Katalysator der Transformation

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Interview
Published On:

November 7, 2019

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Ausgabe 24 / 2019:
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November 2019
Offene Heimat
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Reifung als lebenslanger innerer Weg

Tomas Björkman arbeitete in der Finanzbranche und gründete danach die Ekskäret Foundation, welche mit Retreats und anderen Aktivitäten die Bewusstseinsentwicklung von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen unterstützt. Unter anderem etablierte er ein Retreat-Zentrum auf der schwedischen Insel Ekskäret und Co-Working- und Co-Living-Spaces in Stockholm und Berlin. Wir sprachen mit ihm über das Zukunftspotenzial des transformativen Lernens, das im Zentrum seiner Stiftungsaktivitäten steht .

evolve: Wie sind Sie auf diese Möglichkeit der inneren Entwicklung aufmerksam geworden?

Tomas Björkman: Mein Interesse an innerer Entwicklung wurde geweckt, weil in der Geschäftswelt unter Unternehmensberatern das Verständnis herrscht, dass der wichtigste Charakterzug eines guten Managers die innere Reife ist. Die besten Management-Trainingsprogramme sind diejenigen, die sich auf die vertikale innere Entwicklung konzentrieren, im Gegensatz zum herkömmlichen horizontalen Lernen, bei dem wir uns mehr Fähigkeiten oder Fakten aneignen.

In einer vertikalen Entfaltung verwandeln wir nicht den Inhalt unseres Bewusstseins, sondern wir entwickeln das Bewusstsein selbst – unsere Fähigkeit, tiefere Muster zu erkennen, komplexer zu denken, mit schnellen Veränderungen umzugehen und mehrere Perspektiven einzunehmen. Und wenn wir in der Lage sind, mehrere Blickwinkel einzunehmen, entwickelt sich auch unser Einfühlungsvermögen auf nahezu natürliche Weise; es ist nicht nur eine kognitive Entwicklung.

Als mir klar wurde, dass wir uns alle auf einer lebenslangen inneren Reise der Reifung befinden, fragte ich mich: Warum reden wir in der Gesellschaft nicht darüber? Das war der Zeitpunkt, an dem ich anfing, mich mit Methoden für meine eigene innere Entwicklung zu beschäftigen und herauszufinden, wie man solche Programme für junge Menschen und Erwachsene entwickeln kann, um sie bei ihrem inneren Wachstum zu unterstützen.

e: Welche Ansätze verwenden Sie, um diese innere Reifung zu unterstützen?

TB: Es gibt bereits viele wundervolle Methoden und Erkenntnisse. Wir versuchen, diese in die Realität umzusetzen und anzuwenden. Außerdem habe ich unser Retreat-Zentrum auf einer Insel inmitten unberührter Natur gegründet, weil ich selbst die Natur als Katalysator für die innere Transformation erlebt habe. In Bezug auf die persönliche Entwicklung verwenden wir Methoden wie Gestaltpsychologie, Psychosynthese und Radical Collaboration. Wir nutzen vielseitigste Werkzeuge, um das Beste aus verschiedenen Traditionen zu verbinden und je nach Zielgruppe maßgeschneiderte Kurse zusammenzustellen. Manchmal kommen die Teilnehmer aus dem Top-Management und in anderen Fällen sind es junge Erwachsene, die gerade die Universität abgeschlossen haben. Selbstverständlich benötigen wir für verschiedene Gruppen unterschiedliche Methoden. Meine unternehmerische Inspiration drängt mich, immer neue Wege zu suchen, um die Bewusstseinsentwicklung zu unterstützen. Deshalb fragte ich mich: Wie würde ein Co-Working-Space aussehen, in dem die innere Reifung unterstützt wird? Dies war die Grundidee für die Gründung des Ekskäret Cluster in Stockholm, einem gemeinsamen Arbeitsbereich, in dem 50 Menschen arbeiten und sich gegenseitig in ihrem inneren Wachstum unterstützen. Wir haben in Berlin einen ähnlich bewussten Co-Working-Space, den »Co-Creation Loft« eingerichtet und vor zwei Jahren in der Stockholmer Innenstadt einen Co-LivingSpace gegründet, in dem 50 Menschen im Alter von 19 bis 55 Jahren aus 20 verschiedenen Nationalitäten zusammenleben, die sich aber auch gegenseitig auf ihrem Entwicklungsweg unterstützen. Darunter sind Technologie- und Sozialunternehmer oder Künstler – alles Menschen, die wirklich einen Einfluss auf die Gesellschaft haben wollen. Gleichzeitig erkennen sie, dass sie dies nur aus innerer Bewusstheit leisten können und arbeiten daher auch an ihrer eigenen inneren Reifung.

Wir möchten ein sicheres Umfeld schaffen, in dem Menschen sich trauen, zu experimentieren und offen zu sein.

e: Bei all den Initiativen, durch die Sie diese Entwicklung unterstützen möchten, was sind die Dynamiken, die Prozesse und auch die kulturellen Formen der Interaktion, die diese Transformation ermöglichen?

TB: Wir haben die vertikale Entwicklung in fünf Bereiche aufgeschlüsselt, die wir als fünf transformative Fähigkeiten bezeichnen. Dies sind nur Überschriften für viele verschiedene Kompetenzen. Die erste ist die Offenheit: sich neuen Impulsen nicht zu entziehen. Die nächste ist die Suche nach Perspektiven, das heißt, aktiv nach mehr Betrachtungsweisen zu verschiedenen Themen zu suchen. Die dritte ist Verstehen – wenn wir offen sind und nach weiteren Perspektiven suchen, können wir die Dinge komplexer, nuancierter und tiefer erkennen. Die nächste ist die Entwicklung des inneren Kompasses und schließlich übergreifend die Fähigkeiten des Mitgefühls, wozu Selbstmitgefühl und Empathie gehören.

Die gute Nachricht ist, dass es viele wissenschaftliche Beweise dafür gibt, dass all diese Fähigkeiten entwickelt werden können. Die schlechte Nachricht ist, dass sie nicht auf herkömmliche Weise unterrichtet werden können. Wenn jemand in Ihrem Team mehr Mitgefühl entwickeln möchte, können Sie ihn oder sie nicht einfach zu einem dreitägigen Mitgefühlseminar schicken, und dann kommt er oder sie mit einem Diplom für Mitgefühl zurück. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten beinhaltet tiefere psychologische Prozesse, und wir benötigen eine andere Art des Lernens, die einige Psychologen als »transformatives Lernen« bezeichnen. Es ist oft ein intensives Lernen über einen längeren Zeitraum. Interessanterweise entdeckte ich zusammen mit Lene Rachel Andersen, dass die Entwicklung zur Moderne und Postmoderne in den nordischen Ländern viel mit der Schaffung von Lernumgebungen zu tun hat, die auf der deutschen Idee der »Bildung« beruhen, wie sie von Denkern wie Goethe, Schiller oder Humboldt formuliert wurde, und wie wir es in unserem Buch »The Nordic Secret« beschreiben.

Ein Merkmal für dieses transformative Lernen ist, dass man einen Ort benötigt, an dem sich die Menschen sicher fühlen, eine Umgebung, die Halt gibt. Denn wenn wir Angst haben, sind wir blockiert. Die Menschen müssen sich verletzlich und offen zeigen können. Aber diese sichere und haltgebende Umgebung reicht natürlich nicht aus. Wir müssen auch in unseren Denk- und Verhaltensweisen herausgefordert werden, was durch verschiedene Lebensereignisse oder durch induzierte Dilemmas, Übungen oder Reflexionen geschehen kann. Dies ist unser Ansatz in einer kontrollierten, sicheren Umgebung während eines Retreats. Sei es ein Jugendcamp oder ein Wochenendseminar für Erwachsene, wir möchten ein sicheres Umfeld schaffen, in dem Menschen sich trauen, zu experimentieren und offen zu sein. Und dann können wir die Teilnehmenden ein wenig herausfordern, sich und ihre Beziehungen, die Gesellschaft und die Welt auf neue Weise zu erkennen und zu fühlen.

Author:
Mike Kauschke
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