Von Profit zu Vertrauen

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Interview
Published On:

October 26, 2015

Featuring:
César Morán-Cahusac
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Issue:
Ausgabe 8 / 2019
|
October 2015
Eine Welt im Dialog
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Ein integrales Projekt für fairen Handel

César Morán-Cahusac war einer der Moderatoren eines integralen Projekts mit Beteiligten an der Wertschöpfungskette der Paranuss-Produktion, mit dem Ziel, alle zusammenzubringen – angefangen bei den Bauern in den Urwäldern von Peru und Bolivien bis hin zu den Einzelhändlern in den USA.

evolve: Was waren deine Erfahrungen bei diesem Projekt, das die Wertschöpfungskette der Paranuss-Produktion umgestalten sollte?

César Morán-Cahusac: Dieser Prozess war sehr intensiv, weil wir mit sehr unterschiedlichen Menschen aus ganz verschiedenen Hintergründen arbeiteten. Beteiligt waren indigene Bauern, Vertreter der verarbeitenden Industrie, die Exporteure und Importeure. Wir sprachen mit Menschen aus indigenen Gemeinschaften, die eine starke Verbindung mit ihrem Land pflegen. Sie haben ihre eigene Lebensform, ihr eigenes Verhältnis zur Zeit, ihre eigenen Wahrnehmungen – die ganz anders sind als bei einem Ingenieur aus den USA. Wir arbeiteten mit Amerikanern, Peruanern, Bolivianern – Menschen mit ganz unterschiedlichen Erwartungen.

Allein schon diese verschiedenen Menschen in einem Raum zu versammeln, war eine Herausforderung. Wir leiteten innere Prozesse an, damit die Leute begannen, einander zu vertrauen, darunter auch Begegnungsübungen, Beschäftigung mit Texten oder geführte Meditationen. Ich praktiziere Aikido, deshalb verwendeten wir beispielsweise einige Atem- und Bewegungsübungen aus der Kampfkunst. Außerdem sprachen wir gemeinsam über ihre jeweiligen Lebensgrundlagen, über Resilienz, über Nachhaltigkeit und darüber, wie sich das Produkt weiterentwickeln könnte.

In dem eineinhalb Jahre dauernden Prozess trafen wir uns fünf Mal für jeweils fünf Tage. Wir planten den gesamten Prozess nach der Theorie U von Otto Scharmer, damit sich die evolutionäre Intelligenz des Systems, in diesem Fall die Wertschöpfungskette als Ganzes, zeigen konnte. Und wir verwendeten die vier Quadranten der integralen Theorie, welche die Wirklichkeit in vier Dimensionen abbildet: In der individuellen inneren Dimension arbeiteten wir an der Entwicklung des Selbst, indem wir persönliche Fähigkeiten und Führungsqualitäten aufbauten; beispielsweise förderten wir den Wandel der Identität von einem Akteur in einer Wertschöpfungskette hin zu einer Führungsperson in einer Nachhaltigkeitskette. In der individuellen äußeren Dimension trainierten wir Fertigkeiten, um die Kompetenzen am Arbeitsplatz, wie z. B. die Kommunikationsfähigkeit, zu verbessern. In der kollektiven inneren Dimension arbeiteten wir an der Entwicklung von Vertrauen und einem Gemeinsamkeitsgefühl unter allen Beteiligten der Wertschöpfungskette, um z. B. neue Ansätze zur Konfliktlösung zu lernen. In der kollektiven äußeren Dimension betrachteten wir die Effektivität der Wertschöpfungskette, etwa die Steigerung der Anzahl der produzierten und verschifften Container und die Reduzierung der Zeit, in der ein Produkt auf den Markt gebracht wird.

e: Wie war die Erfahrung für die Menschen aus so verschiedenen Hintergründen?

CMC: Es war eine Herausforderung, und einige Leute verließen den Prozess, zum einen weil sie den Sinn solch eines transformativen Prozesses nicht sahen oder er zu herausfordernd wurde. Wir begannen mit 28 Personen und am Ende waren es 15. Aber im Laufe der Zeit bildete sich eine Kerngruppe, die durch den ganzen Prozess ging. Am Anfang war sie zersplittert, so wie die Wertschöpfungskette selbst fragmentiert war. Aber im Laufe des Prozesses wurde die Gruppe kohärent, die Mitglieder verstanden einander und waren letztendlich in der Lage, sich gegenseitig zu vertrauen. Das alleine ist schon eine riesige Leistung. Ein Teilnehmer sagte nach dem Programm: »Vielen Dank für die Workshops und für alles, was jeder Beteiligte beiträgt. Ich erlebe nun die Wertschöpfungskette als ein Ganzes, und wir konnten spüren, dass wir ein verantwortlicher Teil davon sind.« Im letzten Schritt des Prozesses tauchte in der Gruppe eine eigene neue Metapher für die Wertschöpfungskette auf, die sich, so könnte man sagen, in eine »Vertrauenskette« verwandelt hatte. Sie nannten sie »Integrated Nuts«, ein neuer Ansatz bei der Ernte, bei der Verarbeitung und beim Verkauf von Paranüssen.

e: Wie würdest du diesen neuen Ansatz beschreiben?

CMC: Neu ist zum Beispiel, dass die Handelspreise offen diskutiert werden, denn als Bauer wird man oft vom Käufer ausgenutzt. Die Preisgestaltung ist kompliziert, wenn man ein Produkt hat, dessen Preis vier Monate nach der Ernte der Nüsse festgelegt wird. Dabei gibt es viele heikle Themen, bei denen es um Vertrauen, Preistransparenz, Geldzahlungen und Preisverhandlungen im Voraus geht.

¬ ALLEIN SCHON DIESE VERSCHIEDENEN MENSCHEN IN EINEM RAUM ZU VERSAMMELN, WAR EINE HERAUSFORDERUNG. ¬


e: Was konnte deiner Ansicht nach durch dieses Vertrauen entstehen?

CMC: In den Workshops ging es vor allem auch um Führungskompetenz, wobei alle Teilnehmer lernen konnten, was es in ihrem Bereich bedeutet, Selbstführung zu praktizieren. Wir gaben jedem das Gefühl, dass sie oder er für die Gruppe wichtig ist. Das war neu, weil beispielsweise die Menschen aus indigenen Stämmen sich selbst nicht als wichtig erachteten. Gewöhnlich waren sie diejenigen, die bei der Festlegung des Preises und der Wertschätzung ihrer Arbeit das Nachsehen hatten. Sie verstanden, dass auch sie sich aktiv einbringen und Themen zur Diskussion stellen können.

Das war extrem wichtig, denn sie hatten vorher nie eine Stimme. Es war ein enormer Gewinn, dass die verschiedenen Teile der Wertschöpfungskette mit einbezogen waren, denn jetzt wird nicht mehr um den Preis gekämpft, sondern für die Wertschöpfungskette, um gemeinsam besser arbeiten und leben zu können. Es ist eine transparente Form von Business, bei der Vertrauen entsteht: Die Menschen verstehen einander und lernen einander kennen. Sie wissen, mit wem sie sprechen und verhandeln nicht mit einem anonymen Paranussbauern. Sie sprechen mit bestimmten Menschen und es entstehen persönliche Beziehungen untereinander.

Ich nehme an, dies kann mit jeder beliebigen Wertschöpfungskette funktionieren. Wir können eine Form von internationalem Handel anstreben, wo die Beteiligten Mitgefühl und Einfühlungsvermögen füreinander entwickeln. Das Problem beim Handel in einer globalen Wertschöpfungskette ist, dass es vor allem um Profit geht, wofür auch Informationen manipuliert werden und jeder nur seinen eigenen Vorteil sucht.

e: Glaubst du, dass dieses Projekt das Potenzial zeigt, die Fragmentierung in Wertschöpfungsketten zu überwinden, um solch eine integrierte »Vertrauenskette« zu entwickeln?

CMC: Ich denke, wir müssen neue Wege finden, um mit solchen Situationen umgehen zu können, an denen so viele Stakeholder aus verschiedenen Kulturen und Lebensformen beteiligt sind. Im Prozess fanden sie eine gemeinsame Basis, ein grundsätzliches Vertrauen und ein tieferes Verständnis für die Wertschöpfungskette selbst. Nun gibt es auch Nachvollziehbarkeit. Die Händler wissen genau, von welchem Bauern die Nüsse kommen, und die Preise sind transparent, was für einen wirklich fairen Handel ex­trem wichtig ist.

Das Projekt war eine Partnerschaft mit Costco, dem viertgrößten Einzelhändler in den Vereinigten Staaten, ebenso mit Condor, einem der Haupteinkäufer, und weiterhin mit der kanadischen Nonprofit-Organisation Integral Without Borders Institute. Wir versuchen, mit Costco an neuen Projekten zu arbeiten. Vermutlich werden wir das mit der Kokosnuss-Wertschöpfungskette in Ecuador tun, und wir hoffen auf ein Projekt mit Schokolade. Aber es braucht Zeit; es ist ein neuer Ansatz und das Unternehmen, welches die Rohprodukte kauft, muss es finanzieren und muss daher den Wert solch eines transformativen Prozesses verstehen.

Author:
evolve
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