Eine gestaltbare Welt

Our Emotional Participation in the World
English Translation
0:00
0:00
Audio Test:
Interview
Publiziert am:

July 7, 2025

Mit:
Arvy Kumar
Kategorien von Anfragen:
Tags
No items found.
AUSGABE:
47
|
July 2025
Interbeing
Diese Ausgabe erkunden

Über Räume, Regeneration und gerechte Tech-Zukunft

Wir leben in Räumen, die wir gestalten und die wiederum uns prägen. Wie können wir physische und digitale Räume schaffen, die uns verbinden? Diese Frage bewegt den Designer Arvy Kumar und sein Team.

evolve: Was treibt dich in deiner Arbeit an?

Arvy Kumar: Mein Hauptaugenmerk liegt darauf, zu verstehen, wie Infrastrukturen Verhalten und Beziehungen formen, sei es psychologisch, sozial oder räumlich. Ich habe im klinischen Bereich begonnen und mit Kindern und jungen Erwachsenen mit Beeinträchtigungen aus dem Autismus-Spektrum gearbeitet. Dabei habe ich erforscht, wie sowohl physische als auch psychologische Infrastrukturen die Einschätzung unserer Fähigkeiten und unsere Integration beeinflussen. Die klassische Metapher, die ich verwende, lautet: Eine Person im Rollstuhl erfährt ihre Behinderung nur, wenn wir Treppen bauen, aber wenn wir Rampen bauen, löst sich diese Einschränkung auf. So können durchdacht gestaltete Umgebungen wahrgenommene Behinderungen verringern.

Heute übertrage ich diese Erkenntnisse auf die Schaffung von transformativen Erfahrungen rund um Stadtdesign und Technologie, immer mit einer Frage im Hinterkopf: Wie können Umgebungen – physisch, kognitiv, digital – persönliche und kollektive Veränderungen unterstützen?

Bitte werden Sie Mitglied, um Zugang zu den Artikeln des evolve Magazins zu erhalten.

Über Räume, Regeneration und gerechte Tech-Zukunft

Wir leben in Räumen, die wir gestalten und die wiederum uns prägen. Wie können wir physische und digitale Räume schaffen, die uns verbinden? Diese Frage bewegt den Designer Arvy Kumar und sein Team.

evolve: Was treibt dich in deiner Arbeit an?

Arvy Kumar: Mein Hauptaugenmerk liegt darauf, zu verstehen, wie Infrastrukturen Verhalten und Beziehungen formen, sei es psychologisch, sozial oder räumlich. Ich habe im klinischen Bereich begonnen und mit Kindern und jungen Erwachsenen mit Beeinträchtigungen aus dem Autismus-Spektrum gearbeitet. Dabei habe ich erforscht, wie sowohl physische als auch psychologische Infrastrukturen die Einschätzung unserer Fähigkeiten und unsere Integration beeinflussen. Die klassische Metapher, die ich verwende, lautet: Eine Person im Rollstuhl erfährt ihre Behinderung nur, wenn wir Treppen bauen, aber wenn wir Rampen bauen, löst sich diese Einschränkung auf. So können durchdacht gestaltete Umgebungen wahrgenommene Behinderungen verringern.

Heute übertrage ich diese Erkenntnisse auf die Schaffung von transformativen Erfahrungen rund um Stadtdesign und Technologie, immer mit einer Frage im Hinterkopf: Wie können Umgebungen – physisch, kognitiv, digital – persönliche und kollektive Veränderungen unterstützen?

e: Wie sieht das in deiner täglichen Arbeitspraxis aus?

AK: Mit meinem Kollektiv »Seks design« schaffen wir physische und digitale Räume, die Ko-Kreation, Reflexion und gemeinsames Geschichtenerzählen fördern. Eines unserer ersten großen Projekte war der »Moos Space«, ein Loft mit acht Zimmern, das wir in ein Wohnlabor verwandelt haben. Künstlerinnen, Therapeuten, Designerinnen und Technologen lebten und arbeiteten dort zusammen. Alle zwei Wochen haben wir den Raum im Rahmen unseres »Experience Design Showcase« für die Öffentlichkeit geöffnet.

Die Gäste folgten einem buchstäblichen roten Faden – inspiriert vom Ariadne-Faden der griechischen Mythologie –, der die Räume miteinander verband. Jeder Raum war eine lebendige Installation, ein Raum als Erweiterung des Geistes der Bewohner: ein Raum zum Kneten, für angeleitete Atemarbeit oder einfach zum Hören von Schallplatten. Es gab kein anderes Programm als: eintreten, fühlen, nachdenken. Dadurch wurde die Interaktion der Menschen neu definiert, nicht als Konsumenten eines Workshops oder einer Therapie, sondern als Mitgestalter eines lebendigen Systems. Jede Person, die diesen Raum betritt, hat eine Art von mitgestaltendem Fingerabdruck, den sie dem Raum hinzufügt. Du kommst als Gast, du gehst als Gastgeber.

e: Und du hast diese Arbeit über private Räume hinaus ausgedehnt?

AK: Ja, uns wurde klar, dass wir diese Erfahrungen zugänglicher machen wollten. Also schlossen wir uns mit der »Halle für alle« zusammen, einer Gemeinschaftshalle in einer ehemaligen Badewannenfabrik. Jeden Mittwoch kochten und servierten wir Essen für bis zu 150 Personen, ohne dass eine Einladung nötig war. Schnell wurde daraus mehr als nur eine Mahlzeit. Die Leute blieben, um Musik zu hören, Pappmaché zu bemalen oder Jonglieren zu lernen. Neben dem Saal befand sich eine Holz- und Metallwerkstatt, die wir in ein Musiklokal verwandelten.

Wir verlegten Teppiche, installierten eine warme Beleuchtung, eine DJ-Kabine und schufen »Open Decks«, einen wöchentlichen Abend, an dem jeder aus der Nachbarschaft kommen und Platten auflegen konnte – auch wenn es für sie das erste Mal war. In nur zehn Wochen stellten über 100 Künstler ihre Sounds zur Verfügung, und alles war sehr spontan. Alles, was wir anfangs machten, war das Besorgen der Teppiche, der Sofas und der DJ-Kabine, und dann hat der Kiez alles zusammengebracht. Beispielsweise richteten sie Räume für eine Schneiderei ein, denn unsere Kleidung ist auch eine Infrastruktur, die bestimmt, wie wir im Raum interagieren.

»Räume prägen, wie wir uns verbinden.«

e: Warum sind Räume so zentral für deine Arbeit?

AK: Räume prägen, wie wir uns verbinden. Unser Motto lautet: »Wir schaffen Räume, und Räume schaffen uns.« Jeder Gast hinterlässt eine Spur. Und die Räume werden zu einem Werkzeug der Regeneration, nicht nur der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit bedeutet oft die Aufrechterhaltung des Status quo. Regeneration fragt: Wie können wir Bedingungen für Leben, Heilung und Transformation schaffen?

e: In diesem Zusammenhang habe ich gehört, wie du von einer »gerechten phygitalen Zukunft« sprichst. Was bedeutet das?

AK: »Phygital« verschmilzt »physisch« und »digital«. Während der COVID-Zeit sprach man von »hybriden« Formaten – wie Zoom-Konferenzen in sozial entfernten Klassenzimmern. Wir gingen noch einen Schritt weiter: Was passiert, wenn digitale Technologie vollständig in unsere physische Umgebung integriert wird? Wie beeinflussen Wearables, Telefone und KI unser Verhalten, nicht nur individuell, sondern auch sozial?

Wir haben gefragt: Ist dieser Wandel gerecht? Die meisten Technologien werden von großen Unternehmen mit wenig lokalem Input entwickelt. Nur wenige Menschen haben ein Mitspracherecht bei der Gestaltung der Technologien, die ihr Leben prägen. Wir wollten herausfinden: Wie würde lokale Technologie aussehen? Was wäre, wenn KI nicht in deiner Tasche, sondern in deiner Nachbarschaft wäre? Technologien wie Smartphones und KI sind oft zentralisiert und isoliert. Wir wollten sie lokalisieren und demokratisieren.

e: Das ist der Punkt, an dem das KI-Projekt Lube ansetzt?

AK: Ganz genau. »Lube« – kurz für »soziales Schmiermittel« – war unser Experiment mit mitfühlender KI. Wir haben einen gemütlichen Raum mit Räucherstäbchen und Bodenkissen eingerichtet und einen Computer hineingestellt. Die Besucher konnten sich allein oder zusammen hinsetzen und mit der KI über alles Mögliche reden: ihre Nacht, ihre Beziehungen, das Stadtleben. Die KI wurde in mitfühlender Befragung geschult.

Nach dem Gespräch wurde jeder Benutzer zu einem visuellen Datenpunkt auf einer projizierten Leinwand – anonym, aber im Verhältnis zu anderen sichtbar. Sie konnten sehen: Wie nah ist meine Geschichte an der eines anderen Nutzers? Gibt es Spannungen? Verbindung? Die hier eingesetzte Technologie wirkte nicht entfremdend. Sie schuf eine gemeinsame Erzählung und gab den Besuchern die Möglichkeit, über persönliche Themen im Verhältnis zu anderen nachzudenken.

e: Das heißt, das Geschichtenerzählen spielt eine zentrale Rolle in eurer Arbeit?

AK: Auf jeden Fall. Die Polarisierung unserer Gesellschaft – zwischen Individuen, politischen Gruppen, Generationen – ist teilweise eine Krise des Geschichtenerzählens. Die Menschen sind in algorithmischen Echokammern gefangen. Ihr digitales Leben wird durch begrenzte Erzählungen verstärkt. In unserer Arbeit versuchen wir, »meine Geschichte«, »deine Geschichte« und »unsere Geschichte« wieder miteinander in Kontakt zu bringen. Sei es durch eine gästebuchähnliche KI oder gemeinsame DJ-Abende, in denen wir fragen: Was bringt uns zusammen? Wie können Kunst und Technologie Brücken zwischen den Unterschieden bauen? Geschichtenerzählen hilft gegen Polarisierung und Individualisierung. Wir interessieren uns für Technologien, die diese Geschichten sichtbarer machen und mehr miteinander verbinden.

e: Welche Art von Technologien kann das sein?

AK: Ein Ansatz ist die »Low-Tech-KI«. Wir stellen uns Alternativen zu dem Modell mit dem Telefon in der Tasche vor. Was wäre, wenn die KI in einem kühlschrankähnlichen Schrank in einer Gemeinschaftsküche verortet wäre? Was wäre, wenn es sich um ein öffentliches Terminal und nicht um einen privaten Assistenten handeln würde? Im Rahmen unserer Arbeit haben wir darüber diskutiert, wie digitale Infrastrukturen wie Smartphones in unser physisches Leben integriert sind: Ein Mobiltelefon unterscheidet sich deutlich von dem Personal-Computer, den es im Jahr 2000 gab und der oft von der ganzen Familie in einem gemeinsamen Raum wie dem Ess- oder Wohnzimmer genutzt wurde. An diesem Beispiel sehen wir, dass die Technologie immer persönlicher und handlicher geworden ist. Wir sind an Beispielen dafür interessiert, wie wir mit KI in Räumen interagieren können, die sich nicht auf dem Smartphone befinden.

Schon bald wird das Smartphone ein Abbild der künstlichen Intelligenz sein. Deshalb halten wir es für sinnvoll, uns die Frage zu stellen: Wollen wir KI in unseren Taschen in einem sehr individualisierten Umfeld, oder wollen wir, dass sie mehr geteilt wird? Denn je individueller die KI wird, desto wahrscheinlicher trägt sie zur Polarisierung oder Radikalisierung bei. Design kann dazu beitragen.

Anstatt KI aus Klassenzimmern oder Gemeinden zu verbannen, fragen wir: Was wäre, wenn wir unsere Umgebungen einfach durchdachter gestalten würden? Räume, in denen KI keine Blackbox in Ihrer Tasche ist, sondern ein gemeinsames Werkzeug in der Nachbarschaft. Wir glauben, dass Menschen  – wenn sie die Chance dazu haben – Systeme schaffen können, die nicht nur sicher, sondern auch schön sind.

Author:
Julia Wenzel
Teile diesen Artikel: