Kleider machen Leute

Our Emotional Participation in the World
English Translation
0:00
0:00
Audio Test:
Interview
Published On:

October 29, 2014

Featuring:
Eva Gronbach
Categories of Inquiry:
Tags
No items found.
Issue:
Ausgabe 04 / 2014:
|
October 2014
Führung neu denken
Explore this Issue

Please become a member to access evolve Magazine articles.

„Mode ist immer Evolution“


Eva Gronbach ist eine international anerkannte Modedesignerin, die in ihrer Mode immer auch die politische, gesellschaftliche soziale und spirituelle Dimension im Blick hat. evolve sprach mit ihr über ihre Arbeit und die Wirkung von Mode auf unser Bewusstsein.


evolve: Mode ist etwas, das man auf den ersten Blick nicht mit Tiefe verbindet, aber auf den zweiten Blick hat Mode sehr viel mit unserem Bewusstsein zu tun. Ist diese Frage, was Mode für unser Bewusstsein bedeutet, für dich als Modedesignerin ein Anliegen?

Eva Gronbach: Ja, das fängt eigentlich schon bei der Konzeption meiner Arbeiten an, oft kommen mir die Themen dafür wie eine Vision, also sie sind plötzlich da und ziehen mich an, sie kommen nicht aus einer rationalen Überlegung. Und es sind große evolutionäre Themen, die mich besonders interessieren. Dazu gehört für mich vor allem auch, wie wir ein globales Bewusstsein, eine globale Kultur entwickeln können. Deshalb finde ich momentan zum Beispiel die Mode aus Afrika besonders spannend, in den nächsten Jahrzehnten wird Afrika glaube ich die spannendsten Impulse in der Mode geben.
Mein Lehrer ist Yōji Yamamoto, ein Designer mit einem sehr spirituellen Hintergrund, dessen Arbeit auch aus dem Zen und der Meditation schöpft. In seiner Arbeit folgt er künstlerischen Prozessen, bei denen er Impulse seiner Heimat, wie Kimonos oder die Mode der Geishas, mit modernem Modedesign verbindet. So begegnen sich auch in seiner Mode Welten, wenn er bei den großen Modeschauen in Paris gezeigt wird.
Ich denke auch, dass sich heute das Bewusstsein verändert, aus dem Mode gemacht wird. Die Zeit der großen Egos ist vorbei, also diese großen Designer wie Chanel, Gautier oder Lagerfeld, denen es vor allem auch um sich selbst ging. In der jüngeren Generation ist es den meisten Designern nicht mehr so wichtig, sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Die Selbstinszenierung gerät in den Hintergrund. Heute sind es erstmals überwiegend junge Frauen, die einfach hart arbeiten und tolle Designs machen, bei denen die Arbeit selbst im Zentrum steht.

e: Was hat dich dazu gebracht, Mode zu designen?

EG: Es war irgendwie wie ein innerer Drang. Als Kind schon hatte ich eine Art „Nähfieber“, ich wollte unbedingt etwas nähen und hatte auch wirklich erhöhte Temperatur dabei, weil ich so aufgeregt war. Es war diese Suche nach dem nächsten Einfall, wo es mich hinführt, wie der Stoff sich verhalten wird, was daraus am Ende werden wird. Mode ist immer Evolution. Für mich ist es wie ein tieferer Antrieb, Dinge neu gestalten zu wollen. Das ist dieser kreative Gedanke des Schaffens von Realitäten.

e: Ist Mode für dich spirituell?

EG: Ein Buddha oder ein Ganesha aus Messing ist Materie und kann sehr, sehr spirituell sein. Mode kann auch spirituell sein, es kommt nur darauf an, wie ich sie auflade. Für mich ist es vor allem eine liebevolle Qualität und eine totale Achtsamkeit und Gegenwärtigkeit. Diese Achtsamkeit versuche ich auch in meinem Umgang mit Stoffen und allen Details zum Ausdruck zu bringen. Ein Beispiel sind die Stoffe, die ich über zehn Jahre von den Bergarbeitern bekommen habe, um sie dann für die Kollektion „German Jeans“ zu nutzen. Ich verwende also die Kleider aus den stillgelegten Zechen im Ruhrgebiet, die über Jahrzehnte getragen wurden. Wir mussten diese Kleidung auftrennen, waschen und dann lege ich meine Schnitte darauf und sie werden wieder in eine neue Form gebracht. Aus diesem beigen, ausgewaschenen Stoff mit Rissen und Löchern entsteht dann Designer-Mode. Heute würde man das wohl als „Upcycling“ bezeichnen, ein Abfallprodukt, das sozusagen veredelt und erhoben wird. Was im Prinzip auch ein Evolutionsprozess ist. Dieser ganze Prozess der Transformation war von Achtsamkeit getragen. Und ich kann diese Qualitäten dann auch bei den fertigen Stücken spüren. Das Gegenteil davon ist die Masse an Billigkleidern für andere Marken, die unter anderem in Bangladesch eigentlich unter Bedingungen der Folter genäht werden. Für mich sind diese Unterschiede real, denn wir laden die Kleidung mit Energien auf. Ich bin mir sicher, dass man Materie aufladen kann und dass man auch Modekollektionen aufladen kann. Aber das ist anstrengend und braucht eine entsprechende Absicht.

Mode kann auch spirituell sein, es kommt nur darauf an, wie ich sie auflade.

e: Bei „German Jeans“ fällt dieser Kontrast zwischen rauer Bergearbeiterkleidung und Haute Couture auf. Und auch die soziale Dimension, der sterbende Bergbau des Ruhrgebiets und damit auch der Bergarbeiterkultur.

EG: Ja, diese soziale Dimension ist mir extrem wichtig, ich liebe diese großen Überblicke. Ich möchte diese großen Bewegungen erkennen, darin meinen Platz finden und dem, was ich darin erkenne, eine Form zu geben. Diese weiten Blicke sind mir wichtiger als die Details. Mein Logo ist ja der Adler, der auch hochschweben und sich alles von oben anschauen kann. Wenn ich diesen großen Blick habe, werde ich ganz ruhig und zuversichtlich und sehe so viel Schönheit und Klarheit. In diesen großen Überblicken liegt auch eine tiefe Heilungskraft, es ist zutiefst lebensbejahend.

e: Heilung ist auch ein Stichwort in deiner Arbeit, in deiner Auseinandersetzung mit Deutschland. Eines deiner aufsehenerregendsten Projekte hieß „Liebeserklärung an Deutschland“. Was war deine Absicht dabei?

EG: Mir war wichtig darzustellen, wie schön es ist, in Deutschland zu leben und wie sehr ich die Menschen hier liebe. Das Projekt habe ich 1999 konzipiert, als der Ruf Deutschlands international viel schlechter war als heute. Diese „Liebeserklärung an Deutschland“ war ein Heilungsprozess in mir, diese Heilung hat in mir stattgefunden in der Zeit, als ich im Ausland studiert habe, und ich wollte sie sichtbar nach außen bringen. Ich wollte einen gesellschaftlichen Heilungsprozess über die Mode anstoßen.
„Liebeserklärung“ habe ich es deshalb genannt, weil ich mich ganz klar vom Stolz distanzieren wollte. Wenn man sich anschaut, zum Beispiel bei der Fußball-WM in diesem Jahr, wie selbstverständlich diese Liebe zu Deutschland heute eigentlich ist, dann habe ich das Gefühl, dass ich dazu ein klein wenig beitragen konnte. Bei der WM 2006 hatte ich den Auftrag von der Bundesregierung, das offizielle Fan-Shirt zu gestalten. Was dann bei dieser WM in Deutschland passiert ist, war eine kollektive Heilungserfahrung für viele Menschen in der Beziehung zu ihrem Land. Und ich denke, nur durch Liebe ist diese Heilung möglich.

Author:
Dr. Thomas Steininger
Share this article: