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Ende August fand das erste Kollapscamp zur solidarischen Vorbereitung auf zunehmende Krisen und mögliche Katastrophen statt. Das Programm reichte von Workshops zu Selbstverteidigung, Erster Hilfe und essbaren Wildpflanzen bis zur emotionalen Verarbeitung der Weltlage. Die Klimajournalistin Theresa Leisgang und der evolve-Mitarbeiter Gerriet Schwen boten zusammen ein RaveRitual an. Im anschließenden Gespräch berichtet Theresa, warum sie Rituale gerade in diesen Zeiten für unverzichtbar hält.
evolve: Wie bist du als Journalistin dazu gekommen, Rituale zu gestalten?
Theresa Leisgang: In meiner Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe habe ich gemerkt: Es geht im gesellschaftlichen Diskurs ganz viel um Emissionen – aber ganz wenig um Emotionen. Die spirituelle Ebene fehlt. Dabei sind doch gerade solche Fragen zentral: Wer will ich sein in dieser Welt, die zerfällt?
Neben meiner journalistischen Arbeit habe ich deshalb Räume gesucht, in denen nicht nur Fakten vermittelt werden, sondern auch etwas innerlich bei mir ankommt. Dabei habe ich immer wieder erlebt: Wenn ich mich mit anderen in einem definierten, gut gehaltenen Raum über den Zustand der Welt austausche, wo es nicht nur um Wissen geht, sondern wo gleichzeitig Symbole oder Rituale meine Innenwelt einladen, dann bin ich nicht mehr überfordert, wenn ich Nachrichten über erneute Bomben in der Ukraine höre oder vom Birkensterben in Brandenburg. Seitdem habe ich Rituale in der »Church of Interbeing« gestaltet, aber auch versucht, Fragen in die Wissenschaftskommunikation und Erwachsenenbildung einzubringen, die auf das größere Ganze abzielen, anstatt nur Klimaziele bis 2035 im Blick zu haben.
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Ende August fand das erste Kollapscamp zur solidarischen Vorbereitung auf zunehmende Krisen und mögliche Katastrophen statt. Das Programm reichte von Workshops zu Selbstverteidigung, Erster Hilfe und essbaren Wildpflanzen bis zur emotionalen Verarbeitung der Weltlage. Die Klimajournalistin Theresa Leisgang und der evolve-Mitarbeiter Gerriet Schwen boten zusammen ein RaveRitual an. Im anschließenden Gespräch berichtet Theresa, warum sie Rituale gerade in diesen Zeiten für unverzichtbar hält.
evolve: Wie bist du als Journalistin dazu gekommen, Rituale zu gestalten?
Theresa Leisgang: In meiner Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe habe ich gemerkt: Es geht im gesellschaftlichen Diskurs ganz viel um Emissionen – aber ganz wenig um Emotionen. Die spirituelle Ebene fehlt. Dabei sind doch gerade solche Fragen zentral: Wer will ich sein in dieser Welt, die zerfällt?
Neben meiner journalistischen Arbeit habe ich deshalb Räume gesucht, in denen nicht nur Fakten vermittelt werden, sondern auch etwas innerlich bei mir ankommt. Dabei habe ich immer wieder erlebt: Wenn ich mich mit anderen in einem definierten, gut gehaltenen Raum über den Zustand der Welt austausche, wo es nicht nur um Wissen geht, sondern wo gleichzeitig Symbole oder Rituale meine Innenwelt einladen, dann bin ich nicht mehr überfordert, wenn ich Nachrichten über erneute Bomben in der Ukraine höre oder vom Birkensterben in Brandenburg. Seitdem habe ich Rituale in der »Church of Interbeing« gestaltet, aber auch versucht, Fragen in die Wissenschaftskommunikation und Erwachsenenbildung einzubringen, die auf das größere Ganze abzielen, anstatt nur Klimaziele bis 2035 im Blick zu haben.
e: Was war dein Weg durch die Trauer angesichts unserer düsteren Zukunftsperspektiven?
Foto: Ronja Polzin
TL: Als ich 2018 den Text »Deep Adaptation« von Jem Bendell las, hat mich das in ein tiefes Loch gestürzt. Damals fehlte mir ein kollektiver Raum zum Trauern. Stattdessen waren da Ohnmacht, Isolation, ein Gefühl wie eingefroren zu sein. Ich glaube, viele erleben das, wenn sie mit überwältigenden Gefühlen allein sind: Die Handlungsfähigkeit schwindet.
»Rituale öffnen Räume, in denen wir gemeinsam spüren können.«
Gerade angesichts zunehmender Krisen und Katastrophen brauchen wir mehr Handlungsfähigkeit – und dafür müssen unsere Gefühle auftauen dürfen. Natürlich ist Verdrängung ein Schutzmechanismus, oft sogar überlebenswichtig. Wer in akuter Gefahr ist, wie die Menschen gerade in Gaza, hat gar nicht die Möglichkeit, in Ruhe zu weinen. Der Mediziner Gabor Maté beschreibt es als einen gesunden Mechanismus, in einer traumatischen Situation nicht zu viel an sich heranzulassen. Da geht es ums nackte Überleben. Aber dort, wo unser Überleben gerade gesichert ist, liegt eine Verantwortung, Emotionen gemeinsam zu integrieren, um nicht nur zu reagieren, sondern die Welt wieder gestalten zu können.
Denn Gefühle verschwinden nicht. Wir können Energie darauf verwenden, sie wegzuschieben – aber irgendwann holen sie uns doch ein. Ich habe in all den Trauerräumen, die ich seit meiner eigenen Verzweiflung besucht oder selbst angeboten habe, die gleiche Reise immer und immer wieder erlebt: Am Anfang sitzen alle bedröppelt in ihrem eigenen Schmerz, aber wenn die ersten anfangen, sich mitzuteilen, schwappt so etwas wie eine Welle von Lebendigkeit durch den Raum. Die Tiefenökologin Joanna Macy hat das in ihrem Buch »Coming Back to Life« schön beschrieben: Unser Schmerz ist die Kehrseite unserer Liebe fürs Leben. Wenn wir in diesen Katastrophenzeiten nicht nur reagieren, sondern die Welt gestalten wollen, braucht es mehr emotionale Integration.
e: Der Slogan des Kollapscamps war »Solidarisch und handlungsfähig in der Katastrophe«. Welches Potenzial haben Rituale dafür?
TL: Rituale öffnen Räume, in denen wir gemeinsam spüren können, was uns sonst allein überfordert: Angst, Trauer, Nicht-Wissen. In einer Bewegungsreise wie bei unserem RaveRitual geht es nicht nur um die Freude am Tanzen, sondern darum, durch die Intensität der Musik mit unserem Inneren in Kontakt zu kommen.
Im Wald habe ich mich sofort wieder erinnert, dass es nicht nur um unseren menschlichen Blick auf die Krise geht: Der Laubboden unter unseren Füßen hat die lange Geschichte der Erde erzählt, in der unzählige Formen des Lebens schon vor uns entstanden und wieder vergangen sind. Solche Erfahrungen sind ein Kontrast zu unserem Alltag, in dem wir oft vor dem Bildschirm sitzen und uns in To-dos verlieren. Rituale holen uns zurück in die Verbindung mit allem Lebendigen – in die Demut, dass dieses Leben lange vor uns da war.
e: In diesem Ritual liefen Techno und elektronische statt Kirchenmusik, und es ist trotzdem ein sakraler Raum entstanden.
TL: Rituale können sehr verschiedene Formen haben. Fast jede Handlung kann ein Ritual werden – es kommt auf die innere Haltung an. Jede Mahlzeit könnte in Zeiten der Polykrise ein Dankbarkeitsritual sein: Es ist nicht selbstverständlich, dass diese Ernte nicht von Extremwettern zerstört wurde und die Lieferketten weiterhin funktionieren. Und jede Demonstration ist natürlich im Kern ein Ritual: Als Correctiv die Deportationspläne der AfD veröffentlichte, war ich tief bewegt, als über 100.000 Menschen vor dem Reichstag sangen: »Wehrt euch, leistet Widerstand gegen den Faschismus hier im Land!« Noch stärker wäre das Singen nach einem Moment der Stille gewesen. In all der Aufregung haben sie es auf der Bühne verpasst, zu spüren und als Einladung auszusprechen: Fühle mal rein, was es für dich bedeutet, gerade jetzt gemeinsam gegen Rechtsextremismus auf die Straße zu gehen.
Rituale schenken auch Langsamkeit inmitten einer Kultur der Beschleunigung. Gerade in der Klimadebatte herrscht oft eine erdrückende Dringlichkeit. Aber wirkliche Entschlossenheit wächst nicht aus Dauerstress, sondern aus Erdung.
e: Welche Rolle haben Rituale für dich in diesen Zeiten?
TL: Die buddhistische Nonne Pema Chödrön schrieb: »Wenn wir uns der Wahrheit öffnen, ist Angst eine natürliche Reaktion.« Kollaps bedeutet, dass die Welt, die wir kennen, so nicht weiter existieren wird, Sicherheiten auf vielen Ebenen wegbrechen – Arbeit, Zuhause, politische Ordnung. Da reicht individuelle Therapie nicht mehr. Wir brauchen gemeinsame Räume, um kollektive Ängste und Verluste zusammen zu verarbeiten.
Als Auslandsreporterin habe ich 2020 ein feministisches Kollektiv in Mosambik besucht. Das war ein Jahr nach dem schlimmsten Zyklon in der Region. Viele Frauen hatten Kinder und Angehörige verloren, und Psychotherapie gab es nicht – stattdessen trafen sie sich jeden Sonntag zum Trommeln und Singen. So haben sie gemeinsam ihre Verluste verarbeitet und aus der Unterstützung von Witwen oder Alleinerziehenden, denen es noch schlechter ging, wieder Kraft geschöpft. Für mich war das ein Beispiel: Resilienz entsteht, wenn wir uns gegenseitig halten – egal wie wir das nennen.
Ich will diese Resilienz inmitten des Leids nicht romantisieren – es geht mir darum zu betonen, dass dort an der Küste Mosambiks Rituale noch lebendig sind, die wirklich kollektive Heilung bringen. Rituale helfen uns, Gefühle zu durchleben, die uns sonst allein lähmen würden. Ohne solche Räume bleiben wir isoliert – auf dem eigenen Sofa im Burnout oder auf der Couch der Psychotherapeutin.
e: Worum ging es in dem RaveRitual auf dem Kollapscamp?
TL: Wir haben einen Raum geschaffen, um nicht länger vor dem Zustand der Welt zu fliehen, sondern ihn im Körper zu spüren und zu erforschen, wie wir dem begegnen wollen. Begleitet von der Intensität der Musik sind wir durch die Geschichte des Lebens auf der Erde gereist, hinein in verschiedene Qualitäten, in Ausdruck und Ekstase – bis zum Kollaps. Nach einem Techno-Remix von »Tanzt kaputt, was euch kaputt macht« sind wir alle zusammen gefallen. Viele sind wirklich zehn Minuten auf dem Waldboden liegen geblieben, haben die Erschöpfung, die wir alle kennen, einmal wirklich zugelassen – und sich Zeit genommen, die Impulse zu fühlen, wieder aufzustehen. Wir haben gefragt: Wie willst du den kommenden Krisen und Katastrophen begegnen? Wofür willst du einstehen?
e: Für mich war das ein besonderer Moment, als Teilnehmende zum Abschluss vom RaveRitual in den Raum gesprochen haben, wie Menschen dieser Zeit entgegentreten wollen.
TL: Die Stimmen klingen auch noch in mir nach: In Gemeinschaft. Zärtlich. Solidarisch. In Verbundenheit. Mit offenem Herzen. Langsam …
Author:
Gerriet Schwen
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