Kosmopolitik in schwerem Wasser

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

July 18, 2019

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Ausgabe 23 / 2019:
|
July 2019
Was das Geld mit uns macht
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Bei der Europawahl ist die EU noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Die Kräfte, die auf Abschottung und Unilateralismus drängen, haben nicht in dem Maße Terrain gewonnen, wie erwartet wurde, und die EU-freundlichen Parteien haben zumindest in wichtigen europäischen Staaten wie der Bundesrepublik, in Spanien, Portugal oder den Niederlanden gut abgeschnitten. Dennoch stellt sich nach wie vor die Frage, mit welcher inneren Haltung wir der nicht nur in Europa spürbaren nationalistischen Wende begegnen sollten, um nicht reflexhaft in ein vereinfachendes Freund-Feind-Schema zu verfallen, das in vielen politischen Kommentaren anzutreffen ist. Ein Blick auf das Wirken Dag Hammarskjölds, des ersten Generalsekretärs der Vereinten Nationen, kann hier hilfreich sein.

Hammarskjöld, der 1961 bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz auf dem Weg in den Kongo ums Leben kam, vereint und repräsentiert für mich zwei »Typen« in einer Person, die in dieser Kombination nur selten zu finden sind: die des philosophischen Mystikers und die des politischen Botschafters.

Sehr verkürzt könnte man sagen, dass diese beiden Figuren archetypisch ein Spannungsfeld vertreten, in dem auch die Politik sich bewegt: dem Ideal oder der Idee auf der einen Seite und der sogenannten sozialen, ökonomischen und kulturellen Realität auf der anderen.

Die Idee der Weltbürgerschaft, der Vereinten Nationen und einer Weltgemeinschaft von Menschen, die sich den gemeinsamen Zielen von Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit verbunden fühlen und die Dag Hammarskjöld in eindrucksvoller Weise vertrat, begreife ich als die Richtkraft und den Treibriemen, an dem Politik und gesellschaftliche Gestaltung im Sinne einer Sozialen Skulptur, das heißt, einer solidarischen Gestaltung von natürlicher und sozialer Welt sich ausrichten sollte.

Wenn ich hierbei von einer Idee als Richtkraft spreche, so hat das einen tieferen Grund. Nicht umsonst spricht man in der Kunst von der Idee eines Romans, der Idee eines Filmes, ja, sogar von der Idee einer Skulptur oder der Idee eines Bildes, der Bildidee. Ohne Idee bleibt eine Gestalt willkürlich, konturlos, ja sie zerfällt.

Das bedeutet jedoch nicht, dass in der Kunst das Werk eine Sklavin der Idee ist. Der Gegenstand oder der Stoff des Kunstwerks hat ein Eigenleben und die Kunst besteht darin, dem Stoff sein Recht zu geben, ohne dabei die Form, das heißt die Idee, zu verlieren.

Es geht darum, die Entwicklung des Menschen zum sozialen Künstler als unser eigentliches Kapital zu begreifen.

Überträgt man diese Einsicht auf die Politik, so sieht man, dass der Mystiker und Diplomat Dag Hammarskjöld, der die Idee der Weltbürgerschaft so eindrucksvoll vertrat, ein Staatskünstler im wahrsten Sinne des Wortes war. Um die Weltbürgerschaft heute konkret werden zu lassen, bedarf es beispielsweise einer Demokratisierung und Verlebendigung all derjenigen vergesellschafteten Formen, in denen Menschen gemeinschaftlich tätig sind. Was heißt es, künstlerisch an einem Projekt zu arbeiten? Welche individuellen und sozialen Fähigkeiten brauchen wir, um nicht in alte Hierarchien zurückzufallen und mit neuen Formen der Kooperation zu experimentieren? Wir stehen vor der Frage einer Personal-, Organisations- und Institutionsentwicklung, in der mit neuen Kooperationsformen experimentiert wird und benötigen Kreativitätslabore, Akademien, in denen experimentiert und praktiziert werden kann, inwieweit sich die Suche und das Bedürfnis nach individueller Entfaltung und die Ziele gemeinsamer Arbeit nicht ausschließen, sondern, ganz wie in der Kunst, in der der Stoff nach der Form strebt, sich individuelle Kreativität und die Idee des Ganzen ergänzen.

Das ist vielleicht der mystische Kern, der in der Politik und in der Kosmopolitik steckt und den es in Zukunft immer mehr gilt zur Entfaltung zu bringen. Es geht darum, die Entwicklung des Menschen zum sozialen Künstler als unser eigentliches Kapital, das Humankapital zu begreifen. Das ist ein ganz präziser Weg aus der Angst. Ich denke, dass das in seinem Innersten auch Dag Hammarskjöld, den Mystiker bewegte, denn es ist vermutlich der einzige Weg zu echter, kosmopolitischer Kooperation.

Author:
Dr. Wolfgang Zumdick
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