»Ich hab keine Angst vor dem Dunkel«

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Interview|Profile
Published On:

October 19, 2016

Featuring:
Gonjasufi
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Ausgabe 12 / 2016:
|
October 2016
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Ein Interview mit Gonjasufi

Die Musik von Sumach Ecks alias Gonjasufi ist schwer zu beschreiben, eine Mischung aus verschiedensten Stilen, wie Rap, Trip Hop, Psychedelic, Industrial, Rock, Ethno, Folk und mehr, zusammengeführt in einer hypnotischen Klanglandschaft mit starken emotionalen Kontrasten. Mit seinem ersten Album »A sufi and a killer« wurde Gonjasufi in der Musikszene bekannt und von Kritikern gelobt. Es führte ihn aber auch zu einer tieferen inneren Suche nach dem, was er mit seiner Kunst wirklich ausdrücken will. Nach einigen schwierigen Jahren ist er nun mit einem neuen Album zurück, das ein Ausdruck einer dunklen Nacht der Seele – und einer neuen Morgendämmerung – ist. Wir sprachen mit Gonjasufi, dem Yogi und Yogalehrer, in seinem Zuhause in der Wüste nahe Las Vegas. (Um Gonjasufi, der die Sprache der schwarzen Rap-Kultur spricht, im Original zu lesen, finden Sie einen Link am Ende des Interviews.)

evolve:Ihre Wie bist du ursprünglich zur Musik gekommen?

Gonjasufi: Weißt du, meine erste Leidenschaft war Baseball, ich wollte Profi-Baseballer werden. In der Highschool hab ich dann Rap-Musik gehört und meine Leidenschaft begann sich zu verändern. Rapmusik hat mich krass angezogen. Ich hab dann als DJ aufgelegt und meine Leidenschaft für Sport und Musik war ungefähr gleich stark. Als ich dann anfing, Hasch zu rauchen, war’s vorbei. Mein Interesse an Sport war schlagartig weg. Und die Musik hat mich einfach nur umgehaun, Mann. Ich erinnere mich, wie ich Bob Marley hörte und das Gefühl hatte, seine Stimme käme nicht aus den Lautsprechern, sondern aus meinem Inneren. So eine emotionale Energie hab ich noch nie gespürt. Seitdem bin ich davon fasziniert, dass das überhaupt möglich ist. Ist doch krass, wie so ein Klang, der aus diesen Lautsprechern dröhnt, diese Emotion in mir auslösen kann, sodass ich das Gefühl habe, ich bin in ein früheres Leben versetzt und hab gleichzeitig Vorahnungen von der Zukunft.

¬ Meine Musik fordert den Hörer heraus. ¬

Zum Ende der Highschool hatte ich dann einen schweren Auto­unfall und musste notoperiert werden. Es dauerte drei Monate, bis ich wieder laufen konnte. Ich erinnere mich, wie ich zuhause in meinem Bett lag und nur meinen Plattenspieler und meine Platten wollte. Die zweite Scheibe von Pharcyde war gerade rausgekommen und als ich die Nadel auf die Platte setzte und zum ersten Mal wieder den Sound hörte, nachdem ich fast gestorben wäre – Mann, in diesem Moment wusste ich sofort: Das bin ich. Genau das ist das krasseste Zeug auf diesem verdammten Planeten, Mann! Dieser Moment hat mein Leben verändert. Das war ein guter Moment!

Die Grenzen durchbrechen

e: In deiner Musik mischst du Elemente aus Trip Hop, Psychedelic, Industrial, Rock, Ethno und vielem mehr. Wie kommst du zu diesen vielen verschiedenen Stilen? Und wie machst du daraus einen zusammenhängenden Sound?

G: Der Sound ist einfach eine Reflexion von dem, was in mir abgeht. Für mich ist es alles das Gleiche, ich drücke aus, wie ich mich jeden Tag fühle, um diesem Chaos einen Sinn zu geben. Ich hab kein Genre, du kannst mich nirgendwo einordnen. Ich kann Folk, Jazz, Blues spielen, aber für mich sind es alles Teile, die in ein großes Bild gebracht werden müssen und einander brauchen, Mann. Ich brauch die harten Sachen und die soften Sachen, damit sie sich ausgleichen, und damit es Sinn ergibt, verstehst du. Ich will den Hörer herausfordern. Deshalb stoße ich natürlich auch Leute ab und meine Platten verkaufen sich nicht so gut wie wenn ich irgendeinen Smooth Jazz zusammenmischen würde.

Aber ich versuche, in meinem Geist Grenzen zu durchbrechen. Ich schließe die Augen und öffne meinen Geist und gehe mit Lichtgeschwindigkeit in die Zirbeldrüse, wie in Savasana im Yoga. Ich pushe, wie weit ich in meine Zirbeldrüse gehen kann und wie viele Farben ich sehen kann. Meine Musik ist eine Reflexion dieses Prozesses und von dem, was in mir abgeht. Ich muss was Ehrliches machen, was Wahres, Menschliches, verstehst du.

e: Dein neues Album »Callus« fühlt sich an wie eine Katharsis, noch intensiver als die vorherigen Platten. Welcher Prozess hat zu diesem Sound geführt?

G: Ja, Mann, das war ein schmerzvoller Prozess, die schmerzhafteste Zeit in meinem Leben, diese letzten vier bis fünf Jahre. »A sufi and a killer« kam raus und ich spielte Konzerte überall auf der Welt, ich unterrichtete Yoga, ich war auf der Höhe meiner Klarheit. Und dann hab ich das alles verloren. Die Musikindustrie hat mich verbrannt und ich hab mich von der Welt verlassen gefühlt und völlig missverstanden. Oft fühlte ich mich wie eine Marionette, verstehst du. Dann kam ich von der Tour zurück und hab versucht, mit alldem klarzukommen. Ich hatte das Gefühl, dass ich tiefer in mich selbst gehen musste und dann hab ich mich in Drogen verloren und mich wieder nach oben gekämpft. Aber es dauerte seine Zeit. Gott hat mich noch mal verschont, Bruder. »Callus« ist dieser Prozess, diese Jahre der Ehrlichkeit und Qual. Und mein Versuch, wieder ans Licht zu kommen. Ich verehre das Licht, Mann. Aber mein Herzschlag geht mit 186.000 Meilen pro Sekunde, weißt du, was ich meine? Ich geh ins Dunkel, ich hab keine Angst vor dem Dunkel.

Beim Yoga kam eine Zeit, wo ich lehrte und clean war – was ich heute wieder bin –, aber es war so ein Punkt, wo ich Angst vor Drogen hatte. Ich hatte wieder Angst vor etwas. Das hat so viel Energie gekostet, dass ich einfach den Entschluss fasste, voll da reinzugehen und hindurchzugehen, verstehst du. Daraus kommt der Mut und die Stärke, es echt zu erfahren und hinter dir zu lassen. Anstatt ständig Angst davor zu haben, diese Tür zu öffnen. Da öffne ich lieber die Tür und spring voll rein. Statt nur meinen kleinen Zeh reinzustecken, spring ich rein und lern schwimmen.

Während der Arbeit an »Callus« wäre ich fast gestorben. Aber ich bin durchgebrochen. Heute baue ich endlich wieder mein Chi auf. Ich geh wieder vier bis fünf Mal die Woche zum Yoga. Während dieser dunklen Phase hab ich nicht gelehrt, weil ich mich schuldig gefühlt hab. Wenn ich lehre, mach ich das mit voller Kraft und ich muss die Leute spüren. Ich komm jetzt wieder in meine Stärke und kann wieder heilen. Ich hab nie Yoga gemacht, wenn ich high war, es ist zu heilig für mich. Jetzt arbeite ich daran, wieder Yoga zu lehren, weil ich das am liebsten mache.

Die nächste Platte, an der ich gerade arbeite, wird ganz anders sein, kein Noise und so. »Callus« war so, dass ich alle weggedrückt habe, mit der neuen Scheibe ziehe ich die Leute wieder zu mir. Ich freu mich total auf diese neue Scheibe, sie ist fast fertig. Heute nehm ich noch ein paar Klaviermelodien auf und in einem Monat wird sie fertig sein.

Und dann will ich wieder ans Meer ziehen, Kumpel. Seit zehn Jahren lebe ich in der Wüste. Das Meer hat mich schon viel gelehrt. Eine dieser Lehren ist, dass du nie gegen die Strömung ankämpfen solltest. Wenn du in eine Stromschnelle kommst, geh mit ihr mit. Denn wenn du dagegen ankämpfst, kannst du untergehen. Und die Strömung trägt dich vielleicht krass weit raus, kilometerweit und so, und du denkst dir: Mist, das ist zu weit draußen! Aber du musst mitgehen. Und noch was hab ich gelernt beim Surfen: Es kommen immer ein paar Wellen nacheinander. Jeder will die erste Welle surfen. Ich lass sie diese erste Welle reiten, denn ich weiß, dass die nächste noch besser sein wird. Aber um diese neue Welle zu erwischen, musst du deinen alten Mist loslassen.

Den Herzschlag hören

e: Du nennst dich Gonjasufi und dein erstes Album hieß »A sufi and a killer«. Was hat es mit diesem Bezug zu den Sufis auf sich?

G:Weißt du, ich mach mir nichts aus Religion. Der Name­Gonjasufi hat mich da in eine Schublade gesteckt, denn die Leute fragen mich: »Bist du nun Moslem oder nicht?« Naja, ich bin es nicht, aber gleichzeitig doch. Die Leute und ich eingeschlossen brauchen zu bestimmten Zeiten ihres Lebens jemand anderes, an den sie glauben, um an sich selbst zu glauben. Sie glauben an Buddha,­Christus, Mohammed, Krishna, um an sich selbst zu glauben. Ich hab mich entschlossen, die Mittelsmänner loszulassen und jetzt dem Gott in mir zu vertrauen. Ich bin über den Sufi, den Gonjasufi hinausgewachsen, es ist nur eine Seite von mir, ein Ausdruck, aber ich bin mehr als das, Mann. Jetzt identifiziere ich mich mehr mit der Band, die ich mit meiner Frau gegründet habe, das finde ich momentan viel spannender. Aber ich werd weiter Sachen als Gonjasufi veröffentlichen, aber ich bin mehr als das. Viel mehr.

e: Was bedeutet dir Yoga heute in deinem Leben?

G:Die Asanas retten mich immer wieder. Das ist eine lebenslange Praxis, ein Prozess, der nie endet. Jeden Tag aufs Neue. Meine Lehrerin hat heute gesagt: »Hört auf den Klang eures Atems, wenn euch irgendetwas überwältigt. Dieser wunderbare Klang eures Atems wird euch immer wieder zu eurem höheren Selbst zurückbringen.« Das hat mich total umgehaun, Mann. Ist doch krass,­Alter! Wenn die ganze Welt sich eine Sekunde Zeit nehmen würde, um dem Klang des Atems zu lauschen. Wenn die ganze Welt sagen würde: »Heute nehmen wir uns einen Tag frei und beschäftigen uns nur mit Prana und konzentrieren uns auf den Klang von Pranayama und hören den ganzen Tag auf unseren Atem – keine Worte, nur Atmen.« Was für eine Wirkung hätte das auf die verdammte Welt und Menschheit, Alter! Wohin könnte das uns alle bringen! Wir hören doch unseren eigenen Atem nicht mehr. Aber wenn du deinen Atem hörst, dann hörst du auch deinen Herzschlag. Wenn du von deinem Atem zum Herzschlag gehst und wieder zum Atem und wieder zum Herzschlag – Mann, das ist es! Yoga zentriert mich, alles wird still. Ich komm in diese Stille, in der ich mich selbst wieder wahrnehmen kann. Und loslassen kann. Und vergeben, Bruder. Mir und allen anderen. Ich hab heute ein Zitat gelesen, das ging etwa so: Wenn du vergibst, dann befreist du den Gefangenen, nur um zu merken, dass du selbst die ganze Zeit der Gefangene warst. Das macht Yoga für mich: Ich kann mir vergeben. Und anderen auch.

Die Menschen berühren

e: Du beobachtest auch die politische Situation mit großer Aufmerksamkeit. Was beschäftigt dich momentan besonders?

G: Ich mach mir Sorgen um die Zukunft meiner Kinder, mit der Polizeigewalt gegen Schwarze, die hier in Amerika grad abgeht und der fehlenden Empathie der Leute hier. Dieses Land wurde auf Blutvergießen und Vergewaltigung im Namen Gottes aufgebaut, die indigenen Völker wurden vom ersten Tag an ermordet. Jetzt haben wir aber Kameras, die diese Verbrechen filmen. Aber selbst mit diesen Videos gibt es Leute, die das Morden wegen der Hautfarbe rechtfertigen. Das haut mich echt um, Mann. Nur wegen der verdammten Hautfarbe! Die sind voll verblendet von diesem Mist. Wenn Weiße auf der Straße erschossen würden, dann hätte ich damit ein verdammtes Problem und würd mich dagegen wehren. Die Weißen in Amerika müssen Stellung beziehen und diese Morde ansprechen, die die Polizei an der Kultur der Schwarzen verübt. Wenn das nicht passiert, wird sich nichts ändern. In den Staaten gibt es soviel Trennung. Wenn ich nach Dänemark reise und sehe, dass die mit Windrädern Strom erzeugen und progressiv unterwegs sind, dann frag ich mich, warum Amerika nicht in den gleichen Rhythmus kommen kann? Wir halten uns für die Macht der freien Welt, aber stecken im verdammten prähistorischen Mittelalter fest. Die Amerikaner sollten alle einen Pass bekommen und die Welt bereisen, damit sie verstehen, was hier eigentlich los ist.

e: Glaubst du, du kannst mit deiner Musik irgendetwas verändern?

G: Ich weiß nicht, Mann. Ich hoffe es. Schau mal, wir reden jetzt miteinander, sie eröffnet zumindest einen Dialog. Die Musik muss die Leute berühren. Ich bekomm oft ziemlich schlechte Kritiken, aber die Fans spüren, was ich will. Und in der Musikszene gibt es soviel politischen Mist, da hab ich keinen Bock mehr drauf. Ich will mit meiner Musik etwas machen, was es noch nicht gibt, was ich noch nicht gehört habe. Meine Musik fordert den Hörer heraus. Sie ist ehrlich, nicht perfekt, aber ehrlich. Es ist so leicht, nichts zu fühlen, Mann. Ich geh in mein Gefühl. Ich fühl die Sachen. Ich hab keine Angst vor dem sensiblen Zeug. Ich hab keine Angst vor der Dualität in mir. Dem Männlichen und der weiblichen Seite. Ich will einfach Kunst machen, die zum Ausdruck bringt, was ich grad durchlebe.

¬ Du solltest nie gegen die Strömung ankämpfen. ¬

Das Negative verwandeln

e: Es ist ja auch so: Nur wenn du den Schmerz fühlst, spürst du auch die Schönheit.

G:Genau, Bruder! In der Yoga-Welt gibt es viele Leute, die die negativen Energien vermeiden wollen – aber die sind Teil des Lebens. Wie bei einer Batterie, die auch einen positiven und negativen Pol hat, das hält doch diese ganze krasse Aktion in Bewegung, die Erde, das Universum. Es geht nicht darum, das zu vermeiden. Wir müssen wissen, was wir damit tun können und wie wir diese Energien nutzen können. Und sie in etwas Positives verwandeln können. Die Leute missverstehen meine Intensität als Negativität oder böses Zeug. Das stimmt nicht, Mann. Ich bin ein softer Typ. Ich bin ein Lover. Ich liebe meine Kinder und ich liebe mein Leben. Ich geb meine Seele in diese verdammte Musik, in diesem Zeug steckt meine Seele. Das kann mir keiner nehmen, meine Liebe zum Leben und zu Gott. Darum geht es, Mann. Das ist meine Gabe, ich verwandle das Negative in etwas Positives.

Denn ich weiß, es gibt Leute, die gehen durch den gleichen Mist wie ich. Und die haben keine Stimme. Die haben die gleichen Dämonen in ihrem verdammten Kopf. Wenn die Kunst, die ich raushaue, denen helfen kann, wieder zu ihrem Selbst zu finden, dann ist es alle Anstrengung wert. Weißt du, das ist mir mit Musik auch immer wieder passiert, wenn ich nicht mehr weiter wusste. Da kam so ein Song von einem Typen, der gar nicht mehr lebt, und ich fang an zu heulen. Der wusste nicht mal, dass es mich gibt, aber er rettet mein Leben. Was sonst in der verdammten Welt hat diese Power? Musik ist einfach das explosivste Element dieser Erde, Mann.

e: Eine letzte Frage: Was würdest du den Leuten sagen, wie können sie etwas Gutes in der Welt beitragen?

G:Da fallen mir ein paar Sachen ein. Schalt den Fernseher aus, auch das Internet, Wi-Fi. Nimm dir Zeit ohne irgendwelche Medien. Nimm dir Zeit, um auf deinen Atem zu hören, auf deinen Herzschlag. Nimm dir für den Rest deines Lebens jeden Tag Zeit, um deinen Atem zu hören und deinem Herzschlag zu lauschen. Und lerne zu vergeben, Mann. Und opfere etwas. Opfere etwas, das dir lieb ist. Opfere es einem höheren Sinn. Und umarme das Leiden der Menschen in deiner Umgebung. Wenn du irgendwo hingehst, urteile nicht, sondern umarme die Unterschiede, die sogenannten Fehler der Leute. Nimm sie auf dich für sie. Stärke andere, indem du voller Kraft ihr Leiden auf dich nimmst. Wenn mehr Menschen in der Welt das tun würden, dann würden wir diesen Platz finden, wo etwas Magisches geschehen kann. Such das Gute in den Menschen. Und wie immer wir es nennen, suche das höhere Selbst in den Leuten. Und beurteile andere nicht nach ihren Schwächen. All diese Dinge hängen miteinander zusammen, wenn du eines davon machst, kommen die anderen von selbst. Lass uns das zusammen machen. Und richte dich am Licht aus, Bruder. Und vertraue­darauf – wie ich gesagt habe: Folge der Strömung.

Das Gespräch führte Mike Kauschke.

Author:
Mike Kauschke
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