Alles ist kreative Intelligenz?

Our Emotional Participation in the World
English Translation
0:00
0:00
Audio Test:
Kolumne
Publiziert am:

July 7, 2025

Mit:
Kategorien von Anfragen:
Tags
No items found.
AUSGABE:
47
|
July 2025
Interbeing
Diese Ausgabe erkunden

Die Einsichten der neuen Biologie (siehe Ausgabe 46 von evolve) könnten zu der Behauptung verdichtet werden, dass alles, was in der Natur gegeben ist, kreative Intelligenz sei. Dies wäre eine typische Allaussage oder Generalisierung. Sie ist so richtig oder falsch, wie die universalisierenden Aussagen: ­»Alles lebt« oder »Alles fühlt«. Dahinter stehen universal bejahende Urteile, geprägt von dem erkenntnisleitenden Interesse, unser menschliches Denken, Fühlen und Empfinden in einen Grenzbereich hineinzuführen, in welchem wir uns besonders wachsam, achtsam, vor- und umsichtig bewegen. Es würde nämlich ausreichen, einen einzigen »Gegenstand« anzugeben, der nicht lebt, der nicht fühlt, der keine kreative Intelligenz behausen würde – dann wäre die gemachte Allaussage falsch. Andersherum müssten wir alles Mögliche, alles Denk- und Erfahrbare untersuchen, um immer und überall davon sprechen zu können, dass alles fühlt, lebendig, schöpferisch und intelligent sei. Und da kommt zweifelsohne nur eine mehr oder weniger gute Annäherung ohne faktische Überprüfbarkeit zum Tragen.

Bitte werden Sie Mitglied, um Zugang zu den Artikeln des evolve Magazins zu erhalten.

Die Einsichten der neuen Biologie (siehe Ausgabe 46 von evolve) könnten zu der Behauptung verdichtet werden, dass alles, was in der Natur gegeben ist, kreative Intelligenz sei. Dies wäre eine typische Allaussage oder Generalisierung. Sie ist so richtig oder falsch, wie die universalisierenden Aussagen: ­»Alles lebt« oder »Alles fühlt«. Dahinter stehen universal bejahende Urteile, geprägt von dem erkenntnisleitenden Interesse, unser menschliches Denken, Fühlen und Empfinden in einen Grenzbereich hineinzuführen, in welchem wir uns besonders wachsam, achtsam, vor- und umsichtig bewegen. Es würde nämlich ausreichen, einen einzigen »Gegenstand« anzugeben, der nicht lebt, der nicht fühlt, der keine kreative Intelligenz behausen würde – dann wäre die gemachte Allaussage falsch. Andersherum müssten wir alles Mögliche, alles Denk- und Erfahrbare untersuchen, um immer und überall davon sprechen zu können, dass alles fühlt, lebendig, schöpferisch und intelligent sei. Und da kommt zweifelsohne nur eine mehr oder weniger gute Annäherung ohne faktische Überprüfbarkeit zum Tragen.

Soweit jedenfalls die Logik und die Wissenschaftstheorie. Soweit der ausgebildete Philosoph in mir, der mit begründbaren Aussagen ringt. Ich bin geschult in moderner Sprachphilosophie, habe den linguistic turn verinnerlicht, also die sprachkritische Wende. Dieser zur Folge sind menschliche Erkenntnis und unser Wissen, durch Sprache und Sprechen strukturiert. Unsere natürlichen, kulturell gereiften Sprachen – ebenso wie die mathematischen Sprachen und die Programmiersprachen – sind eine nicht zu hintergehende oder zu transzendierende Bedingung unseres Denkens.

In diesem auf Weltbeherrschung und die Erkenntnis von sachlichen Funktionszusammenhängen ausgerichtetem Wissenssystem gibt es nichts jenseits der Sprache, oder, anders gesagt: Realitäten, die mehr oder anders als menschlich sind, sind mit unserem menschlichen Sprechen nicht eindeutig oder objektiv überprüfbar zu beschreiben. Sie lassen sich folglich nicht instrumentalisieren oder verzwecken. Ludwig Wittgenstein hat dies in die einfache Formel gebracht: »Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.«


»Das Zulassen unterschiedlicher Zugänge zu Wissen ist stets auch politisch.«

Dieses Schweigegebot habe ich angenommen und verinnerlicht. Es hat mir eine andere Wirklichkeit des Erkennens geöffnet. Mit Praxisformen des Stillwerdens (Atmen, Yoga, stilles Qigong, Gebet) hat sich eine neue Weise zu wissen eingestellt, die ganzheitlich ist und nicht zupackend, vergegenständlichend oder objektivierend. Eine Reihe von Begegnungen mit Schamanen und Schamaninnen aus dem südlichen Afrika wie auch aus Mittel- und Südamerika haben mir dann in den letzten Jahren Methoden der direkten Einsicht vermittelt. Diese haben mich vergegenwärtigen lassen, dass ich ganz und gar Leben bin, das mit anderem – und vielleicht sogar mit allem – Leben in lebendigem Austausch ist. Meine Suche nach Antworten auf die Frage, was denn radikal geteilte Lebendigkeit sei, wurde – ohne konventionell sprachliche Vermittlung – in diesen Einsichten aufgehoben.

Diese und ähnliche Erfahrungen und ihre Reflexion im Dialog mit anderen Menschen, die ähnliche Zugänge gefunden haben, haben mich eingeladen, die Beziehungen zwischen mir als Mensch und der natürlichen Mitwelt, also der Anders-als-menschlichen-Welt und der von mir erlebten Mehr-als-menschlichen-Welt neu zu begreifen. Ich nehme in solch einem Bewusstseinszustand Zugehörigkeit viel deutlicher wahr als früher. Wo genau gehöre ich dazu? Zu all dem, auf das ich lausche, zu all dem, auf was ich höre, zu all dem, dessen noch so leises Rufen ich erhöre. Zu all dem, was ich sehe, ertaste, schmecke und rieche. Zu all dem, was ich erschweigend intuitiv wahrnehme. Zu all dem, was mich inspiriert.

Das hier verwendete Wort »all« bezeichnet aber nicht etwas, das zu einer Allaussage brauchbar wäre. Ich sage nur, dass ich in die (glückliche) Lage versetzt wurde, einen anderen als sprachlich-rationalen Zugang zu einer Wirklichkeit kennengelernt habe, der mir offenbart hat, dass ich nicht getrennt bin von anderem Leben und einer radikalen Lebendigkeit, sondern vollumfänglich dazugehöre.

Das Zulassen und Erproben unterschiedlicher Zugänge zu Wissen ist für mich stets auch politisch. Sie tragen dazu bei, aus Behauptungen herauszukommen, bei denen es um die Trennung von »ich« und »den anderen« geht oder von »wir« und »die da«. Auch dies sind generalisierende Aussagen, die jedoch die vitale Verbundenheit des Miteinander-Seins dabei blockieren, sich zu entfalten. Wo der Geist radikal geteilter Lebendigkeit jedoch wirkt, da kann sich spontan angemessenes, situativ stimmiges Handeln ereignen – ­jenseits kodierter Moral.

Author:
Prof. Franz-Theo Gottwald
Teile diesen Artikel: