Innen ist außen

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

July 14, 2015

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Ausgabe 07 / 2015
|
July 2015
Die Zukunft in uns
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Grenzenlose Verantwortung

Die Betrachtung der Welt als große, zusammengestückelte Ansammlung von Fragmenten, von denen einige als »Freund«, andere als »Feind« etikettiert werden, beginnt im Inneren. Wir kartografieren unsere innere Landschaft mit denselben positiven oder negativen Bezeichnungen, wie wir das bei äußeren Landschaften tun, und Kriege setzen sich drinnen genauso fort, wie sie in der Außenwelt geführt werden. Innerlich sind wir in uns selbst gespalten; die Emotionen wollen das eine, der Verstand etwas anderes, die körperlichen Impulse wieder etwas anderes. Es entsteht ein Konflikt, der sich von den Kriegen in der Außenwelt nicht qualitativ unterscheidet, sondern nur in der Dimension. Wenn wir aber zu uns selbst nicht ganzheitlich in Beziehung stehen, kann es dann überraschen, dass wir die Ganzheit der Welt nicht wahrnehmen können? Solange wir uns selbst für eine zusammengeflickte, unvergleichliche Ansammlung erwünschter und unerwünschter Eigenschaften, einander widerstrebender Motive, unverdauter Glaubenssätze, Ängste, Vorurteile und Unsicherheiten halten, werden wir das alles nicht auf die Welt projizieren?

Weil die Ursache zwischenmenschlicher Konflikte, von sozialer Ungerechtigkeit und Ausbeutung in der menschlichen Psyche liegt, müssen wir hier ansetzen, um die Gesellschaft zu transformieren. Die Erforschung des Geistes, der menschlichen Psyche, ist kein Selbstzweck, keine selbstbezogene Tätigkeit, sondern entspringt dem Mitgefühl mit der gesamten Menschheit. Wir müssen tief ­hinabtauchen zu den Quellen des gesellschaftlichen Zerfalls, damit die neuen Strukturen und sozialen Systeme, die wir entwerfen, ein hinreichend gesundes Wurzelwerk haben und tatsächlich aufblühen können. Die gesellschaftlichen Strukturen müssen transformiert werden, aber die verborgenen Motive und Grundannahmen, auf denen diese Strukturen aufbauen, brauchen ebenso eine Transformation. Die individuellen und kollektiven Werte und Motive, mit denen die Ungerechtigkeit und Ausbeutung in der gegenwärtigen Gesellschaft sanktioniert werden, müssen genauso in den Fokus des Wandels gerückt werden wie die sozio-ökonomischen und politischen Strukturen. Wir werden nicht länger zulassen können, dass die Motive und Werte, die dem individuellen und kollektiven Verhalten zugrunde liegen, verborgen bleiben und nicht untersucht werden. Langfristig ist es sinnlos, die Strukturen und das Verhalten an der Oberfläche zu verändern, wenn gleichzeitig die tiefen Fundamente dekadent und ungesund bleiben.

¬ DIE ERFORSCHUNG DES GEISTES IST KEIN SELBSTZWECK, SONDERN ENTSPRINGT DEM MITGEFÜHL MIT DER GESAMTEN MENSCHHEIT. ¬

Viele von uns, die ihr Leben dem sozialen Wandel gewidmet haben, betrachten unsere persönliche Moral und Ethik, unsere Motive und Gewohnheiten als Privatangelegenheit. Wir wollen unsere persönlichen Motive und Gewohnheiten nicht nur vor dem Blick der Öffentlichkeit, sondern genauso vor unserer eigenen Wahrnehmung verbergen. In Wahrheit aber ist das Innenleben keine private, persönliche Angelegenheit; es ist von großem sozialem Belang. Der Geist ist ein Ergebnis kollektiven menschheitlichen Bemühens. Es gibt nicht deinen Geist und meinen Geist, es ist jeweils Menschengeist. Ein kollektiver Menschengeist, der im Laufe der Jahrhunderte organisiert und geprägt wurde. Die Werte, Normen und Kriterien sind Verhaltensmuster, die von Gruppen gemeinschaftlich gebildet werden. Sie haben nichts Persönliches, nichts Privates an sich. Wir können die Tür hinter uns schließen und das Gefühl haben, dass niemand unsere Gedanken kennt, aber was wir in der sogenannten Privatsphäre tun, hat seinen Einfluss auf das Leben um uns. Wenn wir uns zum Opfer negativer Energien und negativer Gedanken machen lassen, wenn wir uns Depressionen, Melancholie und Bitterkeit hingeben, verschmutzen diese Energien die Atmosphäre. Wo ist dann noch die Privatsphäre? Um soziale Verantwortung zu übernehmen, müssen wir lernen, den Geist als etwas kollektiv Geschaffenes zu betrachten, und erkennen, dass unser individueller Ausdruck ein Ausdruck des menschheitlichen Geistes ist.

Author:
Vimala Thakar
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