Wissende Felder oder sich bewusstwerdende Menschen?

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Interview
Published On:

February 2, 2021

Featuring:
Nikolaus von Stillfried
Albert Einstein
Categories of Inquiry:
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Issue:
Ausgabe 29 / 2021:
|
February 2021
Wissenschaft
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Wissenschaft und systemische Aufstellungen

Nikolaus von Stillfried verbindet Welten: Als Berater arbeitet er mit Systemaufstellungen und als Philosoph und Wissenschaftler forscht er zum Thema Bewusstsein. Wir sprachen mit ihm über die mögliche Wirkung nicht-lokaler Felder und Grenzen der wissenschaftlichen Methode.

evolve: Die Aufstellungsarbeit ist ein spannendes Feld. Familienaufstellungen haben als therapeutische Methode eine große Verbreitung gefunden, Systemaufstellungen werden in der Organisationsberatung vermehrt angewandt. Andere Menschen finden diese Erkenntnismethode zumindest aus einer herkömmlich wissenschaftlichen Sicht fragwürdig. Menschen werden in einem Raum aufeinander bezogen »aufgestellt«. Sie sind »Repräsentanten« für einzelne Bestandteile eines Familiensystems oder eines Organisationssystems, das ein Klient besser verstehen möchte. Und obwohl die »Repräsentanten« das reale System nicht kennen, wird in ihren Wahrnehmungen, Intuitionen und Impulsen anscheinend viel darüber »sichtbar«. Sie arbeiten selbst als Aufsteller, aber Sie sind auch Wissenschaftler und Philosoph. Ist Aufstellungsarbeit wissenschaftlich erklärbar oder doch Hokuspokus?

Nikolaus von Stillfried: In meiner Tätigkeit als Aufsteller erlebe ich, dass die Methode funktioniert. Die Menschen sagen oft: »Ja, das hat geholfen, das würde ich wieder machen, das würde ich weiterempfehlen.« Das spiegelt sich auch in den bisher durchgeführten systematischen Befragungsstudien zur Wirksamkeit der Aufstellungsarbeit wieder. Aus einer beraterischen Perspektive genügt das im Grunde.

Für die Forschung steht als nächstes aber die Frage an, wie es zu dieser Wirkung kommt. Ein Aspekt steht dabei im Zentrum des Interesses, Sie haben ihn ja schon angesprochen: Die Klienten sprechen oft von erstaunlichen Übereinstimmungen zwischen dem System, wie es sich in der Aufstellung in den Äußerungen und Handlungen der Repräsentanten zeigt, und dem realen System. Von einer Art Wiedererkennung des eigenen Systems also. Zusätzlich zeigen sich in einer Aufstellung aber meist auch Eigenschaften des Gesamtsystems oder einzelner Repräsentantinnen, die für die Klienten neu sind. Daraus lassen sich gewissermaßen »Arbeitshypothesen« im Bezug auf das Anliegen des Klienten ableiten. Manche davon sind so einleuchtend, dass die Klienten einen klassischen Aha-Moment erleben. Manche können aber auch irritierend sein, weil sie stark davon abweichen, wie die Klienten ihr reales System bislang eingeschätzt haben. Durch die ebenfalls wahrgenommenen Übereinstimmungen mit ihrem realen System werden sie jedoch motiviert, die Möglichkeit zuzulassen, dass dennoch »etwas dran sein könnte« an den irritierenden Informationen. Und das kann sehr nützlich sein, um alte Gewissheiten zu hinterfragen und auf ganz neue Gedanken zu kommen.

Was wirkt?

e: Und wie erklärt man nun diese wahrgenommenen Übereinstimmungen aus wissenschaftlicher Sicht?

NvS: Es gibt dazu verschiedene Vorschläge, aber bislang keinen Konsens, weder unter Wissenschaftlern noch unter Beraterinnen. Aus der Beraterperspektive ist das schade, denn ich würde den Klienten ja gerne ganz genau erklären können, wie das funktioniert. Aus Wissenschaftlerperspektive gibt es aber natürlich nichts Spannenderes als ein Phänomen, für das wir noch keine allgemein anerkannte Erklärung haben. Wie kann es sein, dass »wildfremde« Menschen, die in einer Aufstellung stellvertretend für bestimmte Personen oder Elemente eines Systems stehen, Dinge tun und sagen, in denen Menschen, die das reale System kennen, dieses wiedererkennen?

ES GIBT VIELES, WAS WIRKT, OBWOHL WIR NICHT GENAU VERSTEHEN WARUM.

Hier werden gegenwärtig primär zwei Erklärungsansätze diskutiert. Die sind sehr unterschiedlich, aber schließen sich nicht gegenseitig aus. (Ich halte sogar für wahrscheinlich, dass eine Kombination der beiden Erklärungen zutreffend ist.)

Zum einen gibt es die sogenannten konstruktivistischen Wirkhypothesen. Die gehen davon aus, dass es uns Menschen möglich ist, aus Informationen, die eigentlich gar nichts mit uns zu tun haben, für uns sinnhafte Informationen herauszufiltern. Sie kennen vielleicht den Rorschach-Test. Dabei schauen Menschen auf zufällige Tintenkleckse und sehen unterschiedliche Dinge, je nach ihrer psychischen Verfassung. Es scheint also, dass unsere Psyche unbewusst beeinflusst, was wir wahrnehmen und was nicht. Im Bezug auf die Aufstellungsarbeit könnte das bedeuten, dass uns aus einem Sammelsurium mehr oder weniger zufälliger Aussagen und Handlungen der Repräsentanten besonders diejenigen auffallen, die wir erwarten. Das könnte den »Wiedererkennungseffekt« erklären. Darüber hinaus könnte es sein, dass unterbewusstes, intuitives Wissen über das reale System dazu führt, dass Klientinnen auch solche Informationen besonders auffallen, die sie zwar nicht bewusst erwarten, die aber mit diesem unterbewussten Wissen kongruent sind. Aufstellungen würden an dieser Stelle dann vor allem dadurch wirken, dass sie uns unser unterbewusstes Wissen bewusst machen. Das ist eine bemerkenswerte Hypothese. Sie impliziert, dass wir Menschen unterbewusst hilfreiche Informationen in uns tragen und sie uns in bestimmten Settings bewusst machen können.

Der zweite Erklärungsansatz für den »Wiedererkennungseffekt« besteht in den sogenannten ontischen Wirkhypothesen (vgl. gr. όντως [óntos]= seiend). Sie postulieren, dass die Übereinstimmung zwischen Aufstellung und realem System eben nicht (nur) »im Auge der Betrachter« konstruiert wird, sondern dass eine tatsächliche Verbindung existiert zwischen der Person, die in der Aufstellung stellvertretend für ein Element steht, und diesem Element in der Realität. Als zugrunde liegende Wirkmechanismen werden zum Beispiel »stellvertretende Wahrnehmung«, »geistige Kräfte«, »telepathische Verbindungen« oder »wissende Felder« genannt.

Derartige Dinge sind aber bislang nicht Teil unseres wissenschaftlichen Weltbildes. Deshalb werden entsprechende Vorschläge schnell als Humbug abgetan. Das ist nachvollziehbar, aber wissenschaftstheoretisch nicht haltbar. Denn die Abwesenheit eines Beweises ist nicht mit dem Beweis der Abwesenheit zu verwechseln. Präziser wäre zu sagen, dass es bisher keine zwingenden wissenschaftlichen Belege für die Existenz dieser Wirkmechanismen gibt, dies jedoch auch nicht zwingend bedeutet, dass sie nicht existieren. Es könnte z. B. einfach sein, dass sie nur (noch) nicht messbar sind.

Nicht-lokale Verbindung

e: Dass man die Existenz solcher mysteriösen Wirkmechanismen nicht ausschließen kann, heißt aber noch nicht, dass sie wahrscheinlich ist. Gibt es wirklich gute Gründe anzunehmen, dass es eine reale innere Verbindung zwischen der Aufstellung und z. B. einem Familiensystem gibt?

NvS: In meinem Erleben und im Erleben vieler Kolleginnen und Kollegen kommt es bei Aufstellungen immer wieder mal zu Situationen, wo unglaublich markante und präzise Übereinstimmungen zum realen System auftreten. Im Zusammenhang mit solchen Situationen wirkt auf mich persönlich die These, dass eine Aufstellung nur eine rein zufällige Informationswolke erzeugt, die nichts mit dem realen System zu tun hat, nicht restlos überzeugend. Dass es rein durch Zufall zu Übereinstimmungen kommen kann, die dann konstruktivistisch verarbeitet werden, ist zwar klar. Aber bei extrem frappierenden Übereinstimmungen erscheint mir intuitiv die Wahrscheinlichkeit dafür extrem gering, und im Umkehrschluss die Plausibilität eines (evtl. zusätzlichen) realen Wirkmechanismus größer.

Ein zusätzlicher Grund, warum die Annahme eines ontischen Wirkmechanismus überhaupt im Bereich des Vorstellbaren für mich liegt, ist meine intensive Beschäftigung mit der Philosophie der Quantentheorie. Es gibt ja in der Quantenphysik bekanntermaßen diese Verschränkungsphänomene: Quantenprozesse, die an unterschiedlichen Orten in der Raumzeit stattfinden, korrelieren miteinander, ohne dass dies vollständig auf Ursache-Wirkungsbeziehungen zurückgeführt werden kann. Zur Erklärung dieses Phänomens wurde in der Physik ein neues Prinzip eingeführt, die sogenannte »Nichtlokalität«. Albert Einstein nannte es auch »spukhafte Fernwirkung«. Ich habe mich unter anderem intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob dieses Prinzip auch die Basis für ontische Korrelationen zwischen repräsentierendem und repräsentiertem System in Aufstellungen darstellen könnte.

ES GIBT KEINE MÖGLICHKEIT, WIE IRGENDJEMAND ANDERES FESTSTELLEN KANN, WIE ES IST, ICH ZU SEIN. 

In der Regel werden nichtlokale Korrelationen zwischen makro­skopischen Objekten auf Grund des Dekohärenz-Prinzips ausgeschlossen. Die Nichtlokalität der vielen einzelnen Quanten mittelt sich sozusagen heraus. Es gibt jedoch auch die Hypothese, dass die Nichtlokalität, die man bei den Quanten gefunden hat, nur ein Spezialfall eines viel allgemeingültigeren systemtheoretischen Prinzips ist. In diesem Fall könnte sie unter bestimmten Bedingungen auch in makroskopischen Systemen zum Tragen kommen. Es gibt zwar keine zwingenden logischen Gründe oder empirischen Belege für die Existenz solcher sogenannten generalisierten Verschränkungen, aber es gibt auch keine, die dagegensprechen.

Wenn ich also einerseits die teilweise wirklich verblüffenden Übereinstimmungen in Aufstellungen betrachte und mir andererseits vor Augen führe, dass unser gegenwärtiges wissenschaftliches Weltbild eine ontische Erklärung dieser Übereinstimmungen nicht a priori ausschließt, dann ergibt sich für mich schon eine gewisse Plausibilität für derartige Überlegungen. Aber wie gesagt, auch die konstruktivistischen Ansätze erscheinen mir plausibel und könnten einen großen Teil der Wirkung von Aufstellungen erklären. Beide Ansätze bedürfen auf jeden Fall noch weiterer Forschung.

Wobei ich dazu noch anmerken will: Es gibt Gründe anzunehmen, dass die sogenannte generalisierte Verschränkung, selbst wenn es sie wirklich geben sollte, nicht auf die gleiche Art und Weise nachgewiesen werden könnte, wie die Verschränkung bei einzelnen Quanten. Es würde den Rahmen sprengen, das hier im Detail zu erläutern, aber es hat damit zu tun, dass das Auftreten von nichtlokalen Korrelationen vermutlich maximale Freiheitsgrade der korrelierten Ereignisse voraussetzt, diese Freiheitsgrade aber in makroskopischen Systemen unter kontrollierten experimentellen Bedingungen nicht herstellbar sind.

Nicht nachweisbares Bewusstsein

e: Wissenschaftlich gesehen bliebe dann etwas Mysteriöses. Denn wissenschaftliche Erkenntnis bedeutet heute quantifizierbare Objektivierbarkeit.

DIE EXISTENZ DIESES BEWUSSTSEINS KANN NICHT OBJEKTIVIERT WERDEN.

NvS: Es gibt vieles, was wirkt, obwohl wir nicht genau verstehen warum. Das ist kein Problem. Zum Beispiel ist für viele Medikamente nur nachgewiesen, dass sie wirken, aber nicht genau bekannt, wie sie wirken. Zweitens, die Objektivierbarkeit ist ganz offensichtlich nicht das einzige Kriterium, das wir anlegen können, wenn es um die Frage geht, was wir als real betrachten und was nicht. Ein Beispiel: Auch als sehr rational geprägter Mensch bin ich davon überzeugt, ein Bewusstsein zu haben. Ich weiß nicht, wie ich leugnen sollte, dass ich hier gerade ein qualitatives, subjektives Erleben habe oder bin. Gleichzeitig ist klar, dass die Existenz dieses Bewusstseins (zumindest bislang) nicht objektiviert werden kann. Es gibt kein Messgerät für Bewusstsein. Es gibt keine Möglichkeit, wie irgendjemand anderes feststellen kann, wie es ist, ich zu sein. Es gibt keine physikalische Formel, in der als Input oder Output Bewusstsein vorkommt. Es gibt kein Naturgesetz, das irgendetwas mit Bewusstsein zu tun hat. Insofern kann und muss man eigentlich sagen: Es ist wissenschaftlich nicht nachweisbar, dass es Bewusstsein gibt. Trotzdem gibt es für mich als Individuum nichts, von dem ich mehr überzeugt sein kann. Denn alles andere, von dem ich denke, dass es existiert, erkenne ich ja nur dadurch, dass es in meinem Bewusstsein auftaucht.

Hier zeigt sich möglicherweise eine Grenze der gegenwärtig als wissenschaftlich definierten Methodik. Ich glaube, es ist eine der größten Herausforderungen für die Wissenschaft, den epistemologischen Status des subjektiven Erlebens zu erfassen.

Author:
Dr. Thomas Steininger
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