Im Kulturkampf um Antidiskriminierung

Our Emotional Participation in the World
English Translation
0:00
0:00
Audio Test:
Column
Published On:

January 23, 2023

Featuring:
Categories of Inquiry:
Tags
No items found.
Issue:
Ausgabe 37/2023
|
January 2023
Re-Generation
Explore this Issue

Please become a member to access evolve Magazine articles.

Wir erleben gerade ­einen Kulturkampf rund um das Thema Antidiskriminie­rung. Auf der einen Seite stehen die Vertreter und Vertreterinnen des linken Spektrums, die sich selbst als woke bezeichnen und für die Rechte von marginalisierten Gruppen kämpfen. Auf der anderen Seite stehen all jene, die ihre Privilegien und ihre Macht sichern möchten, die ihnen aus einer jahrhundertelangen gesellschaftlichen Vormachtstellung erwachsen sind. Diese Privilegien gründeten nur in der Zugehörigkeit zu einer bis dato privilegierten Gruppe, in der Regel die der weißen, heterosexuellen Männer.

Für den aufgeklärten Menschen scheint klar zu sein, wem die Sympathien zu gelten haben: den engagierten Kämpfern und Kämpferinnen gegen Diskriminierung. Und doch stellt sich bei einer wachsenden Zahl von Menschen, die für eine plurale und offene Gesellschaft und gegen Diskriminierung sind, ein Unbehagen angesichts des woken Kampfes ein, da dieser mittlerweile zum Teil selbst ausgrenzende Züge trägt.

Das rechtspopulistische Lager hat dafür den Begriff der Cancel Culture geprägt. Doch das vermeintliche Engagement gegen Zensur und für die Meinungsfreiheit der Rechten ist eher ein Kampf dafür, weiterhin die eigenen Ressentiments gegen jeden, der nicht zur eigenen Gruppe gehört, pflegen zu dürfen. Was hier als Meinungsfreiheit deklariert wird, ist der Wunsch, weiterhin ungehindert andere abwerten zu dürfen. Dies hat wenig mit dem Einsatz für Freiheitsrechte zu tun.

Doch was braucht es, damit der berechtigte Kampf gegen Diskriminierung nicht selbst zur Abwertung und Ausgrenzung führt? In meinem Buch »Grenzwertig« gehe ich ausführlich dieser Frage nach. Hier möchte ich mich auf einen Aspekt beschränken und das ist die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der zunehmenden Verfeinerung und Sensibilisierung von Kriterien, die bestimmen, was als diskriminierend gilt und was nicht.

Diese Verfeinerung ist zunächst ­weder etwas Problematisches noch etwas Ungewöhnliches. Sie steht für den Pro­zess, der mit der Humanisierung von Gesellschaften verbunden ist und sich seit Jahrhunderten vollzieht. Das Verbot der Folter oder grausamer Hinrichtungsarten, die für Menschen des Mittelalters noch völlig normal waren, war eine solche Form der Verfeinerung und Sensibilisierung.

¬ WAS BRAUCHT ES, DAMIT DER BERECHTIGTE KAMPF GEGEN DISKRIMINIERUNG NICHT SELBST ZUR ABWERTUNG UND AUSGRENZUNG FÜHRT? ¬

Zum Problem wird dieses Vorgehen, wenn standardisierte Bewertungsraster erstellt werden, mittels derer schablonenhaft Aussagen oder Handlungen bewertet werden, ohne Kontexte und Intentionen zu berücksichtigen, wie es z. B. in der Mikro-aggressionstheorie der Fall ist. Als Mikro­aggressionen gelten beabsichtigte oder unbeabsichtigte Herabwürdigungen eines Menschen aufgrund seiner Ethnie, seines Geschlechts, seiner sexuellen Orientierung oder Religionszugehörigkeit.

Die Mikroaggressionstheorie geht von zwei Prämissen aus. Erstens, dass die Intention des »Ausübenden« unerheblich ist, da nur das Empfinden des Betroffenen zählt und zweitens, dass Mikroaggressionen klar identifiziert werden können, indem man bestimmte Aussagen anhand von Kriterien, die durch diese Theorie gewonnen wurden, prüft. Die Frage »Woher kommst du?«, die Menschen gestellt bekommen, die nicht dem klassischen Phänotyp der Mehrheitsgesellschaft entsprechen, gilt in diesem Theorierahmen z. B. als Ausdruck von Rassismus, da dem Betroffenen signalisiert wird, dass er nicht dazu gehört.

Es kann sich hierbei tatsächlich um den Ausdruck von Rassismus handeln, aber es ist eben nicht zwingend gesagt, dass diese Frage aus einer rassistischen Intention heraus gestellt wird. Dahinter kann auch ein echtes Interesse am anderen stehen. Wenn wir Kontexte berücksichtigen, Mimik und Gestik bewerten, bekommen wir in der Regel hilfreiche Hinweise, wie wir die Intention des Fragenden bewerten sollen. Doch diese im Laufe der menschlichen Kulturentwicklung erworbenen Fähigkeiten spielen in diesem Diskursrahmen keine Rolle mehr, da entsprechend der Theorie die Aussage als rassistisch gilt.

Die fehlende Ambiguitätstoleranz, Unein­deutigkeiten auszuhalten, führt nun zu einer stärkeren Intensivierung des Kampfes gegen alles, was als diskriminierend festgelegt wurde. Dabei werden die Kriterien immer weiter verfeinert. Doch je feiner die Kriterien werden, desto weniger wird gesehen, was im Kampf gegen Diskriminierung bereits erreicht wurde. Die Folge ist, dass nun noch unerbittlicher gegen alles gekämpft wird, was als problematisch ausgemacht wird. Immer mehr Aussagen, Begriffe oder Verhaltensweisen werden nun zu einem no-go, das unterbunden werden muss. Dies führt zum Ausschluss immer größerer Teile der Gesellschaft und zu einem aversiven Abwehrreflex gegenüber einem berechtigten und notwendigen Anliegen.

Author:
Dr. Katharina Ceming
Share this article: