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Mehmet Ungans Weg zum Vermittler zwischen Kulturen
Gleich zu Beginn unseres Gesprächs begegnet mir Mehmet Ungan mit Zugewandtheit und einem wachen Interesse. Ich spüre, dass er jemand ist, der Menschen im Herzen anspricht und verbinden kann, über alle Unterschiede hinweg. Als Musiker, Sozialarbeiter, Sufi-Praktizierender und Gründer der Orientalischen Musikakademie Mannheim (OMM) ist sein Leben geprägt von der Kraft der Verbundenheit inmitten einer oftmals fragmentierten Welt.
Aufgewachsen ist Mehmet Ungan im südlichen Teil der Türkei auf dem Land. Zu seinen frühesten Erinnerungen gehört der Duft der Orangen. Und die Musik. Er ist in einer Familie groß geworden, in der beide Elternteile Waisen waren: »Unsere Familie ist das Produkt von Sehnsucht und Traurigkeit, aber auch von Güte, Barmherzigkeit und Universalität. Wenn meine Mutter erfuhr, dass irgendwo ein Kind gestorben ist, hat sie geweint.« Und seine Mutter sang beim Nähen, während der kleine Mehmet das Rad der handbetätigten Nähmaschine drehte. Seine Mutter kannte keine Musiktheorie, aber improvisierte inbrünstig über ihren Schmerz und ihre Freude. Geprägt haben Mehmet auch die gemeinsamen Besuche im Tempel. Wenn die Mutter einen Schrein oder einen Tempel besuchte, sah er eine Haltung von tiefer Hingabe. Später, als er das erste Mal einen Sufi-Tempel betrat, spürte er diese Haltung und war seiner Mutter dankbar: »Es ist ein Zeichen dafür, dass dein Handeln geheiligt sein kann.«
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Mehmet Ungans Weg zum Vermittler zwischen Kulturen
Gleich zu Beginn unseres Gesprächs begegnet mir Mehmet Ungan mit Zugewandtheit und einem wachen Interesse. Ich spüre, dass er jemand ist, der Menschen im Herzen anspricht und verbinden kann, über alle Unterschiede hinweg. Als Musiker, Sozialarbeiter, Sufi-Praktizierender und Gründer der Orientalischen Musikakademie Mannheim (OMM) ist sein Leben geprägt von der Kraft der Verbundenheit inmitten einer oftmals fragmentierten Welt.
Aufgewachsen ist Mehmet Ungan im südlichen Teil der Türkei auf dem Land. Zu seinen frühesten Erinnerungen gehört der Duft der Orangen. Und die Musik. Er ist in einer Familie groß geworden, in der beide Elternteile Waisen waren: »Unsere Familie ist das Produkt von Sehnsucht und Traurigkeit, aber auch von Güte, Barmherzigkeit und Universalität. Wenn meine Mutter erfuhr, dass irgendwo ein Kind gestorben ist, hat sie geweint.« Und seine Mutter sang beim Nähen, während der kleine Mehmet das Rad der handbetätigten Nähmaschine drehte. Seine Mutter kannte keine Musiktheorie, aber improvisierte inbrünstig über ihren Schmerz und ihre Freude. Geprägt haben Mehmet auch die gemeinsamen Besuche im Tempel. Wenn die Mutter einen Schrein oder einen Tempel besuchte, sah er eine Haltung von tiefer Hingabe. Später, als er das erste Mal einen Sufi-Tempel betrat, spürte er diese Haltung und war seiner Mutter dankbar: »Es ist ein Zeichen dafür, dass dein Handeln geheiligt sein kann.«
Der Bezug zum Heiligen kam früh in Mehmets Leben, auch durch einen Onkel, der einen Sufi-Weg ging. Bei einem Besuch machte er seine erste spirituelle Erfahrung: »Es war August, und die Zikaden waren sehr laut. Mein Onkel bat mich, ihm in die Augen oder besser zwischen die Augen zu schauen, wo das dritte Auge ist. Da hatte ich als Teenager meine erste Einheitserfahrung. Ich hatte das Gefühl, ich kann im Klang der Zikaden den ganzen Kosmos hören. Wenn ich heute meditiere, begleitet mich der Klang noch immer. Klang ist für mich das beste Tor zu innerer Stille.«
Musik war für Mehmet schon früh ein Ausdrucksmittel. Er hatte eine Lehrerin, die ihn förderte. Sie liebte Musik und zitierte Mehmet in der großen Pause ins Lehrerzimmer, wo er für sie singen sollte: »Ich war das Radio in der Schule und habe während der Pause für alle gesungen.« Er lernte Gitarre spielen, die ihn auch begleitete, als er mit 19 Jahren zum Studium nach Deutschland kam und in den ersten zehn Jahren auch von Auftritten bei Hochzeiten und Kulturabenden lebte. Da er in der Türkei keinen Studienplatz fand und sein älterer Bruder, den er sehr verehrte, schon in Deutschland lebte, war der Schritt naheliegend. Zudem wuchsen in der Türkei die soziale Spannung und der politische Druck. Mehmet, der politisch progressiv dachte, wollte in einer Demokratie leben, wo er sich entfalten kann.
In Mannheim studierte er Soziologie. Obwohl er die Theorie sehr trocken fand, wollte er seine Erfahrungen als Türke in Deutschland einbringen und als Vermittler beim Thema Integration wirken. Ihn interessierte die Wirkung der Gastarbeiter auf die Gesellschaft außerhalb der ökonomischen Kennzahlen. Nach dem Studium arbeitete Mehmet an einer Berufsschule, in zahlreichen Integrationsprojekten und gründete die OMM. Dabei sah er sich immer als jemand, der die Gegensätze verbindet, so wie er auch in seiner Person den Soziologen, Musiker und spirituell Interessierten verband.
Im Internationalen Bund für Sozialarbeit arbeitete er mit sozial benachteiligten Jugendlichen mit Lernbehinderungen. Gemeinsam mit einem Kollegen, der ebenfalls Musiker war, brachten sie den Jugendlichen die Musik nahe. Mit großem Erfolg: »Sie erkannten, dass sie nicht nur ein Teil eines Systems sind, das funktionieren soll, sondern Menschen mit Trauer und Freude, die durch die Musik angesprochen werden. Musik hat mir wieder bewiesen, wie wichtig es ist, den Menschen nahe zu sein.« Mehmet erzählt mir die Geschichte von Michael, einem Neonazi »wie aus dem Katalog«, mit Springerstiefeln, Bomberjacke und Glatze. Er war verhasst bei den Sozialarbeitern, die eher links orientiert waren. Mehmet hatte Mitgefühl für ihn, merkte, dass er Einzelgänger war. Manchmal gab er ihm Geld oder eine Zigarette. Irgendwann sagte Michael zu ihm: »Weißt du, obwohl du Türke bist, habe ich dich lieb.« Und Mehmet antwortete: »Obwohl du ein Nazi bist, habe ich dich gern.« Und Michael erwiderte: »Weißt du, ich bin so allein und eigentlich nur ein Mitläufer.«
»Jenseits von allen Begrenzungen ist die Musik eine Kunstform, die uns verbindet.«
Solche Begegnungen stärkten Mehmets Überzeugung, dass menschliche Verbundenheit möglich ist. Aber in seiner Arbeit stieß er an die Grenzen des Systems, verließ nach 18 Jahren seine feste Stelle in der Berufsschule und entschloss sich, seinen eigenen Weg zu gehen. Es war eine innere Stimme, die ihn dazu veranlasste, die Sicherheit aufzugeben und ins Ungewisse zu gehen. Es war wie eine Neugeburt. Und obwohl es ein schwerer Schritt war, bei dem Mehmet zwei Anläufe brauchte, um die Kündigung auch tatsächlich zu unterschreiben, fühlte er sich von etwas Größerem geführt. Als er das Gebäude verließ, in dem er gerade die Kündigung unterschrieben hatte, fand er auf der Straße ein Plektrum.
In ihm brannte die Sehnsucht, einen Raum zu gestalten, der Musik, Meditation und Jugendarbeit verbindet. Als diplomierter Flötenbauer wollte er darin auch eine Werkstatt intergieren. Bald nach seiner Kündigung erhielt er einen Anruf von einer Frau, mit der er schon zusammengearbeitet hatte, die ihm einen Raum anbot, dessen Kosten er aber von seinem Arbeitslosengeld nicht zahlen konnte. Aber er sagte zu, in der Hoffnung, dass er das Geld mit Freunden aufbringen konnte. Die meisten, auf die er gezählt hatte, sprangen jedoch ab, und Mehmet stand vor der Frage, wie er den Raum finanzieren konnte. Aber er spürte eine starke innere Berufung, ja, eine Bestimmung. Zufällig traf er einen Mann, den er in der Berufsschule kennengelernt hatte und der ihn zum Essen einlud. Dem erzählte er von seiner Situation, und Hassan, so war sein Name, schlug ihm vor, bei ihm Flötenunterricht zu nehmen und ein Jahr im Voraus zu zahlen: Die erste Miete war gedeckt.
Mehmet begann in der Orientalischen Musikakademie Mannheim (OMM), wie er den Ort nannte, Veranstaltungen und Konzerte zu organisieren, mit einem Schwerpunkt auf der integrativen Jugendarbeit. Seine Arbeit sprach sich bis zum Kulturamt Mannheim herum, das sein Projekt institutionell und konzeptionell förderte. Später kam Unterstützung auch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der Baden-Württemberg Stiftung, auch weil die OMM einen Integrationspreis erhielt.
Bereits die ersten Aktivitäten der OMM hatten sozialpädagogische Ansätze. Es gab musikpädagogische Projekte, Kurse für orientalische und westliche Instrumente oder Tanz, Bands und Probemöglichkeiten. Ein Musiktreff wurde zum festen Bezugspunkt für Jugendliche im Stadtteil und darüber hinaus. Durch den Aufbau einer offenen Jugendkulturarbeit und die Verstetigung erfolgreicher Kulturprojekte mit Geflüchteten wurde die OMM zur Heimat für Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft. Der arabische Chor sowie zahlreiche Projektgruppen und Bands proben in den Räumen der OMM und erarbeiten eigenständig neue transkulturelle Musikprogramme. Durch Mehmets Arbeit wurde der in Deutschland einmalige Studiengang »Weltmusik« an der Popakademie Baden-Württemberg gegründet.
Von Beginn an stand im Zentrum die Stadtteilarbeit mit Kindern und Jugendlichen aus Rumänien, Bulgarien, der Türkei und anderen Ländern, die an der OMM ein Instrument lernen konnten. Mit leuchtenden Augen erzählt mir Mehmet von einem Jugendlichen, der nicht einmal einen Hauptschulabschluss hatte und jetzt an der Hochschule Mannheim Jazz studiert. Viele andere sind ebenfalls Musiker geworden: »Wir konnten vielen Jugendlichen helfen, eine Orientierung zu finden, sich in der Schule zu festigen, einen Beruf zu lernen, vielleicht auch Musiker zu werden.«
Daneben setzt sich das Institut für den Austausch der Kulturen ein und organisiert Konzerte mit Musikern aus Indien, der Türkei, dem Irak oder Afghanistan: »Da sitzt dann ein afghanischer Flüchtling neben einer Dame, die sich nie freiwillig in so eine Begegnung begeben hätte.« Mehmet sieht es als seine Hauptaufgabe, Menschen zusammenzubringen. Begeistert berichtet er von einem Konzert vor einigen Tagen mit einem jüdischen Israeli und einer muslimischen Perserin in einer christlichen Kirche. »Jenseits von allen Begrenzungen ist die Musik eine Kunstform, die uns verbindet.« Seit einem Jahr ist Mehmet nun eigentlich Rentner, und die OMM geht gerade durch einen Wandel, an dem er weiterhin aktiv beteiligt ist. Gleichzeitig hat Mehmet wieder etwas mehr Raum, um sich seinem spirituellen Weg zu widmen. Er ist Mitbegründer der Sufigemeinschaft Gayanshala, und mit seiner Sufimusik-Gruppe Hosh Neva gastiert er bei interkulturellen und interreligiösen Veranstaltungen in ganz Europa. In seiner Spiritualität hat ihn vor allem auch der integrale Philosoph Ken Wilber geprägt, der ihn den Sufismus neu und tiefer verstehen ließ. Zum Ende unseres Gespräches berichtet mir Mehmet von einem Treffen mit einem Sufi-Meister, der ihm sagte: »Mein Sohn, es gibt nur einen Schöpfer. Es gibt nur einen einzigen Schauspieler im ganzen Kosmos und das ist Gott. Er spielt alle Rollen. Wir alle sind Ornamente Gottes.« Aus dieser Erfahrung der Einheit heraus verbindet Mehmet Ungan Menschen aus verschiedenen Kulturen miteinander und mit der Kraft der Musik und eines all-verbindenden Geistes.
Author:
Mike Kauschke
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