Über den Film »Everything will Change« von Marten Pers
Wir schreiben das Jahr 2054, die Welt ist hochtechnisiert und steril, die Menschen haben sich in ihre Wohnungen zurückgezogen, kommunizieren digital. Landschaften gibt es nicht mehr, dort wo einmal Wälder waren, sind Monokulturen, riesige Gewächshäuser, Felder mit Solarpaneelen. Die Welt ist still, ohne Vogelgesang. Die Menschen sind unter sich. Es gibt keine Tiere mehr.
Die Freunde Ben, Fini und Cherry sind Rebellen in dieser Welt, denn sie trotzen der Isolation und verbringen viel Zeit zusammen. Ben hat einen nostalgischen Hang zu Schallplatten und in einem Plattenladen mit einem rätselhaften Besitzer stößt er auf Videos, die das Leben der drei Freunde und schließlich der Welt für immer verändern werden.
»Everything will Change« beginnt mit diesen filmischen Sequenzen einer dystopischen Welt. Zuvor erklärt uns eine alte Erzählerin, dass dies ein Märchen sei, das sie uns nun vorlesen wird. Sie begleitet uns durch die Kapitel des Films. Neben der narrativen Handlung ist er auch ein Dokumentarfilm und Wissenschaftsreportage. Denn als die drei Freunde die Videos anschauen, trauen sie ihren Augen nicht: Sie sehen eine bunte, vielfältige Tierwelt, von der sie zunächst glauben, dass sie jemand gefälscht haben muss. Aber zunehmend sind sie gewiss, dass es diese Tiere einmal gab und sie unwiederbringlich ausgestorben sind.
Vor allem Ben lässt diese Erkenntnis nicht mehr los und mit seinem Freund Fin folgt er rätselhaften Hinweisen, die er im Plattenladen erhielt. Sie kommen in ein altes Schloss inmitten der wüsten Erde, wo Wissenschaftlerinnen und Künstler die Reste der einstigen Vielfalt bewahren wollen. Überall sind Tiere in großen Behältern »eingelegt«. Die Wissenschaftler berichten den beiden jungen Männern vom Artensterben und der Zeit, wo man zuletzt die Chance gehabt hätte, es abzuwenden: die 2020er-Jahre.
Unter den Experten im Schloss der Zukunft sind Stuart Pimm und Rodolfo Dirzo, die sich für die Erhaltung der Spezies einsetzten, die Filmemacher Joëlle Chesselet und Wim Wenders, deren Bilder nicht ausreichten, der Philosoph Scott Loarie, der das Denken der Menschen nicht ausreichend verändern konnte, der Biologe Thomas E. Lovejoy, der Meteorologe Mojib Latif, der Agraringenieur Cary Fowler oder die Forscherin Ursula K. Heise. Sie alle blieben ungehörte Rufer in der Wüste.
¬ ES SCHMERZT, WIE DURCH DIE AUGEN EINER NÄCHSTEN GENERATION UNSERER ZEIT DER SPIEGEL VORGEHALTEN WIRD. ¬
Und sie suchen nach Erklärungen, als die jungen Männer sie fragen: »Ihr habt es gewusst und es nicht abwenden können?« Die Forscherinnen sprechen von den »Shifting Baselines«: Nach und nach verschwanden die Arten, sodass niemand die Dringlichkeit der Lage anerkennen wollte. Sie reden von der Trennung des Menschen von der natürlichen Mitwelt, die sich im Christentum und der Aufklärung etablierte. Von der Überforderung in einer komplexen Welt, sodass die Menschen sich ins Private zurückzogen. Von mangelnder Empathie und dem fehlenden Verstehen, dass der Mensch erst in Verbundenheit mit anderen Wesen zu sich selbst findet und sich menschlich erhält. Es schmerzt, wie hier durch die Augen einer nächsten Generation unserer Zeit der Spiegel vorgehalten wird.
Eingestreut in diese Berichte sind wunderschöne Filmaufnahmen der Natur, aber auch Bilder vom Sterben der Tiere. Und fantastische Sequenzen, wie die von einer Marsmission, die mich besonders berührte. Auf der Rückreise gibt es im Raumschiff einen technischen Defekt und die Astronauten müssen alle Systeme abschalten, um Energie zu sparen und bis zur Erde zurückzukommen. Einzig einen alten Kassettenrecorder schalten sie einmal am Tag an, darauf hat die Tochter eines der Astronauten ihrem Vater einige Wünsche mit auf den Weg gegeben und war dann eingeschlafen in einer lauen Sommernacht, das Tonband nahm weiter auf: den Klang der Nachtigall. Dem hören nun die Astronauten in der Leere des Weltraums zu und schaffen es so, nicht verrückt zu werden. Sie erkannten darin, wer sie als Menschen sind, heißt es im Film. Bewegt von solchen Geschichten und den Berichten der Wissenschaftlerinnen machen sich Ben, Fin und Jerry auf, die Welt für immer zu verändern.
»Everything will Change«, der am 14. Juli in die Kinos kommt, ist ein vielschichtiger Film, der aus folgenden Generationen blickend ein Licht auf unsere Zeit wirft. Die Geschichten und Bilder wirken nach. Am Morgen, nachdem ich den Film gesehen habe, hörte ich die Vögel anders. Als Zuschauer wird uns bewusst, wie kostbar unsere Mitwesen sind und dass wir vor der Entscheidung stehen, sie zu bewahren oder für immer zu verlieren. Und damit auch uns.