Bodhisattva für das Leben
In Erinnerung an Joanna Macy
October 19, 2025
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In Erinnerung an Joanna Macy
Ich sitze mit fünfzig anderen Menschen, die mir bis vor wenigen Tagen noch unbekannt waren, in einem Kreis. Mein tränenüberströmtes Gesicht wirkt geklärt, ich fühle mich emotional erschöpft und bin zugleich ergriffen von der Kraft dessen, was ich gerade erlebt habe. Wir sind am Ende eines »Truth Mandala« angelangt, einer der Kernübungen der »The Work That Reconnects« von Joanna Macy. Im Laufe von drei Stunden haben wir alle nacheinander unseren Platz in der Mitte des Kreises eingenommen, wo wir über unsere Trauer, unsere Wut, unsere Leere und unsere Angst gesprochen haben.
Während der zehn Tage dieses Seminars brach mein Herz auf, und Joanna öffnete mir eine Tür. Es war der Beginn einer neunjährigen Mentoring-Beziehung. Als Wissenschaftlerin und jemand, der es gewohnt war, mit meinem Verstand zu argumentieren, um Menschen von der Klimakrise und der Notwendigkeit des Handelns zu überzeugen, war dieser zehntägige Intensivworkshop genau das, was ich brauchte, um mich wieder mit meinem Herzen zu verbinden und meine Fähigkeit zu stärken, für unsere Welt zu fühlen und aktiv für ihre Heilung einzutreten.
In Erinnerung an Joanna Macy
Ich sitze mit fünfzig anderen Menschen, die mir bis vor wenigen Tagen noch unbekannt waren, in einem Kreis. Mein tränenüberströmtes Gesicht wirkt geklärt, ich fühle mich emotional erschöpft und bin zugleich ergriffen von der Kraft dessen, was ich gerade erlebt habe. Wir sind am Ende eines »Truth Mandala« angelangt, einer der Kernübungen der »The Work That Reconnects« von Joanna Macy. Im Laufe von drei Stunden haben wir alle nacheinander unseren Platz in der Mitte des Kreises eingenommen, wo wir über unsere Trauer, unsere Wut, unsere Leere und unsere Angst gesprochen haben.
Während der zehn Tage dieses Seminars brach mein Herz auf, und Joanna öffnete mir eine Tür. Es war der Beginn einer neunjährigen Mentoring-Beziehung. Als Wissenschaftlerin und jemand, der es gewohnt war, mit meinem Verstand zu argumentieren, um Menschen von der Klimakrise und der Notwendigkeit des Handelns zu überzeugen, war dieser zehntägige Intensivworkshop genau das, was ich brauchte, um mich wieder mit meinem Herzen zu verbinden und meine Fähigkeit zu stärken, für unsere Welt zu fühlen und aktiv für ihre Heilung einzutreten.
Ich glaube, dass Joannas Arbeit im Kern die Menschen wieder mit ihrem wahrhaftigeren, authentischeren Selbst verbunden hat. Sie erinnerte uns an unsere Fähigkeit, jederzeit Zugang zu Neugier, Staunen und spielerischer Freude zu empfinden. Sie verkörperte und vermittelte die Essenz des Bodhisattva. Aber im Gegensatz zu einer traditionellen Meditierenden, die losgelöst von der Welt und allen Besitztümern, Menschen und Dingen lebt, war sie ganz in der Welt zuhause. Sie verkörperte ihre vitale Lebendigkeit mit einer solchen Intensität, dass man die von ihr ausgehenden Vibrationen, ihren schelmischen Sinn für Humor und ihre fast erotische Lebenskraft spürte.
Joanna wurde am 2. Mai 1929 in New York City geboren und empfand das städtische Leben als Kind als »schrecklich beengend«. In den Sommerferien suchte sie Zuflucht auf der Farm ihres Großvaters im Westen des Bundesstaates New York. Nach ihrem Abschluss in Bibelgeschichte am Wellesley College im Jahr 1950 und einem Studium an der Universität Bordeaux heiratete sie 1953 Francis Underhill Macy, einen russischen Gelehrten und Aktivisten, der das Center for Safe Energy gründete. Ihre Transformation zu einer Umweltaktivistin wurde durch das Studium ihres Sohnes im Bereich der Umwelttechnik an der Tufts University inspiriert. Als er nach seinem ersten Studienjahr mit einer Semesterarbeit über die thermische Verschmutzung durch Kernreaktoren nach Hause kam, veränderte dies ihr Leben.
»Aktive Hoffnung wurzelt in Mut und Vorstellungskraft. «
Macy promovierte 1978 an der Syracuse University in Religionswissenschaft. Ihre Doktorarbeit unter der Begleitung von Ervin László widmete sie dem Thema der Konvergenzen zwischen dem Systemdenken und der buddhistischen Lehre vom abhängigen Entstehen, dass sich also alle Phänomene in gegenseitiger Abhängigkeit entfalten und existieren, anstatt unabhängig voneinander zu sein. Als international bekannte Pionierin des Umweltaktivismus, »Great Lady« der Tiefenökologie und Forscherin des Buddhismus und der Systemtheorie entwickelte sich Joanna Macy zu einer prophetischen Stimme in globalen Bewegungen für Frieden, Gerechtigkeit und Ökologie.
Mit der Präzision einer Wissenschaftlerin und der Fürsorge einer besorgten Mutter vermittelte sie, dass die größte existenzielle Bedrohung das »Absterben von Herz und Verstand« sei – Apathie, Depression, Taubheit und Unwohlsein. Sie entstehen dadurch, dass wir uns aktiv von der Trauer und dem Schmerz distanzieren, die wir spüren, wenn wir die Schäden, die den Menschen, Lebewesen und Naturräumen zugefügt werden, wirklich wahrnehmen.
»Active Hope« war einer der von ihr geprägten Ansätze – eine Praxis, kein passives Gefühl. Ihre Idee der aktiven Hoffnung ermutigt uns, uns der harten Realität zu stellen, uns eine bessere Zukunft vorzustellen und Schritte in diese Richtung zu unternehmen, wobei Hoffnung als eine Praxis und nicht als ein Gefühl zu verstehen ist. Aktive Hoffnung wurzelt in Mut und Vorstellungskraft, nicht in Optimismus. Sie ist nicht losgelöst vom Leiden, sondern basiert im Gegenteil darauf, Ungewissheit zu akzeptieren und trotzdem zu handeln.
Mit »The Work That Reconnects« schuf Macy einen bahnbrechenden Rahmen und eine wirkungsvolle Workshop-Methodik, um die ökologische Verbindung zu vertiefen, Trauer in kraftvolles Handeln umzuwandeln und eine moralische Vorstellungskraft zu kultivieren, die uns mit den Augen der Vorfahren, anderer Wesen und zukünftiger Generationen sehen lässt.
Sie hat uns nicht nur mit ihren Worten, sondern auch mit ihrer Lebensweise den Weg gewiesen und repräsentierte eine besondere Art, im Leben zu sein: freundlich, inspirierend, mitfühlend und entschlossen. Sie verkörperte die neue Welt, für die sie uns aufrief da zu sein – als lebendiges Beispiel dafür, wie wir zusammen sein können.
Joanna starb am 19. Juli friedlich in ihrem Haus in Berkeley, umgeben von ihrer Familie, lieben Freunden und engagierten Pflegekräften, im Alter von 96 Jahren an den Folgen eines Sturzes. Selbst im Tod war sie uns eine Lehrerin.