In den Wäldern der Welt

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

April 5, 2021

Featuring:
Christabel und Ruby Reed
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Ausgabe 30 / 2021:
|
April 2021
Kunst öffnet Welten
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Interaktive Bildung im Austausch der Kulturen

Christabel und Ruby Reed, zwei Schwestern, die seit langem Yoga praktizieren, waren sich einig, dass individuelle Heilung auch zu transformativem Handeln führen sollte. Um einen Impuls für diese Integration zu setzen, gründeten sie die globale Plattform Advaya, ein globales Netzwerk für innere und äußere Transformation.

evolve: Was ist das Herzstück eurer Arbeit mit Advaya?

Christabel Reed: Wir wollten von Anfang an herausfinden, wie ein gesundes Umfeld und gesunde Ökosysteme aufs Engste mit der Gesundheit des Individuums verbunden sind. Und genauso gilt, dass die Gesundheit der Gemeinschaften und Netzwerke, in denen wir uns bewegen, mit unserer individuellen Gesundheit korrelieren. Das Hauptanliegen unserer Arbeit ist dieser Blick auf das Innen und das Außen.

Zum anderen geht es darum, tiefere Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu erforschen. Wir möchten das große Ganze in den Fokus nehmen und dabei reflektieren, wie wir positive Veränderungen in der Welt anstoßen können, ohne dass es zu einer Last wird. Wir möchten, dass positive Transformation zu einer Feier unseres verkörperten Seins wird und wir unterstützen die menschliche Fähigkeit, überall dort zu Harmonie beizutragen, wo sich Disharmonie ausgebreitet hat.

e: Wie setzt ihr diese Gedanken in euren Veranstaltungen um?

CR: Wir recherchieren nach inspirierenden Menschen und Themen und kuratieren Kurse über einige der Ideen, die besonders viel Veränderungspotenzial enthalten. Wir bringen Menschen mit verschiedenen, aber einander ergänzenden Sichtweisen zusammen und vertiefen ein Thema. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Vorstellungskraft: Wir bringen einen Neurowissenschaftler, eine Aktivistin, eine Systemtheoretikerin und einen Geschichtenerzähler zusammen, die unsere Vorstellungskraft aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. So können wir unser Verständnis erweitern und die Imagination in unserem persönlichen Leben neu anwenden, wodurch wir einen anderen Zugang zur Welt finden können.

e: Könnt ihr ein neueres Beispiel anführen, wo sich diese Konzeption besonders entfalten konnte?

Ruby Reed: Gerade geben wir einen neunmonatigen Onlinekurs mit dem Titel »A Journey Home«, an dem dreihundert Personen teilnehmen. Es handelt sich um eine Reise, die mit jedem Monat an Tiefe gewinnt. Wir beginnen dabei mit den materielleren Themen wie »Nahrung und Landwirtschaft«. Jeden Monat gehen wir etwas tiefer und berühren Forschungsfelder wie Depression, Sucht und Schatten, Tod und Trauer, Mythos, Geschichten und Fantasie, Meditation und Bewusstsein.

Jeder Monat hat die gleiche Struktur. Wir beginnen mit einem »Deep Dive« mit den Sprechern, von denen wir uns die größtmögliche Inspiration in ihrem jeweiligen Feld versprechen. So haben wir beispielsweise beim Thema Tod und Trauer mit Charles ­Eisenstein und Stephen Jenkinson begonnen. Eine Woche später gab es einen Workshop mit Colin Campbell, einem traditionellen Medizinmann aus Südafrika, sowie ­Selena King, einer sogenannten Death ­Doula, einer Hebamme für das Lebensende, aus England. In den Workshops können wir die Themen, die sich zunächst beim Deep Dive herauskristallisiert haben, interaktiv mit allen Teilnehmern erforschen.

e: Was bewirken die Kurse bei den Teil­nehmenden?

RR: Wir stellen den Kurs auf der Online Plattform Mighty Networks zur Verfügung. Wir hosten das gesamte Arbeitsmaterial auf der Plattform, und jeder Teilnehmer hat ein Profil. So kann jeder jeden kontaktieren und seine Erfahrungen teilen. Die Plattform ist sehr interaktiv, was zu einem starken Wir-Gefühl und einer intensiven Verbindung unter allen Teilnehmern führt, die diese Reise ja zusammen unternehmen.

Wir nutzen die gleiche Plattform für einen weiteren Kurs, der im Mai unter dem Namen »Guardians of the Forest« beginnt. Dabei handelt es sich um einen Drei­monatskurs, in dem es um körperliche, spirituelle und praktische Ansätze im Umgang mit dem Wald geht. Dazu erwarten wir fast 50 Lehrende aus mehr als 30 Ländern weltweit. Der Kurs besteht aus sieben zweiwöchigen Modulen, die sich jeweils einer anderen Bioregion widmen. Wir beginnen in Nordost-Asien mit der Untersuchung von Themen wie Waldbaden, Qi-Gong oder Dorfhainen – unterschiedliche Formen eines sehr spirituellen Umgangs mit dem Wald. Danach wenden wir uns den Bioregionen Großbritanniens und Irlands zu, den borealen Wäldern Skandinaviens, Sibiriens und Kanadas sowie den australen Wäldern in der südlichen Hemisphäre. Chile, Neuseeland und Australien bildeten einst eine Landmasse, weshalb sie bis heute von den gleichen Wäldern bewachsen sind. Das nächste Modul widmet sich den tropischen Wäldern der Subsahara und Äquatorialafrikas in Liberia, dem Tschad, Kenia und Tansania. Dabei werden hochinteressante Menschen von dort, aber auch aus dem tropischen Regenwald Südamerikas zu uns stoßen, ehe wir uns zum Schluss mit den tropischen Regenwäldern Südostasiens beschäftigen werden, wozu wir Redner aus Indonesien, Sri Lanka und Indien hören werden.

Ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Frage, wie traditionelle Wissenssysteme und traditionelle Weisheit uns heute helfen können und wie wir uns insbesondere auf etwas einlassen können, das größer ist als wir. Bei diesem Kurs geht es um unsere Beziehung zum Wald.

WIR MÖCHTEN, DASS POSITIVE TRANSFORMATION ZU EINER FEIER UNSERES VERKÖRPERTEN SEINS WIRD.

e: Eines eurer Themen ist die Umdeutung von Aktivismus. Wie schlägt sich das in den Kursen nieder?

RR: Wir koordinieren selbst keine Aktionen, aber wir versuchen, ein neues Verständnis von Aktivismus zu fördern und damit auf Nachhaltigkeit und ein größeres Wir-Gefühl statt auf eine Polarisierung in ein Wir-­gegen-die-Anderen zu setzen. Aktivismus kann zu starker Polarisierung führen und mit Aggression oder Wut einhergehen, was letztendlich eine Schwächung bedeutet. Wir wollen Menschen durch ein integratives Narrativ zusammenbringen und uns gegenseitig ermächtigen, mit einer starken Stimme zu sprechen, die unterschiedlichste Standpunkte vereint, wodurch sich noch mehr Menschen angesprochen fühlen.

Sich hinter einem gemeinsamem Narrativ zu versammeln, ist eine Form von Aktivismus. Wir gehen nicht mit Protestbannern auf die Straße, sondern wir vermitteln eine andere Form von Bildung und Wissen. Wenn man die Welt mit anderen Augen sehen kann, erkennt man, dass man eine andere Rolle in der Welt spielen kann.

Uns haben Rückmeldungen wie die folgenden erreicht: »Aufgrund dieses Vortrags habe ich meinen Job gekündigt und ein Cateringunternehmen in London gegründet. Ich kaufe jetzt ausschließlich Bio-Lebensmittel und verkaufe mein Essen dann an Unternehmen in der Stadt.« Oder andere, deren Interesse nachhaltiger Mode galt, haben ein Projekt gegründet, bei dem sie mit sozial schwachen Menschen in Sozialwohnungen nähen und sehr schöne nachhaltige Artikel herstellen. Solche Geschichten erzählen uns viele unserer Teilnehmer: Ein Kurs hat ihr Leben verändert.

Uns ist es wichtig, sehr unterschiedliche Menschen zu erreichen und unsere Echokammer zu verlassen. Durch die Funktionsweise der sozialen Netzwerke wird die eigene Echokammer immer kleiner. ­Darum versuchen wir durch Zusammenarbeit neue Zielgruppen zu erschließen. Und diese Menschen sind es, die wir dann vielleicht mit unserer Arbeit nachhaltig prägen können. Alles andere führt nur zu einer Verstärkung bereits vorhandener Meinungen. 

Das Gespräch führten Gerriet Schwen und Mike Kauschke.

Author:
Mike Kauschke
Author:
Gerriet Schwen
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