Die Landschaft lesen

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Interview
Publiziert am:

July 7, 2025

Mit:
Julie Brook
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AUSGABE:
47
|
July 2025
Interbeing
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Verbundenheit mit bloßen Händen

Julie Brook ist für ihre skulpturalen Werke in freier Natur bekannt, in denen sie die Elemente der Erde feiert und beim Wirken beobachtet: Feuer, Wasser, Gezeiten, Gesteine, Licht, Schatten, Wetter, Schwerkraft. Sie eröffnet ursprüngliche Erfahrungsräume unserer Zugehörigkeit zur Erde, die wir sind.

evolve: Wie hat das Interesse an Kunst in Ihrem Leben begonnen? Was war der Ausgangspunkt für die Hinwendung zur Kunst?

Julie Brook: Als Kind habe ich schon immer gerne gewerkelt und gebastelt, aber während der High-School-Zeit entwickelte ich zunächst den Wunsch, etwas Naturwissenschaftliches zu studieren. Ich wollte Tierärztin werden. An der Schule gab es allerdings auch einen außergewöhnlichen Kunstlehrer, und so belegte ich Kunst als Nebenfach. Dieser Kunstlehrer war so brillant, dass ich spürte, wie mich der Umgang mit Kunst veränderte, und so reifte in mir plötzlich der Plan, Kunst als Hauptfach zu belegen. Und dann wurde es schon bald sehr ernst mit der Kunst. Wir widmeten uns ihr viele Stunden in der Woche, in denen wir rigoros mit dem Leben konfrontiert wurden. Und plötzlich passte alles zusammen. Ich war 15 Jahre alt und verstand auf eine sehr junge, aber tiefe, intuitive Weise, dass es das Schwierigste war, gut zu zeichnen. Ich begriff, dass man nicht einfach sagen kann: »Ich will eine gute Zeichnung anfertigen.« Sobald man aber bereit war, sich völlig auf die Wahrnehmungsebene einzulassen, die unser Lehrer uns zu eröffnen versuchte, wurden ganz neue Welten zugänglich. Für mich war das eine so kraftvolle Offenbarung, dass sie zum stärksten Einfluss wurde.

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Verbundenheit mit bloßen Händen

Julie Brook ist für ihre skulpturalen Werke in freier Natur bekannt, in denen sie die Elemente der Erde feiert und beim Wirken beobachtet: Feuer, Wasser, Gezeiten, Gesteine, Licht, Schatten, Wetter, Schwerkraft. Sie eröffnet ursprüngliche Erfahrungsräume unserer Zugehörigkeit zur Erde, die wir sind.

evolve: Wie hat das Interesse an Kunst in Ihrem Leben begonnen? Was war der Ausgangspunkt für die Hinwendung zur Kunst?

Julie Brook: Als Kind habe ich schon immer gerne gewerkelt und gebastelt, aber während der High-School-Zeit entwickelte ich zunächst den Wunsch, etwas Naturwissenschaftliches zu studieren. Ich wollte Tierärztin werden. An der Schule gab es allerdings auch einen außergewöhnlichen Kunstlehrer, und so belegte ich Kunst als Nebenfach. Dieser Kunstlehrer war so brillant, dass ich spürte, wie mich der Umgang mit Kunst veränderte, und so reifte in mir plötzlich der Plan, Kunst als Hauptfach zu belegen. Und dann wurde es schon bald sehr ernst mit der Kunst. Wir widmeten uns ihr viele Stunden in der Woche, in denen wir rigoros mit dem Leben konfrontiert wurden. Und plötzlich passte alles zusammen. Ich war 15 Jahre alt und verstand auf eine sehr junge, aber tiefe, intuitive Weise, dass es das Schwierigste war, gut zu zeichnen. Ich begriff, dass man nicht einfach sagen kann: »Ich will eine gute Zeichnung anfertigen.« Sobald man aber bereit war, sich völlig auf die Wahrnehmungsebene einzulassen, die unser Lehrer uns zu eröffnen versuchte, wurden ganz neue Welten zugänglich. Für mich war das eine so kraftvolle Offenbarung, dass sie zum stärksten Einfluss wurde.

Vom Malen zum Bauen

e: Wie haben Sie zu Ihrem eigenen Stil gefunden? Haben Sie schon früh angefangen, mit und in der Natur zu arbeiten, oder wie hat sich Ihr Interesse an dieser Ausdrucksform entwickelt?

JB: In der Kunstschule entwickelte ich die Praxis des rigorosen Zeichnens aus der Beobachtung heraus. Es ging darum, wirklich zu sehen, was man vor sich hat. Ich begann meine Kunst also als Malerin und Zeichnerin, eine bildhauerische Sprache war mir noch nicht zugänglich.

Mit Ende 20 lebte ich auf der Insel Hoy in Orkney. Jeden Tag begab ich mich auf die Klippen, um zu zeichnen und zu malen. Dort begann sich etwas in meiner Arbeit zu verändern, das sich fortsetzte, als ich einen sehr abgelegenen Teil der Isle of Jura auf den Inneren Hebriden in Schottland fand. Auf der Westseite der Insel entdeckte ich einen erstaunlichen Klippenbogen, der mich dazu einlud, in einer ungestörten, ungesehenen Landschaft zu arbeiten – und herauszufinden, was in mir steckt, wenn ich mich ganz allein in einem wilden, abgelegenen Teil der Welt aufhalte. Ich wollte wissen: Was ist mein Wesen? Was ist meine Sprache? Im Jahr darauf wollte ich ein paar Monate dortbleiben, aber schließlich habe ich dreieinhalb Jahre dort gelebt und gearbeitet. Die ersten beiden Jahre waren es jeweils etwa sechs Monate im Frühling, Sommer und Frühherbst. Im dritten Jahr blieb ich für ein ganzes Jahr. Ich fühlte mich unbefangen, weil ich von mir selbst frei war. Sehr schnell erkannte ich, dass ich den Klippenbogen lebenswerter gestalten musste, um dort arbeiten zu können. Ich baute eine Holzwand, um den Innenraum zu schützen. Dann begann ich, die Hügel zu erkunden, um dort zu malen. Aber durch das Bauen der Holzwand und anderer Gestaltungen wurde etwas in mir geweckt. Und ich fragte mich: Warum arbeite ich nicht mit dieser Energie, wenn sie so natürlich daherkommt?

Malen ist für mich anstrengend. Es braucht viel Zeit, einen Rhythmus zu finden und in die Tiefe zu gehen, denn ich bin nicht daran interessiert, ein Bild zu »machen«. Ich möchte in der Lage sein, die Struktur und Dynamik der Landschaft durch das Gemalte auszudrücken. Dazu muss man immer wieder beobachtend am selben Ort sitzen. Man durchlebt viele Misserfolge, bis sich die Kanäle der Wahrnehmung öffnen.

Beim Bauen entwickelt sich das auf eine natürlichere Weise. Innerhalb von fünf Tagen hatte ich eine massive Holzwand gebaut. Diese Leichtigkeit faszinierte mich. Und ich dachte, ich würde diese Leichtigkeit gerne mehr in die Arbeit einfließen lassen – zusammen mit dem hingebungsvollen Rhythmus, den die Malerei erfordert.

Wasser und Feuer

e: Wie ist diese Lebensweise in die Kunstwerke eingeflossen?

JB: Ich begann, die Landschaft um mich herum kennenzulernen: Ich war jeden Tag im Meer schwimmen, sammelte Holz und machte Feuer, um am Abend zu kochen. Mein erster Versuch, die Energie des Bauens künstlerisch auszuweiten, bestand darin, dass ich mich fragte: Was wäre, wenn ich ein Werk schaffen würde, das all diese Elemente zusammenbringt, weil ich jeden Tag mit ihnen zu tun habe? So erforschte ich die Möglichkeit, am Ufer des Meeres ein Feuer zu entzünden. Die ersten paar Tage dieses Experiments verliefen zaghaft, es war zu nah am Ufer und nicht stabil genug, aber schließlich gelang es, ein Feuer zu entfachen.

Ich nutzte intuitives Wissen. In unserem derzeitig vorherrschenden Klima kapitalistisch geprägter Werte unterschätzen wir, wie wichtig unsere Intuition als eine tiefe Form der Intelligenz ist. Wenn viel Raum für Intuition gegeben ist, entwickeln wir eine hohe Wachsamkeit.

Ich lernte, wie man den Meeresboden »liest«, wie man Feuerholz stapelt und wie man mit Steinen baut. Ich baute ein wesentlich stärkeres Fundament, bereitete das Holz für das Feuer vor, damit es trocken war – all diese praktischen Dinge, die jeder, der auf dem Land lebt, kennt. Das war die Geburtsstunde meiner skulpturalen Arbeit. Als ich zum ersten Mal einen Feuerholzstapel anzündete, der richtig gut brannte und die Flut ihn umspülte, wusste ich, dass ich angekommen war, dass ich etwas wirklich Wichtiges entdeckt hatte.

In diesen dreieinhalb Jahren fanden die Bildhauerei, die Malerei und die Zeichnung auf eine sehr organische und natürliche Weise zusammen. Seitdem beeinflusst dieses Spektrum meine Arbeit jeden Tag aufs Neue – es war eine Einladung in das Herz meiner Arbeit. Seitdem finde ich mehr und mehr heraus, was das bedeutet.

Sprechende Landschaften

e: Was fasziniert Sie an dieser Interaktion mit der Landschaft? Was versuchen Sie in und mit der Landschaft auszudrücken?

JB: Wenn ich in eine neue Landschaft eintrete, muss ich ganz von vorne anfangen. Ich muss all mein vorhandenes Wissen loslassen, um eine neue Landschaft wirklich neu zu sehen, anstatt mein Wissen in sie hineinzutragen. Und während ich dabei bin, einen Rhythmus zu finden, tauchen Dinge auf, mit denen ich mich früher bereits beschäftigt habe. Es gibt so etwas wie ein Echo. Ich erlebe Kontinuität in den verschiedenen Landschaften, in denen ich gearbeitet habe, aber gleichzeitig erlauben mir neue Landschaften, neue Facetten des Ausdrucks zu entdecken.

Ich möchte vermitteln, dass wir Teil der Landschaft sind. Wir wissen, dass die Landschaft uns gegenüber eine gewisse Gleichgültigkeit zeigt, aber je mehr man sich mit der Landschaft beschäftigt, desto mehr fühlt man sich mit dem Ort verbunden. Die Landschaft beginnt zu einem zu sprechen. Ich versuche, diese Verbindung herzustellen oder zu ermöglichen. Wenn die Landschaft fast so etwas wie ein Teilnehmender am Dialog zwischen dir und dem Ort wird, fühlst du dich mit dem Ort verbunden, an dem du lebst, an dem du dich befindest.

e: Wenn Sie in und mit einer Landschaft arbeiten, gibt es da einen bestimmten Seinszustand, in den Sie zu kommen versuchen?

JB: Ich versuche, mich mehr und mehr zu öffnen. Vor Kurzem war ich im Oberen Mustang in Nepal. Zuerst hatte ich keine Ahnung, wie ich beginnen sollte. Dann traute ich mich, mich der Landschaft gegenüber zu öffnen. Ich lief eine Zeit lang an einem großen Flussbett entlang. Es gab wunderschöne Wege, die für Menschen angelegt wurden, damit sie in diesen sehr steilen Tälern Nahrung anbauen können. Das war ein anregender Impuls für mich, denn in anderen Landschaften, in denen ich war, gibt es oft nur wenige Spuren menschlicher Interaktion, so dass ich fast so etwas wie eine leere Leinwand vorfinde. Aber in diesem Fall ging es mir darum, diese erstaunlichen menschlichen Schöpfungen zu würdigen – auch die Tiere in der Art, wie sie die Landschaften durchstreifen, wenn sie nach Nahrung suchen. Das ist ein Beispiel für eine Situation, in der ich ganz von vorne anfangen und alles vergessen musste, was ich bisher gemacht hatte. Ich habe mich gefragt: Was ist das Besondere an diesem Ort und in meiner Beziehung zu ihm?

Dabei erzeugt die Schönheit des Gehens einen ganz bestimmten Rhythmus der Anstrengung und ist eine wunderbare Art, unseren Geist zu öffnen. Wir alle lieben es, spazieren zu gehen, um ein Problem zu lösen oder um uns einfach nur gut zu fühlen. Gehen ermöglicht einen zutiefst verbindenden Rhythmus für uns. Durch die Kombination aus dem Gehen und der Anpassung an die dünnere Luft konnte ich mich für diese ganz besondere Landschaft öffnen. Und diese Offenheit schaffte die Voraussetzung für einen wahrhaftigeren Dialog mit der Landschaft. Man hört aufmerksamer zu. Man sieht auf eine wachere Weise. Der eigene Geist ist weniger mit Tagträumen oder anderen Gedanken beschäftigt. Man kann das hinter sich lassen, weil man den Raum dafür geschaffen hat. Für mich ist das eine wichtige Voraussetzung, um mit der Arbeit zu beginnen.

Am Anfang war es fast wie ein Flüstern. Ich habe einfach die Dinge, die ich sah, durch Kratzen im Sand oder im Gestein wiedergegeben. Ich kratzte beispielsweise eine Linie in Zeichnungen von der Landschaft. Das gab mir diesen unglaublichen Energieschub, die Aufregung, das Gefühl, wieder in meinem Element zu sein. Ich spürte, was für ein Wunder diese Landschaft war und was für ein Privileg es war, in ihr zu sein. Wenn diese Energie erst einmal aufsteigt, hat man das Gefühl, dass man alles tun kann. Überall, wo ich hinschaue, sehe ich Möglichkeiten, ein Werk zu erschaffen. Es kann die zarteste, die flüchtigste Berührung sein. Aber der Akt des Schaffens gibt mir ein intimeres Gefühl der Verbundenheit.

e: Was sind für Sie die inneren Anzeichen dafür, dass ein Werk eine Form annimmt, die Ihrer Meinung nach etwas Wirkliches ausdrückt oder bei der Sie das Gefühl haben: »Oh, ich bin auf dem richtigen Weg« oder »Ich treffe etwas«?

JB: Am besten kann ich es so beschreiben, dass ich ein wenig darum herumkreise, denn es ist ein intuitives Wissen. Wenn man weiß, dass man an etwas dran ist, das Sinn macht, das wahrhaftig ist, dann spürt man eine pure Energie und einen besonderen Antrieb. Nichts kann mich dann mehr aufhalten. Du versuchst, die Balance zwischen dem, was du machst, und dem Dialog, den du mit der Landschaft führst, zu halten. Du spürst, dass du etwas Energetisches an diesen Ort bringst.

In Nepal habe ich zum Beispiel Stufen in einen Erdhügel gearbeitet. Zuerst wusste ich gar nicht, dass ich Stufen gestalten wollte. Ich grub eine diagonale Linie, weil ich von diesem Hügel fasziniert war. Er war mit einer Lehmkruste überzogen. Ich grub die Linie recht spät am Abend und dachte, ob ich hier wohl Stufen anlegen könnte? Ich versuchte es und die Erde war kompakt genug, um die Stufen zu halten, aber auf der anderen Seite war die Erde krümeliger. Das Werk, das dabei entstanden ist, hatte eine schöne Qualität, denn selbst während ich es herstellte, sah es aus, als würde es sich gleich wieder auflösen. Nur für eine kurze Zeit hatte es einen unglaublich kraftvollen visuellen Rhythmus wegen des leichten Schattens, den die Stufen erzeugten. Aber der Wind würde es sehr schnell wieder auflösen. Es würde sich der Landschaft nicht allzu lange aufdrängen. Es kehrte bereits in die Landschaft zurück, als ich es fertiggestellt hatte. Ich liebe die Beziehung, die ich zur Landschaft habe, wenn das Werk in gewisser Weise zur Landschaft gehört. Die Landschaft wird ihre eigene Beziehung dazu aufbauen, ohne dass ich eingreifen muss.

Der Zauber des Jetzt

e: Sie arbeiten mit den Kräften der Natur, und weil Sie in einer Landschaft arbeiten, sieht Ihnen niemand zu. Sie verwenden also Film und Fotografie, um diese Arbeiten einem Publikum zu zeigen. Wie erleben Sie die Beziehung zu diesem Ort und seiner Vergänglichkeit, wenn Sie ein Werk durch Medien zeigen können, nachdem es sich ereignet hat?

JB: Ich betrachte meine Kamera als ein weiteres Werkzeug der Erforschung. Ich versuche, meine Filme mit dem Gefühl der Verbundenheit und Energie aufzunehmen, damit ich dem Publikum durch den Film oder ein Foto etwas vermitteln kann, weil dieses Bild diesen Moment in der Zeit eingefangen hat. Durch meinen Fokus und die Energie wird es zu etwas, das in der Gegenwart anwesend ist. Wenn Sie sich einen der Filme ansehen, ist es mein Wunsch, dass Sie ganz in der Gegenwart sind und erleben, dass es für Sie genau dieser Moment in der Zeit ist. Es geht nicht um den Moment, in dem ich ihn gefilmt habe. Es geht um das Jetzt. Denn das Schöne am Film ist, dass man ihn schneiden und mit Ton unterlegen kann, so dass er eine konzentriertere Umgebung schafft.

Wenn Sie sehen, wie ich einen Feuerholzstapel anlege, ist das auch interessant, denn dann nehmen Sie die ganze Landschaft, das Meer, das Wetter und den Wind in sich auf. Aber was ich Ihnen in einem Film geben kann, ist eine viel reinere Erfahrung der Essenz der Arbeit. Und genau darin liegt meine Verantwortung. Deshalb sind der Cutter und meine Mitarbeitenden so wichtig für mich.

Und das Publikum ist entscheidend, wenn ich den Film schneide. Ich denke die ganze Zeit an das Publikum, denn ich möchte ihm ein echtes Erlebnis vermitteln, wie es ist, dort zu sein. Deshalb filme ich bei den Feuerholzstapeln auch nicht die Menschen, die das Holz stapeln, denn sobald ich Menschen in diese reinen Kunstfilme einbeziehe, würde die Konzentration der Zuschauer unterbrochen werden. Das wäre zwar aus dokumentarischer Perspektive von Interesse, aber es handelt sich dann nicht mehr um Kunst, sondern um Dokumentarfilme. Und bei den Feuerholz-Filmen möchte ich, dass sich der Zuschauer ganz auf die Beziehung zwischen Feuer, Wasser, Stein und Wind einlassen kann.

Verbunden mit der Erde

e: Sie versuchen, eine Art Unmittelbarkeit und Rohheit der Erfahrung und der Elemente zu vermitteln, die in der Natur wirken.

JB: Ja, die Schwerkraft und die Anziehungskraft des Mondes bewegen die Wellen des Meeres. Die Schwerkraft ist der Grund, warum wir auf der Erde herumlaufen können. Was ermöglicht es uns, am Leben zu sein? Die aufgehende Sonne. Aber wir vergessen das. Wir werden so leicht von unseren unmittelbaren familiären und beruflichen Problemen absorbiert. Wir vergessen diese grundlegenden Prinzipien, mit denen wir leben. Wir vergessen, die Sonne jeden Morgen dafür zu loben, dass sie aufgeht, ob wir sie nun sehen oder nicht. Denn ohne die Sonne wären auch wir nicht hier. Genauso wie wir ohne die Schwerkraft nicht in der Lage wären, auf der Erde zu leben.

In einem meiner Filme über ein Herbstfeuer lade ich den Zuschauer ein, sich in Echtzeit darauf einzulassen. Das Licht fällt, wenn die Flut steigt, und es weht ein Ostwind, so dass das Meer ziemlich flach ist. Man sieht diese wunderschönen Pinselstriche der Wellen, die über das Meer geschleudert werden. Du spürst die Anziehungskraft der Flut in deinem Körper. Du beginnst dich fast mit dem Feuer zu identifizieren, das langsam im Wasser ertrinkt. Wenn du den Film anschaust, kannst du intuitiv verstehen, dass du Schwerkraft nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Körper erfährst. Das ist mir wichtig.

Ich bin mir sehr bewusst, dass wir uns in einem politisch sehr schwierigen Klima befinden, weil es so viele dringende Probleme gibt, die von den Regierungen ignoriert werden. Es ist so offensichtlich, dass das Dringlichste unser Klima ist. Unsere Regierungen halten es für wichtiger, Geld zu verdienen und das, was sie Wachstum nennen, zu erzeugen – was bedeutet, dass die Erde noch stärker belastet wird.

Ich bin keine politisch motivierte Künstlerin, aber ich weiß, dass der Umgang mit unserem Erdklima wichtig ist. Ich wirke nicht durch öffentliche Meinungsäußerungen, sondern durch das Feiern unserer tiefen Verbindung mit der Erde.

e: Ihre Arbeit ist sehr körperlich. Sie arbeiten mit Feuerholzstapeln, mit dem Wind, den Elementen, dem Material vor Ort – warum ist das so wichtig für Sie?

JB: Meine Arbeit wird davon inspiriert, dass ich in freier Natur bin und mich mit den Materialien beschäftige, die mich zu meinen Werken anregen. Wenn es also um Steine geht, werden viele Steine bewegt. Ich liebe Steine. Ich habe den Eindruck, dass jeder Stein von einer langen Zeit erzählt. Diese Steine existieren schon viel länger als wir und werden auch noch viel länger bestehen.

Ich spüre den Wunsch, mich körperlich zu betätigen und am Ende des Tages körperlich erschöpft zu sein. Das Eintauchen unseres Körpers in die Landschaft ist für mich eine ursprüngliche Erfahrung. Deshalb mache ich diese Arbeit auch weitgehend selbst. Ich arbeite inzwischen auch mit Assistenten, und das schätze ich sehr. Ich liebe es, mit jungen Menschen zu arbeiten und ihnen die Möglichkeit zu geben, in diese Umgebungen einzutauchen, denn zu viele junge Menschen kennen diese Art von körperlicher Arbeit nicht. Und es ist auch wunderbar, Erfahrungen weiterzugeben.

Aber es liegt in der Natur des Umgangs mit Stein, dass es keine theoretische Angelegenheit ist. Das Gestalten ist das Herzstück meiner Praxis. Die körperliche Arbeit ermöglicht es mir, die Werke zu spüren. Wenn ich zum Beispiel einen Feuerholzstapel vorbereite, ist das harte Arbeit. Man ist abhängig von der Flut. Wenn ich einen Feuerholzstapel von Grund auf neu aufschichte, brauche ich mit ein paar Helfern bis zu vier Tage. Dabei freunde ich mich mit den Steinen an. Mein Körper findet in den Rhythmus zurück. Meine Hände verrichten einen Großteil der Arbeit, aber es ist immer eine Beziehung zwischen dem Geist, dem Körper, der Seele, der eigenen Energie, der Beziehung zum Wetter und zur ganzen Landschaft.

Author:
Mike Kauschke
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