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Simon Marian Hoffmann ist schon als junger Mensch aufgebrochen, um sich als Filmemacher, Musiker, Künstler und Gestalter künstlerisch aktivistischer Aktionen mit der Lebensperspektive junger Menschen in unserer Gesellschaft und in unserem Bildungssystem auseinanderzusetzen. Heute verwirklicht er die Vision einer freien Bildung in der UniArtCity, ist als Rapper Simon Courtier unterwegs, hat eine Petition zur Mitbestimmung junger Menschen an der Entscheidung zur Wehrpflicht initiiert. Wir sprachen mit ihm über die Rolle der Jugend und der Älteren in unserer Gesellschaft und wie wir uns begegnen können.
evolve: Wie hast du den Dialog zwischen den Generationen erlebt? Wie erlebst du vielleicht auch die Abwesenheit von Dialog?
Simon Marian Hoffmann: Ein Ursprung meines aktivistischen Wirkens ist die Erfahrung, als junger Mensch in eine Kultur hineingeboren zu sein, die im Zwischenmenschlichen sehr kalt und stark auf Leistung ausgerichtet ist. Ich musste immer dem folgen, was mir Menschen vorgegeben haben. In der Schule, aber auch sonst habe ich erfahren, dass die Erwachsenenwelt eher dirigierend unterwegs war statt kooperativ, und habe sehr darunter gelitten. Mit zwölf Jahren hat mir mein Bruder sehr viel von der Weltlage gezeigt: Ausbeutung, Klimakrise, Kriege und Kolonialisierung, die immer noch stattfinden. Das hat mich so geschockt, dass ich dachte, es muss doch jemanden geben, der dagegen vorgeht, aber diese Menschen habe ich nicht gefunden. Deshalb habe ich mich auf die Suche gemacht.
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Simon Marian Hoffmann ist schon als junger Mensch aufgebrochen, um sich als Filmemacher, Musiker, Künstler und Gestalter künstlerisch aktivistischer Aktionen mit der Lebensperspektive junger Menschen in unserer Gesellschaft und in unserem Bildungssystem auseinanderzusetzen. Heute verwirklicht er die Vision einer freien Bildung in der UniArtCity, ist als Rapper Simon Courtier unterwegs, hat eine Petition zur Mitbestimmung junger Menschen an der Entscheidung zur Wehrpflicht initiiert. Wir sprachen mit ihm über die Rolle der Jugend und der Älteren in unserer Gesellschaft und wie wir uns begegnen können.
evolve: Wie hast du den Dialog zwischen den Generationen erlebt? Wie erlebst du vielleicht auch die Abwesenheit von Dialog?
Simon Marian Hoffmann: Ein Ursprung meines aktivistischen Wirkens ist die Erfahrung, als junger Mensch in eine Kultur hineingeboren zu sein, die im Zwischenmenschlichen sehr kalt und stark auf Leistung ausgerichtet ist. Ich musste immer dem folgen, was mir Menschen vorgegeben haben. In der Schule, aber auch sonst habe ich erfahren, dass die Erwachsenenwelt eher dirigierend unterwegs war statt kooperativ, und habe sehr darunter gelitten. Mit zwölf Jahren hat mir mein Bruder sehr viel von der Weltlage gezeigt: Ausbeutung, Klimakrise, Kriege und Kolonialisierung, die immer noch stattfinden. Das hat mich so geschockt, dass ich dachte, es muss doch jemanden geben, der dagegen vorgeht, aber diese Menschen habe ich nicht gefunden. Deshalb habe ich mich auf die Suche gemacht.
Ich war zwölf Jahre alt, und die Leute haben immer mit so einem Lächeln zu mir herabgesehen. Oft hörte ich: ›Werde erstmal erwachsen, lerne den Ernst des Lebens kennen. Es gibt viele Probleme, aber ich habe als Erwachsener mein eigenes Leben.‹ Es war das starke Gefühl, nicht gesehen zu werden. Ich habe gemerkt, dass es vielen jungen Menschen so geht.
Mir wurde klar, dass alle nach vorne schauen, zu denen, die vor uns gehen und über uns stehen. Wir erklettern die Hierarchie, und kaum jemand schaut zurück. Ich möchte zurückschauen zu denen, die nach mir kommen, die ein paar Jahre jünger sind als ich und dazu beitragen, dass es ihnen besser ergeht. Deshalb habe ich mich für ein freies Verständnis von Bildung eingesetzt. Ich beende die Schule, aber die jüngeren Menschen, die nach mir kommen, müssen da alle durch. Wenn ich weitermache und meine Karriere vorantreibe und nichts verändere, dann wird das immer so weitergehen.
Wirken auf Augenhöhe
e: Hast du ältere Menschen gefunden, die dich dabei unterstützt haben?
SMH: Es gab eine tiefe Sehnsucht, dass Lehrer oder Dozenten oder andere Menschen eine Mentorenrolle für mich übernehmen. Die konnte ich aber nicht finden, deswegen musste ich sie mir erschaffen.
Ich bin zunächst in die Rebellion gegangen und habe gesagt: ›Hey, das kann doch nicht sein, dass ihr als ältere Generation uns nicht seht, dass ihr nur an euch denkt und nur nach vorne schaut und nicht nach hinten.‹ Deshalb habe ich mich für einen Aufstand der Jugend eingesetzt. Gleichzeitig war da eine Sehnsucht, die aber nicht erfüllt wurde: wirklich gesehen zu werden, ein kooperatives Wirken auf Augenhöhe, gemeinsam mit der älteren Erfahrung und der jugendlichen Energie.
»In der Ich-Du-Beziehung zwischen zwei Menschen unterschiedlicher Generationen steckt eine unglaubliche Kraft.«
Das habe ich erst erfahren, als ich auf ältere Menschen zugegangen bin, die ich bewundert habe, die Vorbilder für mich waren. Zu denen habe ich gesagt: ›Möchtest du mein Mentor sein, meine Mentorin sein in diesem Bereich?‹ Das war ein Wandel für mich. Deswegen haben wir die Mentorenschaft in den Bildungsbrief, unseren Ansatz für freie Bildung, integriert. Denn in der Ich-Du-Beziehung zwischen zwei Menschen unterschiedlicher Generationen steckt eine unglaubliche Kraft, die wir als Gesellschaft noch überhaupt nicht nutzen. Dadurch verbauen wir uns Wege für ein schöpferisches Miteinander.
e: Was hat sich dadurch verändert, dass du solche Menschen gefunden hast, die für dich Mentoren waren?
SMH: Als Organisation »Demokratische Stimme der Jugend« sind wir zum Beispiel an bestimmten Stellen nicht weitergekommen. Deshalb haben wir Menschen eingeladen. Ein Mentor war der Philosoph Fritz Andres, der sich Zeit genommen hat, uns zuzuhören und auf unsere Fragen zu antworten. Es war das Gefühl: Ich werde gesehen und bin nicht nur Gegenstand von irgendeiner auszuführenden Aufgabe, es geht hier wirklich um mich, um eine Begegnung. Er interessiert sich für meine Fragen, für mein Wesen, für meine Ideen, für meine Visionen und hat Lust, etwas dazuzugeben.
Als Gerald Hüther für ein paar Jahre die Mentorenschaft für mich eingegangen ist, fasste ich das Selbstvertrauen, an die Öffentlichkeit zu gehen mit dem, was ich zu sagen habe, weil ich dieses Feuer in mir fühle und der Gesellschaft einen Wert geben will. Diese Beziehungen zu Mentoren haben mich oft dazu gebracht, dass ich mich fokussieren konnte und wirksamer wurde, weil sie Kontakte vermitteln und Feedback geben.
Ein unverbrauchter Blick
e: Ich fand es sehr eindrücklich, wie du diesen umgekehrten Gang in die Zukunft beschrieben hast. Die alte Idee ist: Wir gehen in die Zukunft, und die Generationen nach uns kommen irgendwie mit. Man zieht die neuen Generationen hinein in das, was schon gewesen ist. Dadurch ist es vielleicht für unsere Gesellschaft so schwer, wirklich neue Umgangsformen zu finden, weil man immer das Alte fortschreibt. Mit deinem umgekehrten Blick stellt sich die Frage: Wie macht man die Dinge, unter denen man selber gelitten hat, anders? Im Erwachsensein vergisst man das leicht, weil man in Systeme eingebunden ist und diese radikalen Fragen nicht mehr stellen kann. Das ist ja das Schöne an der Jugend, dass sie die Kraft hat, diese Fragen unverblümt zu stellen, die sich Erwachsene gar nicht mehr zu stellen trauen, weil es dem ganzen Leben vielleicht den Boden entziehen würde.
SMH: Ich habe mich in den letzten zehn Jahren intensiv mit der Aufgabe der Jugend in der Gesellschaft beschäftigt. Mit meinem Bildungsbrief, also meinem selbstbestimmten Abschluss in Philosophie, habe ich ein Buch mit dem Titel »Aufstand der Jugend« geschrieben, in dem ich eine Philosophie der Jugend entwerfe. Was ist die Aufgabe der Jugend, und was ist die Aufgabe der älteren Menschen, die länger gelebt haben?
Die Jugend kommt neu in die Gesellschaft, mit einem unverbrauchten Blick. Je älter ich werde, desto mehr entwickle ich meine Muster, meine Einstellung und meine Meinungen. Junge Menschen sind noch unverformt. Die Jugend sieht von außen Dinge, die wir nicht mehr sehen: Warum gibt es Obdachlose? Warum gibt es die Armen und die Reichen? Warum gibt es den Klimawandel, warum zerstören wir unsere Erde, warum gibt es Kriege?
»Wir brauchen einen Aufstand der Jugend in jedem einzelnen Menschen.«
Aus diesen Fragen setzen sich junge Menschen dafür ein, dass es anders wird. Sie kommen aber in ein System, wo man ihnen sagt: ›So sind die Dinge einfach, für uns war es auch nicht anders.‹ Dir werden vorgeschriebene Wege gezeigt, wie eine Ingenieurin, eine Lehrerin oder ein Anwalt sein soll. Auf diesem Weg vergisst du all das, was du ändern wolltest. Deswegen kritisiere ich unsere Form von Bildung. Es könnte doch sein, dass meine Art, Anwalt oder Psychologin zu sein, ganz anders ist als das bisher Bekannte.
Die Jugend bringt das Neue auf die Welt, neue Ideen und Inspirationen. Wir als Gesellschaft könnten die Jugend als Transformationsquelle nutzen und erkennen, dass sie eine bestimmte Aufgabe hat. Die Jugend von 14 bis 28 Jahren ist ein Transformationsprozess des Menschen. In jedem Einzelnen liegt aber auch ein Transformationsprozess für die komplette Gesellschaft, denn in dieser Zeit entsteht das politische Verständnis für das, was der junge Mensch verändern möchte.
Ein junger Mensch hat die Aufgabe, die Gesellschaft zu verändern. Deswegen entsteht ein Generationenkonflikt, weil ältere Personen ihr Leben gelebt haben. Sie hatten auch Ideen, die sie verwirklichen wollten. Nach dem heutigen Verständnis musst du diesen gesamten vorgefertigten Weg gehen, um beispielsweise Arzt zu werden oder einer Partei anzugehören, um dann mit 50 etwas verändern zu können. Du bist 16 und hast den Impuls, ich möchte etwas für die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern tun. Dann musst du diesen gesamten Weg gehen, bis du in eine Machtposition kommst, um es zu verändern. 25 Jahre nach deinem ursprünglichen Impuls kannst du zur Umsetzung dieser Veränderung beitragen. Und dann braucht es 30 Jahre, bis es in der Gesellschaft gelandet ist. Dann hängen wir als Gesellschaft aber immer 50 bis 70 Jahre hinterher.
e: Was ist die Aufgabe der Älteren? Oder was könnte ihre Aufgabe sein?
SMH: Wenn ältere Menschen erkennen, dass junge Menschen etwas verändern wollen, könnten die Älteren den Jüngeren die Möglichkeit dazu geben. Dann würden wir im Jetzt landen. Veränderung würde jetzt passieren und nicht erst, wenn ich alt geworden bin und es dann vielleicht nicht mehr relevant ist.
Wenn ich als junger Mensch nicht gesehen werde, sehe ich auch die Älteren nicht, da ist auch keine Wertschätzung. Es ist schlimm, wie wir jetzt mit den Älteren umgehen, die Wissen und Weisheit erlangt haben. Dieses Potenzial möchte sich ausdrücken.
Nun haben wir eine Gesellschaft gebaut, in der die Kinder in den Kindergarten, in die Schule und dann in die Ausbildung gehen. Wir stellen Lehrer oder Professorinnen vor sie hin, und die Jüngeren haben denen zu folgen, ob sie wollen oder nicht. Aber es gibt viele Ältere, die ihr Leben gelebt haben und ganz viel Wissen haben. Dieses Wissen und der Veränderungswille der Jugend wird nicht in Kontakt miteinander gebracht.
Wenn ein junger Mensch ein Anliegen hat und einen Älteren fragt: ›Magst du für mich Mentor sein in diesem Anliegen?‹, dann wird die Jüngere gesehen für ihr Wirken und die Ältere mit ihrer Erfahrung. Es ist eine Wertschätzung in beide Richtungen. Keiner meiner Mentoren wollte jemals Geld von mir, weil es darum nicht geht. Es geht darum, dass ich ihn wertschätze, dass ich von ihm lernen will und er mir gerne sein Wissen gibt.
Der Ältere hat ja wie ich ein Anliegen als Kulturschaffender, als Bildungsmensch. Wenn ein junger Mensch mit gleichen Anliegen kommt, dann sind wir schon zwei. Die Ältere hat die Weisheit, die Jüngere hat die Energie, die Vision, die Ideen. Wenn das zusammenkommt, kann sich auch der Lebensweg, der Lebenstraum, die Lebensaufgabe des Älteren erfüllen.
Wenn ich als Älterer erkenne: Ich habe Verbündete in der jüngeren Generation, Menschen, die mir bei meiner Lebensaufgabe helfen, wenn ich älter werde, dann verbinden sich zwei Anliegen, und wir können gemeinsam richtig viel bewirken.
Innere Jugend
e: Du sprichst etwas an, das mit unserem Verständnis des Lebens und von uns selbst zu tun hat. Der Fokus liegt nicht so sehr auf den Systemen oder Strukturen, die wir hervorgebracht haben, und wie man sie erhalten kann, sondern vielmehr auf der Frage: Wie kann der Kraft des Lebens Raum gegeben werden, uns neue Wege zu zeigen? Es kommen immer wieder neue Menschen mit einem neuen Blick, mit neuem Anliegen, mit neuen Fragen und Visionen in die Welt. Eine Gesellschaft kann sich nur dadurch lebendig erhalten, dass sie für diesen Lebensimpuls empfänglich ist und Räume schafft, in denen er sich zeigen kann und nicht mit dem, was vorher schon da war, zubetoniert wird.
SMH: Ja, hier verbinden sich zwei Fragen: ›Wo ist mein Platz als Älterer mit meinem ganzen Wissen?‹ und ›Wo ist der Raum für die neuen Impulse, in denen das Neue auf die Welt kommen kann?‹ Beides kommt nicht in den Kontakt, weder in der Schule, noch in der Universität, noch in den Ausbildungsstätten. Deshalb stagniert unsere Gesellschaft.
Du gehst in die vorgefertigten Systeme und arbeitest dein Leben lang, bist in deinem Hamsterrad, und plötzlich bist du Rentnerin. Und dann sollst du leben und weißt gar nicht mehr, wo dein Feuer ist, was deine Lebensaufgabe ist.
Wenn ich der Jugend den Freiraum zugestehe, dass sie sich ausleben darf und herausfinden kann, warum sie eigentlich hier ist, was sie der Gesellschaft schenken möchte, dann habe ich auch als ältere Person einen Platz, an dem ich ein Gegenüber sein kann, eine Mentorin, die sagen kann: ›Ich lebe schon länger, ich kann dir deinen Weg weisen, wenn du das möchtest. Ich habe Fehler gemacht, die musst du nicht machen. Ich erkenne mich selber in dieser jungen Person und mein Anliegen wird weitergegeben an die nächste Generation. Das heißt auch, ich lebe ein Stück weiter.‹
Der Kontakt mit der Jugend ist pure Lebendigkeit. Weil wir das so getrennt haben in unserer Gesellschaft, fehlt diese Lebendigkeit auch den Älteren. Sie sind von der Entwicklung der Gesellschaft abgeschnitten. Ich kann verstehen, warum sie oft so verbittert werden oder Entscheidungen treffen, die nicht das Beste für die nächste Generation sind, weil sie gar keine Verbindung zu den Jüngeren spüren.
Es gibt ja heute die Theorie des inneren Kindes. Für mich aber gibt es auch den inneren Jugendlichen. Jeder war einmal ein Jugendlicher, der gegen seine Eltern oder gegen die Gesellschaft rebelliert hat und etwas ändern wollte. Diesen inneren Jugendlichen trage ich in mir. Wenn ich als ältere Person dieser inneren Jugendlichkeit Raum gebe, dann kann ich mein Leben ständig verändern, mit der Kraft des inneren Jugendlichen, der sagt: ›Hier stimmt etwas nicht in der Partnerschaft, in meinem Beruf, ich muss den nächsten Entwicklungsschritt gehen.‹
Wir brauchen einen Aufstand der Jugend in jedem einzelnen Menschen, um unsere Kultur zu verändern. Wenn ich Raum für den inneren Jugendlichen in mir gebe, dann kann ich auch der Jugend Raum zuerkennen, weil sie Transformationsprozesse für uns als Gesellschaft voranbringt. Dann muss ich nicht die Machtpositionen besetzen und mich dort halten, sondern ich kann weitergehen. Ich kann den Platz frei machen für die nächste Generation und kann in ein Ältesten-Sein wachsen.
In der UniArtCity, unserer selbstbestimmten Hochschule, versuchen wir, das im kleinen Mikrokosmos unter den Jugendlichen zu machen. Ich habe die Position der Projektleitung, aber ich gehe jetzt auch Schritte da heraus und mache Platz frei für die, die jünger sind, und gehe in eine Mentorenrolle innerhalb der Jugend.
Räume für Transformation
e: Was du ansprichst mit dem inneren Jugendlichen ist für mich auch ein Bild für einen gewissen radikalen Aufbruchsgeist im Menschen, der eigentlich immer da ist. Es braucht Räume, in denen dieser Aufbruchsgeist gelebt wird, damit sich eine Gesellschaft transformieren kann. Mit der UniArtCity gebt ihr dieser transformativen Kraft einen Raum. Wie gestaltet ihr diesen Ort?
SMH: Die UniArtCity ist eine selbstbestimmte Hochschule, in der junge Menschen den Raum halten, in dem ihre Ideen landen können. Dort kommt alles zusammen, was ich in den letzten Jahren mit vielen jungen Menschen zum Thema freie Bildung erforscht habe: Wie kann ich meinen eigenen Lebensweg gestalten und das in mir bilden, was ich für mein Leben brauche? Es gibt kaum Räume für junge Menschen, in denen sich das Neue zeigen kann. Als junge Menschen kommen wir in eine Welt, die vergeben ist. Ich habe ein Kinderzimmer und bin permanent überall Gast. Es gibt keinen Raum, der mir gehört. Ich hatte eine tiefe Sehnsucht, einen Raum zu haben, den ich mitgestalten darf, wo ich sein kann.
Die UniArtCity ist ein Raum in der Natur, in der Nähe der Zukunftswerkstatt Schloss Tempelhof, an einem Ort, den wir FlowValley nennen. Er besteht aus zehn Naturbauten, und die jungen Menschen leben dort in Zelten das halbe Jahr über und studieren. Es gibt einen zweiten Standort, die UniArtCity Forest, einige Kilometer entfernt im FlowForest. Dieser Ort besteht aus drei großen Gebäuden, die uns gestiftet wurden. Übrigens kann uns die ältere Generation auch so unterstützen. Sie hat Ressourcen, sie hat Kontakte, sie hat Gelder, sie hat ganz viele Möglichkeiten. Wenn die ältere Generation den jungen Menschen Raum schenkt, dann können wir als junge Menschen in diesen Räumen gedeihen und etwas Neues kreieren.
Jetzt können hier junge Menschen mit dem Bildungsbrief studieren. Das bedeutet, ich setze mir selber meine Lernziele, ich suche mir Mentorinnen und Methodiken, um meine Lernziele zu erreichen. Und am Ende prüfe ich mich selbst. Selbstprüfung bedeutet, dass ich mich selber anerkennen muss in meinem Bildungsprozess. Wenn ein Mentor mir das bestätigt, kann es tiefer in mir landen, und ich kann es verkörpern. Der Bildungsbrief entsteht aus einem modernen Prozess der Initiation, den wir der Gesellschaft geben wollen. Das ist eine Idee, die aus der Jugend kommt. Der Bildungsbrief ist etwas Neues, das auf die Welt kommt und sagt: Das ist das, was wir als junge Menschen brauchen.
Wenn man der Jugend solche Transformationsräume zugesteht, kann die Gesellschaft dort hingehen und schauen, was da anders gemacht wird. Man kann das, was für die Gesellschaft relevant ist, aufgreifen und implementieren, und dadurch transformiert man die Gesellschaft.
e: Wie lebt ihr das in der Beziehung mit Älteren? Ist euer Projekt auch ein Raum des Dialoges oder der Begegnung zwischen den Generationen?
SMH: Nur deshalb konnten wir das alles aufbauen. Das ist ein Potenzial, das zwischen den Generationen schlummert, wenn sich in einem Begegnungsdialog die Weisheit und das Wissen der Älteren mit den jüngeren Menschen trifft, die eine Frage haben. Das passiert in der UniArtCity täglich. Wir renovieren gerade das ganze Haus und kommen täglich an einen Punkt, an dem wir nicht weiterwissen. Jeden Tag kommen ältere Menschen zu uns, wir haben verschiedene Handwerker oder Menschen, die uns im Business oder beim Projektmanagement unterstützen.
Im Dialog entstehen neue Wege, und das ist auch für die Mentorinnen sehr lebendig. Es gibt viele Geschichten darüber, dass die Älteren Projekte wieder angefangen haben, weil wir als Jüngere daran interessiert sind. Das ganze Wissen, das angehäuft wurde, bekommt einen Sinn.
Durch unsere Kultur, wie wir sie bisher gestalten, haben wir viele Ressourcen verschwendet. Die Energie der jungen Menschen wird nicht abgeholt, sondern nur genommen, um alte Systeme zu erhalten. Aber auch das Wissen der Älteren kommt aufs Abstellgleis. Wenn wir das Ganze nutzen in aller Lebendigkeit, dann wird sich ganz viel verändern.
»Die Jugend bringt das Neue auf die Welt.«
Genau das brauchen wir jetzt. Wir sind in einer Krisenzeit und brauchen Veränderungen. Wenn wir uns verbinden, können wir wieder Lebendigkeit in die Visionen, in die Träume von Menschen, von Ideen, von Projekten bringen. Wenn ich als Mentorin eine Gruppe junger Menschen begleite, dann entsteht vielleicht genau das, was ich mir immer gewünscht habe, wovon ich immer geträumt habe. Und ich kann dazu beitragen, aber muss es gar nicht selber machen. Das ist ein riesiges Geschenk. Dabei entsteht so viel Lebendigkeit, Liebe und Dankbarkeit! Wir hatten hier Treffen mit Mentorinnen und jungen Menschen, das war magisch, da ist so viel Liebe geflossen.
Eine strahlende Welt
e: Wir kommen in die Welt, gehen durchs Leben und wieder aus der Welt. Gleichzeitig sind wir immer Teil der Generationen, die nach uns kommen, und der Generationen, die vor uns waren. Wenn ich das im Bewusstsein habe, dann entsteht aus der Tiefe der gemeinsamen Verbundenheit auch ein anderer Umgang zwischen den Generationen.
SMH: Ja, wir haben in unserer Menschheitsgeschichte lange gekämpft, bis wir das Individuum, das Ich und die Selbstbestimmung entwickelt haben. Ich nehme mein Leben in die Hand, ich bin dafür verantwortlich, und ich bin gleichzeitig ein Teil des großen Organismus Menschheit. Es gibt etwas, das uns alle verbindet. Das Menschheitswesen an sich möchte sich weiterentwickeln und möchte vielleicht auch Fähigkeiten entwickeln, die wir uns heute gar nicht vorstellen können. Die Menschheit hat nicht die Aufgabe, mit der technischen Welt in Kontakt zu gehen und eine Art Übermensch zu werden, sondern durch die natürliche Intelligenz, die in uns lebt, durch Beziehungen, durch empathische, intuitive, kreative Fähigkeiten Neues zu entdecken.
Meine Kinder kommen durch mich und ich komme durch meine Eltern, wir sind verbunden. Als Menschheitswesen bewegen wir uns gemeinsam in diese Zukunft, und ich sehe mich als einen Teil davon, der seinen ganz persönlichen Beitrag dazu leistet, angebunden an dieses große Ganze.
Wenn ich Gutheit in meine Taten bringe und gleichzeitig diesem Großen einen Raum in mir gebe, dann geht mir die Energie nicht aus. Dann weiß ich, wir gehen in eine Zukunft, und da kommen Herausforderungen – Leute wollen Krieg spielen oder feiern die Technik als neuen Heilsbringer. Weil ich Urvertrauen habe und mich für einen anderen Weg einsetze, bin ich verbunden mit Menschen, die das auch fühlen und sich dafür engagieren. Das ist ein riesiges Geschenk. Es ist eine Quelle, die nicht aufhört zu sprudeln.
Deswegen habe ich auch keine Angst vor der Zukunft, die mich lähmt, sondern eher eine spielerische, eine lebendige Angst, die sagt: ›Okay, lass uns mal schauen, was wir kreieren können.‹ Es gibt noch so viel zu erforschen. Wenn ich auf ein erstes Date gehe, weiß ich nicht genau, was passiert, aber es ist eine ängstliche Aufgeregtheit da, aus der etwas Wunderschönes entstehen kann.
Wenn wir mit dieser Energie, dieser Ängstlichkeit, diesem Nichtwissen in die Zukunft gehen, können wir auch den Raum zwischen den Generationen neu erforschen. Wir können Frieden zwischen den Generationen, zwischen den Geschlechtern, zwischen uns und der Erde schaffen. Dann entstehen eine andere Menschheit und eine andere Welt. Eine neue strahlende Welt, in der es uns erlaubt ist, mehr zu strahlen.
Author:
Mike Kauschke
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Ihr Leben lang erforschte die Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin Barbara von Meibom die historischen Verletzungen, die es in Deutschland erschweren, sich der heilenden und verbindenden Kraft des Seelischen zuzuwenden.
Angelika Lauber lädt Menschen, Teams, Organisationen in künstlerische Prozesse der Reflexion und Veränderung ein, in denen auch nicht-menschliche Akteure eine zentrale Rolle spielen. Wir sprachen mit der Sozialwisssenschaftlerin, Künstlerin und Imkerin über die Kraft echter Beziehung.