vertrauen verloren ging. In diese Lücke versucht nun Bitcoin als elektronisches Geld vorzustoßen. Es handelt sich um eine rein privat generierte Geldform. Ihre Menge wird durch ein komplexes Rechenverfahren begrenzt.

Zwar kann man prinzipiell privat Bitcoins »erschaffen«. Doch dieses »Mining« genannte Verfahren wird immer aufwändiger, je mehr Bitcoins bereits existieren. Die Knappheit und Sicherheit dieses Geldes – damit das Vertrauen in seinen Wert – soll durch das elektronische Verschlüsselungsverfahren garantiert werden. Aber dieses Vertrauen wird erst dann wirksam, wenn sehr viele Menschen es weltweit verwenden. Bislang wurde oft mit Bitcoins nur spekuliert. Es kam bereits wiederholt zu Kursabstürzen und damit zu einem wiederholten Vertrauensverlust in Bitcoins.

DER NAGEL, AN DEM DIE ABENDLÄNDISCHE METAPHYSIK HÄNGT, IST DAS ICH.

Ich kann nicht sagen, wie sich dies weiterentwickelt, gebe allerdings einiges zu bedenken. Bitcoins sind nur Informationen auf privaten Computern. Man kann sie nicht fälschen, aber Hacker können Geldbestände stehlen. Und die komplexe Verschlüsselung fordert eine gewaltige Rechenleistung. Das macht Überweisungen in dieser Währung tendenziell langsam und verbraucht sehr viel Energie. Bislang kann man Verschlüsselungstechnik nicht überlisten. Aber die nächste Computergeneration der Quantencomputer lässt nicht mehr lange auf sich warten. Sie wären in der Lage die Verschlüsselungen der Bitcoins zu knacken. Damit würden ihre Sicherheit und das Vertrauen in sie rasch verschwunden.

Bitcoins haben ihren Charme. Besonders Libertäre, die staatliche Macht ablehnen, sind davon begeistert. Zentralbanken, Steuerbehörden und Polizei zeigen sich dagegen sehr besorgt: In Bitcoins lassen sich dunkle Geschäfte beliebig verdeckt abwickeln. Am Wachstumswahn, an Zins und Gewinn ändern Bitcoins nichts. Und ich bezweifle, dass die zusätzliche Freiheit durch Bitcoins die Menschen zu einem ethischeren Verhalten führen würde. Vertrauen und Mitmenschlichkeit lassen sich nicht herstellen. Man kann sie weder durch Gold, Zentralbanken noch durch Verschlüsselungsverfahren garantieren.

Wechselseitige Abhängigkeit

e: Diese rechnende Haltung, die Sie ansprechen, haben Sie mit der abendländischen Metaphysik in Zusammenhang gebracht, wie Sie es mit dem Übergang vom griechischen Logos zur lateinischen Ratio aufgezeigt haben. Gibt es aus dem geistigen Hintergrund der buddhistischen Weisheitslehre besondere Möglichkeiten, dieses Denken, das so tief in uns verwurzelt ist, aufzubrechen oder zu ergänzen?

KHB: Ich glaube, das ist möglich, aber ob es massenhaft möglich ist, das weiß ich nicht. Ich bemühe mich darum, viele Menschen davon zu überzeugen, aber das als Utopie für ganze Gesellschaften zu verkünden, das halte ich doch für sehr gewagt. Zum Buddhismus gehört wesentlich immer ein hohes Maß an Bescheidenheit. Das ist nicht einfach nur ein Spruch, das ist das Innerste der Lehre. Ich will einen Punkt zentral hervorheben, der sich auf Descartes bezieht. Descartes ist insofern interessant, als er die eigentliche abendländische Moderne durch eine Gewissheit eingeleitet hat. Er hat alles in Zweifel gezogen, und das hat auch eine Korrelation zum Geldverkehr. Dabei ist es typisch, dass die Dinge immer wieder umgewälzt werden: Man will Profit machen, und man macht Profit dadurch, dass man etwas anders macht als der Konkurrent. Insofern entzündet der Geldverkehr zwar die Kreativität, aber er zerstört auch unaufhörlich die Dinge ohne Rücksicht auf Verluste. In dieser Erfahrung der Zerstörung, die zunächst als Erfahrung der Zerstörung religiöser Traditionen bewusst geworden ist, kam Descartes und hat gesagt: »Ich habe eine neue Gewissheit, und das ist das Ich, das denkt: Cogito ergo sum.«

Der Nagel, an dem die abendländische Metaphysik hängt, ist das Ich. Im Buddhismus ist aber die zentrale Aussage, dass das Ich leer ist, dass es eine Illusion ist. Das Ich gespiegelt in der Wirklichkeit ist die Materie oder die Substanz oder etwas Festes, was da draußen unabhängig existiert und von dem man sagen kann, es ist so. Wenn man aber erkennt, dass dies eine fundamentale Illusion ist, erkennt man auch, dass die allermeisten Probleme aus dieser Haltung des Ich entstehen. Wenn man ein Ich in den Mittelpunkt setzt, dann ist das so wie das Geld, das auch in den Mittelpunkt gestellt wird. Geld ist eigentlich leer, aber es bezieht alle Dinge auf seine eigene fiktive Einheit. Also man kann sagen, Geld ist das Modell des Ich.

In der abendländischen Philosophie postuliert man stets eine elementare Substanz, die alles trägt. Ob man das jetzt Geist nennt oder spirituell deutet als Theologe als ein Wesen, das außerhalb ist und uns steuert, es ist immer ein Ich: »Ich bin, der ich bin.« Diese Vorstellung gibt es im Buddhismus nicht. Daraus ergibt sich einerseits natürlich der Verlust eines Haltepunktes, ich kann mich an nichts festhalten. Das ist eine Erfahrung, die zunächst für viele höchst unangenehm ist, aber es ist zugleich unwahrscheinlich befreiend, denn ich muss mich nicht fesseln an Besitz, an Geld, an Gier, an Reichtum. Ich bin gar nicht gefesselt, sondern das ist alles, was das Ich als Haltepunkt aufbaut, um sich selbst festzuhalten. Insofern ist die buddhistische Ethik sehr radikal im wahrsten Sinne des Wortes: Sie geht zur Wurzel. Die Wurzel ist genau diese Vorstellung, und darum versucht der Buddhismus möglichst vielfältige Praktiken anzubieten, die an dieser Wurzel arbeiten.

Die wichtigsten Gegenmittel gegen die Vorstellung des Ich sind Achtsamkeit und Mitgefühl. Achtsamkeit auf die Dinge heißt auch: Ich achte die Dinge. Achtsamkeit ist nicht nur eine psychologische Technik, sondern ich achte die Dinge, ich lasse sie so, wie sie sind, sie sollen so erscheinen, wie sie sind. Wenn man das auf Menschen bezieht, dann kann daraus ganz zwanglos ein Mitgefühl für alle lebendigen Wesen entstehen.

Mitgefühl und Achtsamkeit kann ich aber nicht abstrakt von außen predigen, es ist ein Erkenntnisweg. Jeder braucht nur sich selbst anzuschauen: Ich trage eine Jeans, ich trage ein T-Shirt, die ich nicht selbst hergestellt habe. An mir verkörpert sich meine Abhängigkeit von anderen Menschen. Ich spreche eine Sprache, die ich nicht selbst erfunden habe. Wir teilen die Sprache, sie ist uns beiden gemeinsam. Alle Erfahrungen weisen also über das Ich hinaus. Damit können wir einen Anfang machen und sagen: »Du kannst zwar ›ich‹ zu dir sagen, aber in Wahrheit bist du ein Wesen, das eingebettet ist in die Natur, in andere Menschen. Du bist abhängig und kannst dankbar sein dafür und die anderen erkennen. Habe Mitgefühl für die anderen, die für dich arbeiten.« Es ist plausibler als ein Ich, wenn man die gegenseitige Abhängigkeit in den Mittelpunkt stellt. Ich fange bei Vorträgen meist mit dieser Erfahrung an, die jeder sofort nachvollziehen kann.

Author:
Dr. Thomas Steininger
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