Wenn Gott und Mensch einander umtanzen

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Book/Film Review
Published On:

January 24, 2018

Featuring:
Peter Sloterdijk
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Issue 17 / 2017:
|
January 2018
Die Postmoderne und darüber hinaus
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Eine Besprechung des Buches »Nach Gott« von Peter Sloterdijk

Peter Sloterdijk ist einer der bekanntesten deutschen Philosophen, und einer der weltweit einflussreichsten. Seine Bedeutung zeigt sich auch in seinem Essayband »Nach Gott«, wo er virtuos Bezüge rund um das Geistige, das Mystische und das Göttliche umkreist, berührt, verknüpft. »Nach« Gott, das klingt nach Atheismus und Materialismus. Aber Sloterdijk schöpft – anders als andere deutsche prominente Philosophen wie Richard David Precht und Thomas Metzinger – nicht aus neurophilosophischen Ideen. Solche modernen Versuche, Geist und Person auf den Körper, das Nervensystem und sogenannte Neuronenmuster zu reduzieren, verwirft Sloterdijk und geht damit einen Schritt über modernes und postmodernes Denken hinaus.

Für ihn ist das Geistige einfach da und beeinflusst uns Menschen ganz grundlegend, es kann uns in vielen verschiedenen Formen und Weisen begeistern und »beseelen«. Es kann uns aber auch pathologisch bis geradezu dämonisch besetzen, wie er in dem Essay »Epochen der Beseelung« ausführt. In mancher Hinsicht erscheint ihm gerade das moderne Denken und Leben von allen guten Geistern verlassen: »Psychotherapeuten, die diesen Namen verdienen, müssten den Versuchungen der Automaten-­Psychologie und dem Zug der Massenkultur zur Innenweltentleerung … widerstehen. Jede therapeutische Begegnung mit dem Anderen bleibt eine Probe auf die Beseelbarkeit des Einzelnen durch ihre Einladung in eine erweiterte Psychosphäre« (S. 256).

Das Geistige wird bei Sloterdijk nicht »zurückgeführt« auf Nicht-Geistiges. Es ist aber auch nicht einfach göttlich: »Offenbar sind eine Vielzahl von Kreativitäten und eine Vielzahl von Reflexivitäten in der Welt, die nicht von einer zentralen göttlichen Instanz … monopolisierbar sind. Die Erde ist ein polyvalent intelligenter Ort« (S.21). Der Titel des Buches »Nach Gott« bedeutet also durchaus, dass Sloterdijk einen »zentralen Gott« im Sinne des traditionellen Herrgotts und der entsprechenden Theologie für passé hält, für demaskiert und dekonstruiert. Gibt es für ihn also nichts Göttliches?

Für Sloterdijk ist das Geistige einfach da und beeinflusst uns Menschen ganz grundlegend.

Das Mystische jedenfalls gibt es für Sloterdijk unbedingt, nur offenbart es sich nicht als Über-Person wie in der westlichen Religion oder als »Leerheit« wie in östlichen Traditionen. Mystik ist für ihn zuallererst die vorgeburtliche Ur-Erfahrung: »[d]as schwebende In-Etwas-Sein des kampflosen Gehirns« (S. 297). Die Verteidigung und Wiedergewinnung dieses Schwebens gegen das gehetzte moderne Machen-Müssen und Jemand-sein-Müssen ist ihm wichtig: »Die Mystik als bloße ›Regression‹ des Subjekts auf vorichhafte Zustände zu erklären, wäre selbst regressiv – eine Kapitulation vor den kulturellen Tendenzen, die den Innenraum reduzieren und schließen« (S.298).

Mystik ist für Sloterdijk auch die Erfahrung, in und aus Sphären inniger Berührung mit anderen heraus überhaupt erst Mensch zu sein: in und aus der Mutter, der Liebe und Freundschaft, oder auch der geistigkulturellen Umgebung, in und aus der wir leben. Nicht umsonst heißt Sloterdijks Hauptwerk »Sphären«.

Gibt es für ihn vielleicht unter den Sphären eine göttliche? Es gibt da schon Anklänge. Zum Beispiel die Unterscheidung zwischen bloßen Genies, die nur ihre eigene Kunst ausleben, und »Aposteln«, die die Menschen auch für etwas begeistern können, was weit über sie hinausgeht. Und seine Idee der Perichoresis, wörtlich übersetzt ein Umeinander-herum-Tanzen, auch umschrieben als »Ineinandersein, Ineinanderverschränkung, Ineinanderdringen« (S. 165). Sloterdijk erörtert die Idee im Zusammenhang mit der Dreifaltigkeit, aber jene »Orte Gottes … Orte der Ko-Subjektivität oder der Ko-Existenz oder der Solidarität« passen durchaus in seine Sphärologie, denn diese ist eine Philosophie der auch geistigen Symbiose: »Die ineinander im Gemeinsamen enthaltenen Personen verorten sich selbst, und zwar … ohne dabei an der Deutlichkeit der Verschiedenheit Schaden zu nehmen« (S. 16).

Eine sozialutopische oder kosmische Rettung für die Menschheit auf unserem Planeten sieht er allerdings nicht: »Der Versuch, die äußere Welt umfassend in die Blase hineinzuziehen, führt zu Formatfehlern … denn nichts verkennt die Eigengesetzlichkeiten von Mikrosphären wie Makrosphären so sehr wie der Versuch, die dunkle, übervölkerte Erde im ganzen umstandslos zu einer transparenten und homogenen Heimat für uns alle zu machen« (S. 171).

Hat Sloterdijk meditativ-spirituellen Menschen etwas Erbauliches oder wenigstens Ermutigendes mit auf den Weg zu geben? Jedenfalls keine Hoffnung auf Führung, Fürsorge, Erlösung durch »das« Göttliche – an so etwas glaubt er wohl genau nicht. Aber er versucht uns mit viel Esprit, Intellekt, Bildung dafür zu begeistern, uns nicht durch die Moderne »entgeistern« zu lassen.

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