Schatten der Religion

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November 7, 2019

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Ausgabe 24 / 2019:
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November 2019
Offene Heimat
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Über das Buch »Heiliger Zorn – Wie die frühen Christen die Antike zerstörten« von Catherine Nixey

Religion ist ein zweischneidiges Schwert, das wissen wir nicht erst seit den Auswüchsen eines islamistischen Fanatismus mit seiner Zerstörungswut. Religiöse Traditionen haben uns zahlreiche kulturelle Schätze geschenkt, aber auch zu unvorstellbarer Gewalt geführt. Wohin ein verabsolutierendes spirituelles Denken führen kann und wie wichtig es ist, sich auch den Schattenseiten unserer westlichen Kulturgeschichte zu stellen, zeigt die junge britische Historikerin und »TIMES«-Journalistin Catherine Nixey. In ihrem vielbeachteten Buch »Heiliger Zorn« hat sie umfangreich nachgewiesen, dass auch bereits die frühen Christen ähnliche Zerstörungsorgien begangen haben, wie wir sie heute von Islamisten kennen, um ihren neuen Gott gewaltsam gegen religiöse Vorstellungen der griechisch-römischen Antike durchzusetzen.

Mit welchem Furor schon christliche Eiferer im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. wüteten, blieb bisher weitgehend unbekannt und die Autorin wundert sich selbst über die Zurückhaltung, mit der Historiker dieses düstere Kapitel bisher behandelten. Bereits kurz nach der Erhöhung des Christentums zur römischen Staatsreligion durch Konstantin den Großen im Jahre 380 n. Chr. begann eine Welle der Zerstörung von »heidnischen« Tempeln, Götterstatuen und Texten.

Nixey dekonstruiert auch einige Mythen über das angeblich immer nur friedfertige Christen- und Märtyrertum: Die neue Religion bot den Menschen nicht nur Trost und versprach ewige Seligkeit nach dem Tode, sondern bot vor allem ein effektives Kampfmodell an, mit dem sich »Gute« von »Bösen«, Gottes- von Satansanbetern unterscheiden konnten. Der »heidnische« Götterkosmos von Apollo, Aphrodite, Isis, Pan und Bacchus, der jahrhundertelang Schönheit, Poesie und Weisheit verbreitet hatte, wurde mit einem Mal als verkommene Götzenreligion verdächtigt. Während die Römer fremde Götter mühelos in ihr Pantheon integriert hatten und dasselbe auch für den christlichen Gott vorschlugen, blieben die Missionare des neuen Glaubens unerbittlich: Jeder, der noch in die Tempel der alten Naturreligion ging, musste von seinem »verstockten Herzen« erlöst werden, notfalls auch mit Gewalt. Die neue Kirche, so erläuterte Augustinus die effektive Psychotechnik des Christentums, strafe nur »aus Liebe« und sei ja eigentlich nur ein Arzt, der sich um kranke und vorübergehend geistesgestörte Patienten kümmere. Hier, so fügt Catherine Nixey hinzu, seien die intellektuellen Grundlagen für tausend Jahre theokratischer Unterdrückung gelegt worden.

Viele Heiden empfanden die religiöse Pluralität als Bereicherung.

Besonders eindrucksvoll sind in dem Buch Stimmen »heidnischer« Intellektueller, die schon damals voller Besorgnis auf die Bekehrungswut der neuen Christen schauten und für Toleranz und Vielstimmigkeit der Religionen plädierten. So der antike Philosoph Kelsos aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert, der sich für einen großzügigen Polytheismus einsetzte: Manche Äthiopier, so schrieb er, verehrten nur Zeus und Dionysos, die Araber nur Urania und Dionysos, die Ägypter Osiris und Isis. Was er dabei impliziere, so Nixey, sei ein deutliches »Na und?« Viele Heiden wie Kelsos empfanden die religiöse Pluralität als Bereicherung, doch den Christen war sie ein Dorn im Auge.

Besonders erschütternd ist auch Nixeys Nachweis, dass die christlichen Eiferer nicht nur die reiche griechisch-römische Mythenwelt eliminierten, sondern auch die Axt an das große Erbe der attischen Philosophie legten. Plastisch schildert sie die Akademie des neuplatonischen Denkers Damaskios in Athen, wo er – von kühlenden Brunnen und alten Götterstatuen umgeben – mit seinen Schülern ganz im Sinne moderner philosophischer Diskurse über verbotene, ambivalente und kontroverse Dinge debattierte, bis der Palast schließlich im 6. Jahrhundert n. Chr. geschlossen wurde.

Das Buch versteht sich dabei nicht als Demontage des Christentums, das ja auch viele positive Werte, Inspiratoren und Kunstwerke hervorgebracht hat. Nixey möchte aber aufzeigen, dass Religionen generell nicht nur Werte wie Frieden, Liebesfähigkeit und Demut fördern können, sondern auch ausgrenzendes Denken, das unter bestimmten Umständen entfesselt und zu barbarischen Verbrechen gesteigert werden kann.

Author:
Ruediger Suenner
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