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Book/Film Review
Published On:

July 16, 2020

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Ausgabe 27 / 2020:
|
July 2020
Schönheit
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Eine Besprechung des Filmes »Im Feuer der tanzenden Stille – Reflexionen mit Vimala Thakar« von Renata Keller

Vimala Thakar ist eine spirituelle und soziale Revolutionärin unserer Zeit, die sich jeder Kategorisierung entzieht – sah sie doch keinen Unterschied zwischen der Dringlichkeit, unser inneres Selbst und die äußere Welt zu transformieren. Ohne diesen wichtigen Film von Renata Keller, die jahrelang Geschäftsführerin und Art-Direktorin von evolve war, wären Vimalas wesentliche Erkenntnisse möglicherweise für immer verloren gegangen.

Der Dokumentarfilm »Im Feuer der tanzenden Stille« lässt die Kraft dieser mutigen Inderin lebendig werden. Vimala starb bereits 2009, doch was sie zu sagen hat, ist heute noch relevanter als in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in denen sie hauptsächlich wirkte. Einer der überraschenden Aspekte des Filmes ist wohl die Erkenntnis, dass wir nicht auf die Krise reagiert haben, auf die Vimala so deutlich aufmerksam machte, und erst dieses Versäumnis zu der gegenwärtigen vielschichtigen Krise geführt hat.

Vimalas außergewöhnliche Lebensgeschichte, ihre kraftvolle Botschaft an uns alle und Renata Kellers eigene Beschäftigung mit ihr verweben sich in dem Film nach und nach zu der Stille, zu der uns Vimala aufruft. Ein Bootsmann, der seine Bambusstange in unaufgeregtem Rhythmus ins Wasser sinken lässt, die vorbeiziehenden Ufer des Ganges, ein Adler, der seine Bahnen durch die blauen Lüfte zieht, oder die akribische Präzision eines Sandgemäldes der Göttin Durga, das auf dem Boden eines Tempels entsteht – all dies eröffnet im Film einen Raum, der den Betrachter einlädt, langsamer zu werden und sich in die Tiefe sinken zu lassen.

Die Regisseurin mit Schulmädchen im Haus von Vimala Thakar.

Schon immer führte Vimala Thakar ein außergewöhnliches Leben. Aufgewachsen in einer sehr progressiven indischen Familie, die einer hohen Kaste angehörte, wurde sie von ihrem Vater ermutigt, offen und frei ins Leben zu treten und sich nicht einem Glaubenssystem oder einer Obrigkeit zu unterwerfen. In ihrer leidenschaftlichen Unabhängigkeit weigerte sie sich später zu heiraten und schloss sich bereits als junge Frau der von Ghandi inspirierten Bodenreform-Bewegung an. Wie der Film zu Recht herausstellt, repräsentierte diese Bewegung eine unblutige Revolution, die in der Menschheitsgeschichte wohl einzigartig sein dürfte: Angeführt von Vinoba Bhave, Vimala und weiteren Akteuren zogen Menschen zu Fuß durch ganz Indien, um vermögende Landbesitzer dazu zu bewegen, einen Teil ihres Landbesitzes an die Armen abzugeben. Hier werden Einblicke in bemerkenswertes Archivmaterial aus dieser Zeit gewährt – mit Bildern von der zierlichen Vimala, an der Seite von Bhave, gefolgt von unzähligen Inderinnen und Indern auf dem Fußmarsch durch Indien.

Der Film greift auch die schicksalhafte Begegnung Vimalas mit dem spirituellen Lehrer J. Krishnamurti auf. In dem Wissen, dass Vimala nach einem Autounfall von quälenden Ohrenschmerzen geplagt wurde, befreite Krishnamurti – der nie als Heiler bekannt wurde – sie von ihren Schmerzen. In dem Film wird eine Gesprächsszene zwischen dem weisen Lehrer und der jungen Frau nachgestellt, in der er Vimala auffordert, mutig voranzugehen und den Menschen den Weg zum Erwachen zu weisen. Da sie unsicher war, wie sie die ihr offensichtlich zugänglichen Einsichten zum Ausdruck bringen sollte, zögerte sie zunächst vor diesem Schritt. Aber schließlich folgte sie dem Ruf doch und reiste dreißig Jahre lang durch die ganze Welt, um Vorträge zu halten und Meditationscamps zu begleiten.

KÖNNTE VIMALA THAKAR ZU EINEM LEUCHTFEUER FÜR EINE JÜNGERE GENERATION WERDEN?

Besonders eindrucksvoll gelingt die Darstellung von Vimalas Unterweisungen, die mit Archivaufnahmen gegenwärtig werden. Laut und klar vermittelt Vimalas Stimme die Dringlichkeit ihrer Botschaft über die Krise der durch den menschlichen Verstand herbeigeführten Trennung von der Ganzheit und über innere und äußere Ausdrucksformen von Gewalt. Sie ruft uns – auch heute – dazu auf, die Ganzheit des Lebens jenseits von Verstand und Wissen zu entdecken, und lädt uns ein in die Geborgenheit des grenzenlosen Nichtwissens.

Unter dem Eindruck der einzigartigen Kraft dieser außergewöhnlichen spirituellen Lehrerin kann man leicht traurig darüber werden, dass Vimala Thakar keine größere Bekanntheit erlangte. Renata Keller besucht auch das Haus, in dem Vimala dreißig Jahre lang gelebt hat. In der Etage unter ihren früheren Räumen befindet sich heute eine Mädchenschule. Einige der Mädchen kommen neugierig angelaufen und fragen, wer denn diese Frau war, die dort früher gelebt hat. Der Austausch und die auf beiden Seiten spürbare Freude über die Begegnung zwischen den Generationen lassen erahnen, was sich entwickeln könnte: Könnte Vimala – und das, was sie als spirituelle Lehrerin und Frau verkörpert hat – zu einem Leuchtfeuer für eine jüngere Generation werden? Renata Keller hat – sowohl mit ihrem Film als auch mit ihrem Engagement für Vimalas Vermächtnis – die Saat für diese Möglichkeit gelegt.

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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