Die Kunst der Transformation

Our Emotional Participation in the World
English Translation
0:00
0:00
Audio Test:
Projekt-Interview
Publiziert am:

October 19, 2025

Mit:
Angelika Lauber
Kategorien von Anfragen:
Tags
No items found.
AUSGABE:
48
|
October 2025
Die Flamme weitergeben
Diese Ausgabe erkunden

Künstlerische Prozesse, die Beziehung ermöglichen

Angelika Lauber lädt Menschen, Teams, Organisationen in künstlerische Prozesse der Reflexion und Veränderung ein, in denen auch nicht-menschliche Akteure eine zentrale Rolle spielen. Wir sprachen mit der Sozialwisssenschaftlerin, Künstlerin und Imkerin über die Kraft echter Beziehung.

evolve: Was inspiriert dich daran, künstlerische Prozesse zu nutzen, um Transformation in Menschen, Gruppen, Organisationen zu unterstützen?

Angelika Lauber: Ich will damit einerseits Gefühlen von Ohnmacht und Wut einen Raum geben, aber auch der Ehrfurcht vor dieser Welt, die wir zerstören und die gleichzeitig immer noch wunderschön ist. Mir ist aufgefallen, dass uns Transformation große Angst macht. Wir leben in einer Welt, die so komplex ist, dass man aufgrund der Größe der Probleme starke Gefühle der Ohnmacht empfinden kann. Gleichzeitig versuchen wir, die komplexen Polykrisen unserer Zeit rein rational zu lösen. Aber wenn es möglich wäre, uns rational aus diesen Problemen heraus zu denken, dann hätten wir es schon geschafft. Es fehlt nicht an Denkkraft, sondern an irgendetwas anderem, auf das man rein rational nicht so leicht Zugriff hat. Deshalb denke ich, dass wir durch künstlerische Prozesse, die unsere menschliche Ganzheit ansprechen, wieder ins Fühlen kommen. Und das ist für mich ein tieferer Ansatzpunkt für Transformation.

Bitte werden Sie Mitglied, um Zugang zu den Artikeln des evolve Magazins zu erhalten.

Künstlerische Prozesse, die Beziehung ermöglichen

Angelika Lauber lädt Menschen, Teams, Organisationen in künstlerische Prozesse der Reflexion und Veränderung ein, in denen auch nicht-menschliche Akteure eine zentrale Rolle spielen. Wir sprachen mit der Sozialwisssenschaftlerin, Künstlerin und Imkerin über die Kraft echter Beziehung.

evolve: Was inspiriert dich daran, künstlerische Prozesse zu nutzen, um Transformation in Menschen, Gruppen, Organisationen zu unterstützen?

Angelika Lauber: Ich will damit einerseits Gefühlen von Ohnmacht und Wut einen Raum geben, aber auch der Ehrfurcht vor dieser Welt, die wir zerstören und die gleichzeitig immer noch wunderschön ist. Mir ist aufgefallen, dass uns Transformation große Angst macht. Wir leben in einer Welt, die so komplex ist, dass man aufgrund der Größe der Probleme starke Gefühle der Ohnmacht empfinden kann. Gleichzeitig versuchen wir, die komplexen Polykrisen unserer Zeit rein rational zu lösen. Aber wenn es möglich wäre, uns rational aus diesen Problemen heraus zu denken, dann hätten wir es schon geschafft. Es fehlt nicht an Denkkraft, sondern an irgendetwas anderem, auf das man rein rational nicht so leicht Zugriff hat. Deshalb denke ich, dass wir durch künstlerische Prozesse, die unsere menschliche Ganzheit ansprechen, wieder ins Fühlen kommen. Und das ist für mich ein tieferer Ansatzpunkt für Transformation.

e: Um welche Transformation geht es dir dabei? Welche inneren Qualitäten oder welches Bewusstsein möchtest du ansprechen?

AL: Wenn wir über Transformation reden, dann meinen wir häufig Lösungen. Wir haben irgendein Bild im Kopf, eine Utopie oder Vorstellung davon, wie die Welt zu sein hat. Ich bin überzeugt davon, dass Transformation nur funktioniert, wenn wir uns auf einen Prozess einlassen, dessen Ende noch nicht klar ist.

Es gibt einen Ausspruch von Antonio Gramsci, einem Philosophen in der Zeit des Ersten Weltkrieges, der mich schon lange begleitet: »Die alte Welt liegt im Sterben und die neue Welt ist noch nicht geboren. Es ist eine Zeit der Monster.« Die Monster können viele Formen haben. Das sind in unserem Fall nicht die mythologischen Kraken, die aus dem Ozean auftauchen, sondern sie haben vielleicht die Form von technofeudalistischen Tech Bros oder narzisstischen Autokraten, die dystopische politische Realitäten schaffen. Wenn wir Transformation ernst nehmen, dann müssen wir bereit sein, in diese Zeit der Monster einzutauchen. Wir müssen uns auf unangenehme Prozesse einlassen, ohne zu wissen, wie wir wieder herauskommen. Das macht Angst.

In meiner Arbeit möchte ich diesen Prozess des Absteigens in eine mons­tröse Realität beziehungsweise in eine psychische Unterwelt möglich machen. Und zwar so, dass wir nicht davonrennen, sondern es zulassen können. Dabei will ich aber Menschen nicht zwingen, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, für die sie nicht bereit sind. Jeder Prozess ist eine Einladung.

e: Ich war bei einem Prozess dabei, den du beim Art of Change Summit in Alpbach im Herbst 2023 in Kommunikation mit den Bienen gestaltet hast, denn du bist selbst auch Imkerin. Kannst du ansprechen, wie deine Anliegen in diesem Prozess zum Ausdruck gekommen sind?

»Es ist dringend notwendig, dass wir beseelt handeln .«

AL: Es gibt unter Imkern ein altes Ritual. In Zeiten großer Umbrüche, zum Beispiel, wenn jemand gestorben ist, eine große Veränderung in der Familie ansteht oder große Lebensentscheidungen getroffen wurden, dann ist man zu seinen Bienen gegangen. Man hat an den Bienenstock angeklopft und mit den Bienen über diese Veränderungen geredet.

Der Grund dafür war, dass Bienen als nicht-menschliche Familienmitglieder betrachtet wurden. Man hat sie als Teil der eigenen Familie gesehen, und gleichzeitig waren sie aus der Folklore heraus Wesen, die mit der Natur und dem Totenreich kommunizieren können. Deswegen konnte man bei Trauerprozessen zu ihnen gehen und darüber reden, wie sehr man einen Menschen vermisst. Man hat mit ihnen die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen in einen Kontakt mit der Natur bringen können.

Mit meinem Kunstprojekt wollte ich diese Bandbreite von Emotionen den Menschen zur Verfügung stellen. In Kooperation mit den Bienen habe ich ein übergroßes anatomisches Herz aus Bienenwachs gebaut. An dieses Herz waren Kabel wie Venen angeschlossen, die zum Puls eines Herzschlags von innen geleuchtet haben. Die Kabel führten zu Mikrofonen, mittels derer die Menschen, umgeben von einer atmosphärischen Untermalung von Bienensummen, das ich bei meinen Bienen aufgenommen hatte, ihre Gedanken teilen konnten. Sie konnten Themen, die sie gerade beschäftigten oder aufwühlten, in einem kontemplativen Raum durcharbeiten. Als Einladung waren einige Fragen um dieses Bienenherz ausgelegt.

Diese Stimmen und die Gedanken, die mit diesem Herzen geteilt wurden, sind anonym aufgezeichnet worden, damit ich sie an die Bienen weitergeben konnte. Beim Vorspielen der Aufzeichnungen an die Bienen hatte ich das Gefühl, etwas Wahrhaftiges zu bezeugen, das unglaublich kostbar ist: Menschen haben gelacht, geweint, sie haben ihre Kinder mitgebracht, es sind Baby-Stimmen dabei, die reingeplappert haben. Menschen haben gebetet oder gesungen, manche waren von Wut erfüllt, andere haben erklärt, wofür sie dankbar sind.

Die Beiträge aus dem Kunstprojekt sind auch in eine Fabel eingeflossen, welche einen metaphorischen Transformationsprozess mit offenem Ende zeichnet. Nachdem ich die Fabel erzählt hatte, spannen Teilnehmende in einem kollektiven Storytelling-Workshop die Geschichte gemeinsam weiter. Dabei sind weitere Bilder der Transformation entstanden sowie ein Dialog darüber, welche Glaubenssätze und Werte uns unbewusst lenken. Auf diese Weise möchte ich einen Raum kreieren, wo sich organisch das entfalten kann, was für die Personen, die teilnehmen, in dem Moment wichtig ist.

e: Du nimmst auch die Perspektive nicht-menschlicher Wesen hinzu, insbesondere die der Bienen. Warum ist dir das wichtig? Wie fließen solche Inspirationen in deine Arbeit ein?

AL: Die Natur ist die Grundbedingung, durch die ich und alles Weitere erst sein können. Ich bin bedingt durch diese Lebendigkeit, und ich bin mir nicht sicher, ob ein Großteil meines Selbst nicht eigentlich in der Außenwelt zu verorten ist, obwohl ich einen Körper mit klaren Grenzen habe. Die Menschen, die mich umgeben, das Land, auf dem ich lebe, die Kultur, die dort herrscht, aber auch alles Nicht-Menschliche, all die Interaktionen mit der lebendigen Natur prägen mich.

Mit meinen Bienen geht es mir darum, eine ehrliche Beziehung zu entwickeln. Denn damit ich einen Raum des Möglichen für andere eröffnen kann, muss ich eine ehrliche Beziehung selbst verkörpern können. Oft nehmen wir die Natur, um uns an ihr zu inspirieren, häufig aber sehr unreflektiert. Dann sehen wir schöne Blumen und das Utopische einer perfekten Landschaft. So erlebe ich lebendige Natur nicht, weil echte Beziehung etwas anderes fordert.

Meine Beziehung zu den Bienen ist jahrelang gewachsen, bevor ich es mir jemals angemaßt hätte, etwas im Namen dieser Wesen zu sagen. Da gab es Momente, in denen ich fast einen Bandscheibenvorfall bekam, weil die Bienenstöcke so schwer sind. Es gab Momente, in denen ich schlaflos im Bett lag und überlegte, wie sie auf mich reagieren, wenn ich einen bestimmten Eingriff mache. Sie sind mir so wichtig, und gleichzeitig stechen sie mich, und ich bin allergisch darauf. Ich habe geweint wegen ihnen, ich habe gelacht mit ihnen.

Es gibt gewisse Weisheiten oder Bewusstseinsformen, die bilden sich erst dadurch, dass wir nicht nur versuchen, etwas Schönes oder Inspirierendes zu finden, sondern etwas Echtes. Das ist eine Grundhaltung, die sich über diese Arbeit in allen künstlerischen Prozessen herausgebildet hat.

Ich muss ganz lange in Kontakt sein, damit sich über das Tun eine Kommunikation entwickelt. Die Bienen summen mir nicht die Weisheiten des Lebens vor, sondern wir tun etwas miteinander, und dadurch entstehen in mir Einfälle, die ich dann durch meine ganz persönliche Erfahrung in eine Gruppe hineintragen und fragen kann: Schaut, was machen wir jetzt miteinander?

Author:
Mike Kauschke
Teile diesen Artikel: