Heimat finden im Leben

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Published On:

November 6, 2020

Featuring:
Dr. Joachim Galuska
Ayya Khema
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Ausgabe 28 / 2020:
|
November 2020
Der Sinn des Lebens
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Joachim Galuskas Weg ins Offene

Als Arzt und Unternehmer, als Gründer der Kliniken Heiligenfeld in Bad Kissingen und Visionär der Heiligenfeld-Kongresse hat Joachim Galuska im deutschsprachigen Raum maßgeblich zu den Grundlagen einer neuen Bewusstseinskultur beigetragen. Seit Langem verbindet ihn mit evolve eine wertschätzende und freundschaftliche Zusammenarbeit. Schon bei mehreren Gesprächen und Interviews konnte ich seinen sprühenden Geist erleben und aus seinem reichen Erfahrungsschatz Inspirationen aufgreifen. Umso mehr freut es mich, dass er einwilligte, mit ihm über seinen Lebensweg zu sprechen – und das aus der Perspektive eines erneuten grundlegenden Umbruchs, in dem er sich gerade befindet.

Joachim Galuska wurde in Oppeln in Oberschlesien geboren. Als er vier Jahre alt war, wanderte seine Familie (sogenannte Heimatvertriebene) aus. Dieser Heimatverlust und die Frage »Was ist überhaupt meine Heimat?« blieben zentral in seinem Leben. Durch eine streng katholische Erziehung erfuhr er früh Licht und Schatten der Religion. »Schon als Kind hatte ich die Erfahrung von Andacht, von Ehrfurcht, des Getragenseins von etwas Größerem, was sicherlich auch einer der Hintergründe meiner spirituellen Suche geworden ist.« Die Schattenseite war die strenge, schwarze Pädagogik der katholischen Kirche, die er sowohl zuhause als auch als Messdiener erlebte.

Die Gewalt, die er dabei erfuhr, pflanzte auch den Samen für die Suche nach Heilung und heilenden Umgebungen. Er wuchs unter einfachen Verhältnissen in einem Düsseldorfer Trabanten-Stadtteil mit vielen Spannungsfeldern auf. Der Vater arbeitete als Kraftfahrer und baute sich so eine Existenz auf. Damit waren Sparsamkeit und Maßhalten in der Familie sehr präsent und prägten auch seine spätere Tätigkeit als Unternehmer.

1968, da war er 14, gab es in der katholischen Kirche eine Aufbruchsstimmung, die auch bei ihm dazu führte, den Glauben in seiner kindlichen Form infrage zu stellen und nach der Relevanz der Religion und den eigenen Werten zu fragen.

Im Studium der Medizin und Psychologie konnte Joachim Galuska dann später seine religiöse Geschichte reflektieren und tiefenpsychologisch verstehen, wodurch eine neue Freiheit gegenüber dem Religiösen entstand.

Diese Freiheit fand auf Reisen nach Asien eine spirituelle Vertiefung. Bei einer Reise nach Sri Lanka lernte er die Vipassana-Meditation und den Theravada-Buddhismus kennen, dessen Freiheit von Symbolisierungen ihn inspirierte: »Es ermöglichte mir, mein Bewusstsein zu erforschen und eine Anknüpfung an meine spirituellen Erfahrungen, die ich als Kind gemacht habe, zu finden.«

Beim Studium der Medizin war er aber bald frustriert, weil darin ein biologisches und funktionales Denken vorherrschte. Ihm fehlte der ganzheitliche Blick auf den Menschen, den er dann in einem Psychologiestudium finden wollte. Aber auch dort wurde eine physiologisch reduzierte Psychologie gelehrt.

In Selbsterfahrung und Eigentherapie in humanistischen oder körperorientierten Therapie­formen und in der Tiefenpsychologie spürte er eine Lebendigkeit des Erlebens, die ihn nach einer »beseelten Psychotherapie« suchen ließ. Mit der Fachklinik Heiligenfeld schuf er dann einen Ort für diese Vision, in der sich viele Impulse seines Lebens verdichten: »Können wir Menschen, die eine innere Zentrierung und Orientierung verloren haben, einen Ort geben, an dem sie eine neue Beheimatung in sich selbst finden können?«

Er wollte einen Ort schaffen, an dem sich Menschen mit ihren Schmerzen und Traumatisierungen konfrontieren können, um zu einer Heilung zu finden. Die Grundlage dafür ist für ihn Mitmenschlichkeit: »Es war meine Erfahrung, dass nur durch eine tiefe mitmenschliche Verbindung, die auf Empathie und Mitgefühl, letztlich sogar auf Liebe basiert, solche Wunden heilen können.« Diese mitmenschliche Beziehung gründet für ihn auf der spirituellen Erfahrung einer tieferen Verbundenheit von uns Menschen oder letztlich aller Lebewesen miteinander. In Heiligenfeld wurde und wird in der Integration von Methoden wie Achtsamkeit, Meditation, körperorientierten und kreativen Verfahren sowie tiefenpsychologischer und humanistischer Gruppenpsychotherapie Pionierarbeit geleistet.

Als Schüler der Theravada-Lehrerin Ayya Khema übte er selbst intensiv die buddhistische Achtsamkeitsmeditation mit den Zuständen der Vertiefung, in denen Bewusstseinsqualitäten wie Glück, Frieden, Gelassenheit, Stille, Unendlichkeit oder Leere erfahrbar sind. Damit geht eine Dekonstruktion der eigenen Identität einher, in den freien Raum des Gewahrseins hinein, in dem nichts mehr definiert wird.

Diese innere Freiheit war für ihn ein Schlüssel für eine beseelte Psychotherapie: »Ist es möglich, sich mit tieferen Bewusstseinsqualitäten zu verbinden? Also sich selbst in diese Erfahrung der Offenheit und Verbundenheit zu dekonstruieren, um sich dort zu verankern und dann aus dieser Haltung heraus einem Menschen zu begegnen? Für mich ist dies eine Verankerung im Seelenbewusstsein.«

Ausgehend davon, so die Erfahrung ­Galuskas, kann man auch in einem Behandlungsteam einen kollektiven Bewusstseinsraum öffnen, der einzelne Perspektiven und Erfahrungen übersteigt. Daraus entsteht für ihn eine intuitive Fähigkeit, die in einem solchen Bewusstseinsraum verankert ist und fähig wird, mit verschiedenen Perspektiven umzugehen. So kann man in einem Team zu der stimmigen, angemessenen Intervention für einen Patienten kommen.

Auch integrierte Galuska in Heiligenfeld, das er gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Fritz Lang und seiner ersten Frau Dorothea aufbaute und bald auf mehrere Kliniken ausdehnte, seine psychotherapeutische Arbeit in die unternehmerische Tätigkeit. Dabei fragte er sich, was es bedeutet, ein Unternehmen ganzheitlich zu sehen: »Plötzlich ist es kein betriebswirtschaftliches System mehr, sondern ein lebendiger Organismus. Es ist hervorgebracht von der Evolution, es existiert real als kollektives System und ist lebendig, weil es von lebendigen Menschen gestaltet wird.« In seiner unternehmerischen Tätigkeit experimentierte Galuska mit neuen Formen der wertschätzenden, achtsamen Zusammenarbeit und Führung. So entstand ein Unternehmen, das seit vielen Jahren Bestwerte in der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit erhält und als Beispiel für eine gesunde Organisationsentwicklung gilt.

ES IST SCHADE, WENN MENSCHEN SICH AUF EINE BESTIMMTE LEBENSPHASE UND EINE BESTIMMTE IDENTITÄT FIXIEREN. 

Die Zuwendung zur Welt in der Behandlung von Patienten und im Unternehmertum führte auch dazu, dass er seine Spiritualität noch einmal neu erlebte. »Die Teilhabe an dieser Erfahrung des Lebens, dass ich selbst und alles Leben, das gerade stattfindet, Ausdruck gelebter Evolution bin, eröffnet das Vergegenwärtigen einer spürenden Lebendigkeit als Grundlage einer Spiritualität des Lebens.« Dieses Erforschen einer Spiritualität des Lebens führte auch zur Gründung einer »Stiftung Bewusstseinswissenschaften« und den seit 2003 stattfinden Heiligenfeld-Kongressen. Sie waren ein Ausdruck der Frage, was Heiligenfeld zu einem lebendigen, gesellschaftlichen Leben in verschiedenen Feldern beitragen kann. Die Kongresse griffen Themen wie Spiritualität in der Wirtschaft oder in der Psychotherapie zu einer Zeit auf, als sie nur am Rande Beachtung fanden. So trug Galuska durch seine Pionierarbeit auch zu einer größeren gesellschaftlichen Akzeptanz solcher Fragen nach der Wirkkraft unseres Bewusstseins bei.

Seit diesem Jahr hat Joachim Galuska die Führung des Unternehmens in andere Hände übergeben, ist aber weiterhin als Gesellschafter tätig. Heute stellt sich für ihn die Frage: Gibt es für mich ein Leben jenseits von Heiligenfeld?

In dieser Zeit sind auch durch die zweite Heirat mit der Künstlerin Uta Galuska die Kunst, die Ästhetik, die Kreativität in sein Leben gekommen, die er in Gedichten und Streetart erforscht. Diesen offenen Raum des Forschens genießt er heute und fragt sich bei den vielen Anfragen für Interviews oder Vorträge, wie viel offener Raum d­arin spürbar ist oder ob sein Angefragtsein eher auf einem festen Bild seiner Identität beruht. Die Suche nach dem Offenen führt ihn auch immer wieder zu langen Reisen um die Welt, und auch aus dieser Offenheit heraus möchte er herausfinden, welchen Beitrag er jetzt leisten kann.

Heiligenfeld wird zum Beispiel neue Lebensumwelten erkunden, indem »Gesunde Siedlungen« als ganzheitliche Wohnformen entwickelt werden: »Wenn wir nicht nur kranke Menschen behandeln, sondern auch dazu beitragen wollen, dass Menschen weniger krank werden, sollten wir gesunde Lebensformen schaffen.«

Ein weiteres Projekt, um zu einer Gesundung unseres gesellschaftlichen Lebens beizutragen, ist das geplante »Zentrum für Bewusstseinskultur und Zukunftsgestaltung« in Berlin, wohin er seinen Lebensschwerpunkt mehr und mehr verlagert. Hier sollen alle gesellschaftlichen Felder wie Gesundheitswesen, Wirtschaft, Ökologie, Medien, Politik neu betrachtet und miteinander vernetzt werden, damit »Menschen in diesen Feldern etwas Würdiges, Lebensbejahendes und Lebensförderliches bewirken«. Gerade auch in der Corona-Pandemie wurde ihm die Dringlichkeit solch eines Dialoges bewusst.

Wie man sieht, die Ideen gehen Joachim Galuska nie aus. Und die Neugier auf das Leben ist noch lange nicht versiegt: »Es ist schade, wenn Menschen sich auf eine bestimmte Lebensphase und eine bestimmte Identität fixieren. Damit verpassen wir, dass das Leben vielleicht etwas ganz anderes von uns erwartet oder uns etwas anderes ermöglicht.«

Und mit einem Lächeln fügt er hinzu: »Manchmal habe ich das Gefühl, das Leben strahlt in dem Moment, den ich gerade erlebe. Ich strahle, das Leben strahlt, und weil dieses Gefühl so eins ist, bin ich ganz eins mit dem Leben, das gerade lebt. Es sind Geschenke, wenn das geschieht, man kann es nicht so einfach machen. Aber manchmal ergreift es mich und ich kann es vergegenwärtigen. Darin liegt etwas Wunderschönes. Es ist ein Moment, der auch bereit ist zu vergehen.« Es wirkt so, als hätte Joachim Galuska seine Heimat gefunden. 

Author:
Mike Kauschke
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