Schmerz und Schönheit bezeugen

Our Emotional Participation in the World
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Published On:

November 7, 2019

Featuring:
Thomas Hübl
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Ausgabe 24 / 2019:
|
November 2019
Offene Heimat
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Seit mehr als 25 Jahren treffen sich im späten Herbst Menschen in Auschwitz, um zu meditieren und Zeugnis abzulegen für die menschlichen Gräuel, die dort achtzig Jahre zuvor stattfanden. Das »Auschwitz Bearing Witness Retreat« wurde von Roshi Bernie Glassman begonnen und wird seit seinem Tod im letzten Jahr von der von ihm gegründeten Organisation »Zen Peacemakers International« fortgeführt. Die gleichen Prozesse wurden bei Retreats in Bosnien, Ruanda, in Reservaten der Ureinwohner Nordamerikas und anderswo angewendet.

Das Interesse an der Praxis des Zeugnisablegens als ein individueller und kultureller Transformationsprozess geht über die Initiativen von Glassman Roshi hinaus. Zeugnis ablegen ist eine der grundlegenden Einsichten, aus welchen Versöhnungsprozesse wie der Truth and Reconciliation Process in Mandelas Südafrika entwickelt wurden. Wenn schwere Ungerechtigkeiten und Gewalt Menschen traumatisiert und getrennt haben, ist der öffentliche Akt der Anerkennung des moralischen Unrechts und Unglücks ein entscheidender Schritt zu einer kulturellen und individuellen Heilung.

Grundsätzlich bedeutet das Zeugnisablegen die volle, offene und nicht-wertende Aufmerksamkeit für ein menschliches Wesen und ermöglicht eine tiefe Berührung. Daraus entsteht eine Antwort oder ein Handlungsimpuls aus der Nichtgetrenntheit. Roshi Glassman beschrieb das Zeugnisablegen durch diese drei Grundsätze: Nicht-Wissen – Loslassen von festgelegten Vorstellungen über sich selbst, andere oder das Universum. Zeugnis ablegen – für die Freude und das Leid der Welt. Handeln – das aus dem Nicht-Wissen und dem Zeugnisablegen hervorgeht.

Unsere globale Verbundenheit bietet neue Gelegenheiten, das Zeugnisablegen gemeinsam zu üben. Seit 2017 bietet die Initiative One World in Dialogue das 24-stündige, globale Online-Event »One World Bearing Witness« mit Meditation und Dialog an. Dieses Jahr wird auch »Zen Peacemakers International« an dem Online-Treffen teilnehmen, bei dem Individuen und Gruppen von überall auf der Welt zusammenkommen,um Zeugnis dafür abzulegen, dass wir zur Erde gehören. Die Kernidee ist, eine Vertiefung unseres menschlichen Bewusstseins durch dieses globale Netzwerk zu schaffen, um zu erkennen, dass wir Menschen nicht von dieser Erde getrennt sind, die uns das Leben schenkt. Zeugnis ablegen in diesem Kontext bedeutet, dass wir beides sehen – sowohl den Schmerz über unsere Destruktivität gegenüber der Erde als auch die Schönheit und die Freude, die uns die Erde gibt.

2017 begann der spirituelle Lehrer Thomas Hübl einen Prozess zu erforschen, den er als Global Social Witnessing bezeichnet. Laut Martin Bruders, der ein Teil des Teams ist, welches eine Forschungskonferenz über diesen Prozess vorbereitet, ist Global Social Witnessing »… die Fähigkeit, wirklich in Beziehung zu gehen mit Ereignissen, die geschehen« mit unseren Gedanken, Gefühlen und dem Körper. Indem wir genau beobachten, wie wir auf Ereignisse in unserer Umgebung, in der Zeitung oder im Fernsehen reagieren, werden wir zu Zeugen dieses Ereignisses und unserer Resonanz. Bruders erklärt: »Vielleicht ist da ein Krieg oder eine sehr intensive Konfliktsituation;wie kann ich da bezogen bleiben, wie kann ich da der Raum werden, in dem dies gefühlt stattfinden kann, bezeugt wird?« Bruders stellt klar, dass Global Social Witnessing nicht nur eine individuelle Praxis von Verbundenheit ist, sondern auch eine soziale Praxis mit anderen.

Zeugnis ablegen bedeutet, dass wir den Schmerz und die Schönheit sehen.

Diese neuen Ansätze des Zeugnisablegens verwenden das Wissen über geglückte, individuelle Traumaheilung, um am sozialen oder globalen Körper zu arbeiten. Noch wichtiger ist vielleicht, dass wir dadurch erkennen können, dass wir alle Teil eines Lebensprozesses und einer ungeteilten Bewusstheit sind. Ohne Unterschiede und die Kräfte der Trennung zu überspringen, tragen diese Ansätze dazu bei, den Abstand zwischen uns aufzulösen und uns durch das Mitgefühl und die Resonanz unseres geteilten Mensch-Seins zu verbinden.

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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