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Duane Elgin setzt sich seit den 70er Jahren für gesellschaftlich-ökologische Erneuerung ein. Nach Jahrzehnten unermüdlicher Arbeit für eine lebensgerechte Zukunft, entwirft er in unserem Interview einen größeren Kontext für unsere Zeit des Übergangs und beschreibt, was seiner Ansicht nach geschehen muss, damit dieser Übergang gelingt.
evolve: Seit 40 Jahren arbeiten Sie an sozialer Transformation. Wie können wir Ihrer Ansicht nach diesen Wandel, der vor uns liegt, gestalten?
Duane Elgin: Wenn es um soziale und kulturelle Transformation geht, hebe ich zwei Themen hervor: das eine ist die Stimme, das andere die Vision. Meines Erachtens haben wir als menschliche Gemeinschaft keine hörbare kollektive Stimme. Stattdessen erleben wir die Stimme alter Oligarchien, die die Massenmedien kontrollieren. Viele von uns fühlen sich hilflos und ohne eine Stimme, mit der wir wirkungsvoll über unsere gemeinsame Zukunft sprechen können. Zweitens fehlt vielen Menschen eine Zukunftsvision. Schauen wir uns diese zwei Themen genauer an: Eine Vision ohne Stimme bedeutet ein Chaos von Botschaften und Kommunikation; eine Stimme ohne Vision bedeutet Frustration und Groll. Wir brauchen also beides: eine kraftvolle, hörbare Stimme für jeden Menschen und eine gemeinsame Vision.
Wenn ich überall auf der Welt mit den Menschen spreche, frage ich oft: »Wie sehen Sie unsere Zukunft?« Und viele antworten darauf: »Wir fahren gegen eine Wand.« Viele Menschen haben eine sehr pessimistische, negative, und ich denke, beängstigte Sicht auf unsere gemeinsame Zukunft. Als Konsequenz daraus flüchten sich viele in die Verleugnung. Sie leben in der Gegenwart und ignorieren die Zukunft. Und wenn sie unsere Situation nicht verleugnen, verzweifeln sie. Wir sollten den Raum zwischen Verleugnung und Verzweiflung öffnen, um den Übergang, in dem wir uns befinden, besser zu verstehen. Die Welt ist heute ein integriertes System: geologisch, ökonomisch und sozial. Wir brauchen eine neue Geschichte, die uns alle in eine vielversprechende Zukunft bringt. Aber wie könnte eine solche Geschichte aussehen?
Eine wichtige Geschichte ist, dass »die Menschheit erwachsen wird«. Ich habe tausenden von Menschen in vielen Ländern die gleiche Frage gestellt: In welchem Lebensalter befinden wir uns als menschliche Familie, sind wir im Kleinkindalter, Teenager, Erwachsene oder in einem älteren Stadium? Die überwältigende Antwort aus allen Teilen der Erde war immer: Wir benehmen uns wie Heranwachsende. Wir rebellieren, wir wollen jetzt so viel wie möglich konsumieren, wir denken kurzfristig, wir sind ruhelos und getrieben. Wir alle wissen, dass unser Übergang vom Heranwachsenden zum Erwachsenen ein wirklich herausfordernder und schwieriger Prozess war – es war ein Übergangsritus, eine Initiation – genau das erleben wir gerade!
Es gibt eine zweite, wichtige Geschichte für die menschliche Familie: »Das globale Gehirn erwacht.« Zur gleichen Zeit, wo wir als globale Gemeinschaft in eine Zeit großer Veränderung eintreten und die Fähigkeit zur Kommunikation so sehr brauchen, bekommen wir Mittel zur Kommunikation in Hülle und Fülle. Wir erlangen als Spezies die Fähigkeiten für kollektives Verstehen, Kommunikation und Bewusstsein in einem Maße, wie es niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit geschehen ist. Gerade jetzt wird die ganze Welt in dieses inter-kommunikative Netz eingewoben.
Eine dritte, kraftvolle Geschichte ist die Tatsache, dass wir in einer Zeit der »planetarischen Geburt« leben. Frauen, die Kinder haben, beschreiben den Geburtsprozess als schmerzhaft, beängstigend, schwierig und unvorhersehbar. Man geht durch eine Phase von Kontraktion und Entspannung, Kontraktion und Entspannung und dann platzt die Fruchtblase und der Prozess ist unumkehrbar – es kommt zur Geburt. Auf der anderen Seite des Schmerzes entsteht neues Leben! Das erleben wir gerade, die Geburtswehen einer neuen Form von Zivilisation.
¬ ICH SEHE VERÄNDERUNGEN AUF ZWEI EBENEN, DIE MIR HOFFNUNG GEBEN: DIE LOKALISIERUNG UND DIE GLOBALISIERUNG. ¬
Eine vierte, wichtige Geschichte ist der Wandel unserer Wahrnehmung des Universums von etwas »Totem« zu etwas »Lebendigem«. Während der letzten 300 Jahre haben wir mit der Vorstellung des wissenschaftlichen Materialismus gelebt, der das Universum im Wesentlichen als Zusammensetzung von leerem Raum und toter Materie betrachtet. Demzufolge scheint es nur natürlich, das Leblose zugunsten der wenigen Lebendigen – nämlich uns – auszubeuten. Wenn wir die Welt um uns herum als etwas Lebendiges begreifen, werden wir eher geneigt sein, sie zu ehren und für sie zu sorgen, statt sie auszubeuten. Wir werden jenseits von materiellem Konsum nach Glück suchen und Möglichkeiten finden, dem Leben zu begegnen und vom Leben erfüllt zu werden.
Jenseits von Verleugnung und Verzweiflung
e: Sehen Sie Anzeichen dafür, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen und über Verleugnung und Verzweiflung hinausgehen?
DE: Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass wir uns in eine bessere Zukunft bewegen. Gleichzeitig möchte ich das nicht als falsche Hoffnung darstellen. Ich sage oft, ich würde nicht darauf wetten, dass wir den Übergang schaffen. Und dann füge ich hinzu: Obwohl ich kein Geld darauf wetten würde, würde ich mein Leben darauf setzen – und das habe ich getan.
Seit 40 Jahren beschäftige ich mich beruflich mit dem Klimawandel. 1975 nahm ich als Mitarbeiter des wissenschaftlichen Beraters des Präsidenten an meinem ersten Treffen zum Klimawandel im US-amerikanischen Department of Energy teil. Damals sagten die Wissenschaftler: In 40 oder 50 Jahren könnte der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre zum Problem werden, aber wir haben fast ein halbes Jahrhundert Zeit, auf etwas zu reagieren, das wir bereits heute als schwieriges Problem erkennen! Von 1975 bis 2015 sind es 40 Jahre – all die Jahre sind vergangen und wir haben noch nicht wirksam auf die Klimakrise reagiert.
Seit 1978 habe ich gesagt, dass wir in den 2020ern nicht nur an eine ökologische, sondern an eine evolutionäre Wand fahren werden, wo wir unser eigenes Überleben bedrohen. Und wo wir uns als Spezies mit uns selbst konfrontieren und uns fragen müssen: Wer sind wir? Was machen wir hier? Wohin gehen wir? Wir sind noch nicht gegen diese evolutionäre Wand gefahren. Wir wurden noch nicht gezwungen, uns als gesamte menschliche Familie mit uns selbst zu konfrontieren und wichtige Entscheidungen über unsere kollektive Zukunft zu treffen. Ich denke, wir befinden uns als menschliche Familie in einer sehr schwierigen Zeit großer Übergänge und die Entscheidungen des nächsten Jahrzehnts werden tausende Jahre in der Zukunft zu spüren sein. Der Grad der Entscheidungsfreiheit oder Vision ist heute ohnegleichen. Es ist sicherlich eine der kreativsten Zeiten der gesamten Menschheitsgeschichte.
e: Denken Sie, dass es große Katastrophen geben wird, bevor eine Erneuerung möglich ist?
DE: Die Krise ist bereits in vollem Gange! Wir leben heute bereits in einer Klimakrise. Wir erleben das sechste große Artensterben auf diesem Planeten. Frisches Trinkwasser geht zur Neige. Ich habe Freunde in São Paulo in Brasilien, für die heute das Trinkwasser knapp ist: Vier Tage lang haben sie kein Wasser, dann läuft das Wasser zwei Tage, dann wird es wieder vier Tage abgestellt usw. Diese Krisen treffen uns bereits. Die Frage ist, ob wir aufwachen, uns darauf konzentrieren und handeln.
Um über Verleugnung und Verzweiflung hinauszugehen, müssen wir in uns Raum machen für unsere Gefühle, die mit diesem Übergang, in dem wir uns bereits befinden, verbunden sind. Es könnte ein Schuldgefühl sein: »Was haben wir der Erde und der Zukunft unserer Kinder angetan?!« Dann könnten wir versuchen, die Schuldigen anzuklagen, was Wut und Gewalt provoziert. Dann könnten wir als Spezies tiefere Gefühle wie Schmerz, Kummer und Trauer empfinden, weil diese wundervolle Erde uns vielleicht nicht erhalten kann und uns eine positive Zukunft verwehrt wird. Wir leben also nicht nur in einer materiellen Transformation, sondern in einer psychologischen und spirituellen Krise und Zeit des Übergangs. Dieser Übergang wird Gefühle wie Leid, Schuld, Scham, Verzweiflung, Kummer und andere hervorbringen, bis wir die Situation akzeptieren können – so wie sie ist – und gemeinsam Entscheidungen treffen können, die in eine bessere Zukunft führen.
Lokal und global
e: Die meisten Leute fühlen sich vermutlich hilflos, weil es so schwierig ist, die größeren Systeme wie die Regierungen, die Zusammenschlüsse von Nationalstaaten und den multinationalen Kapitalismus zu beeinflussen. Sehen Sie Anzeichen oder Richtungsänderungen, die uns zeigen, was wir tun können oder was sich weiter entwickeln könnte?
DE: Ich sehe Veränderungen auf zwei Ebenen, die mir Hoffnung geben: die Lokalisierung und die Globalisierung. Ein Beispiel für die Lokalisierung: Ich lebte einige Jahre lang in einer Gemeinschaft von 70 Menschen. Es war wunderbar, zu erfahren, wie Menschen in einer Art zusammenleben können, die ich als neue Stammeszugehörigkeit bezeichnen würde. Viele Dinge können gemeinschaftlich gelebt und geschaffen werden; wir können zusammen essen, spielen, meditieren, tanzen, politisch aktiv sein usw. In unserer Gemeinschaft gab es 20 Kinder und 50 Erwachsene. Diese Kinder hatten also im Grunde 50 Eltern, die sie begleiteten. Und wenn sie sich schlecht benahmen, waren Erwachsene da, die sie zu einem positiveren Verhalten ermutigten. Eines der Themen dieser Gemeinschaft war nicht nur Ökologie, sondern auch Einfachheit. Wir hatten gemeinschaftliche Gärten und gemeinschaftliche Unternehmen, so entwickelte sich in der Gemeinschaft ein kleines Wirtschaftssystem. Ich denke, solche Ökodörfer oder Gemeinschaftsprojekte sind einer der Grundpfeiler der Zukunft.
Eine andere Transformation findet auf globaler Ebene statt. Wir sehen heute die Anfänge einer Bewegung, die der Erde eine Stimme geben will. Wir leben in einer Welt globaler Herausforderungen, und wir brauchen eine kollektive Stimme der Menschheit, die auf dieser Ebene spricht. Ich bemerke eine Schwächung der mittleren Ebene – die Ebene der Nationalstaaten und Wirtschaftsunternehmen – und eine gleichzeitige Stärkung der lokalen und globalen Ebene. Innovation und Wandel auf den globalen und lokalen Ebenen stärken sich gegenseitig, während der mittlere Bereich immer schwächer und fragmentierter wird.
¬ WENN WIR DIE WELT UM UNS HERUM ALS ETWAS LEBENDIGES BEGREIFEN, WERDEN WIR SIE EHREN UND FÜR SIE SORGEN. ¬
e: Sie haben viel über Einfachheit geschrieben, welche Rolle spielt diese Idee angesichts der Übergänge, in denen wir uns befinden?
DE: Viele Menschen in den Konsumgesellschaften fühlen sich von all den Dingen überfordert und gestresst von den Ansprüchen, mehr Geld zu verdienen, um nur noch mehr Dinge kaufen zu können. Der Historiker Arnold Toynbee sagte, dass das wahre Maß zivilisatorischen Wachstums nicht die Fähigkeit ist, mehr Land, mehr Menschen und mehr materielle Ressourcen zu kontrollieren. Wirkliches Wachstum zeigt sich in der Fähigkeit, Energie und Aufmerksamkeit von der materiellen Seite des Lebens auf die immaterielle Seite zu überführen – qualifizierte Bildung, Künste, Kompetenzen sozialen Zusammenlebens, kulturelle Kommunikation und Ähnliches. Als Spezies entdecken wir heute die Weisheit einer progressiven Vereinfachung als eine differenzierte Antwort auf die Welt in einer Zeit großer Transformationen.
Zukunft braucht Versöhnung
e: Ich weiß, dass Sie sich auch mit der Versöhnung zwischen traditionellen Kulturen und der modernen Welt beschäftigen. Wie können sich die Menschen in den modernen Gesellschaften mit den indigenen Kulturen dieser Welt und ihrem Wissen verbinden?
DE: Wir als Menschheit leben so sehr in Trennung, dass Versöhnung die Grundlage ist, die wir für eine nachhaltige Zukunft bilden müssen. Während der letzten 10.000 Jahre hat sich der Großteil der Menschen von der Natur und voneinander getrennt und entfremdet – und das erfüllte auch einen Zweck. Unsere Trennung und Individualisierung hat uns sehr bestärkt und viel Macht gegeben. Aber diese Macht wurde so groß, dass sie jetzt die Zukunft der Erde bedroht. Ein Aspekt dieses großen Umbruchs ist eine tiefe Versöhnung – nicht nur mit indigenen Kulturen, sondern auch zwischen den Geschlechtern. Es ist entscheidend wichtig, dass Männer und Frauen Wege finden, um jenseits der Geschlechterrollen der Vergangenheit gemeinsam in die Zukunft zu gehen. Wichtig ist auch die Versöhnung zwischen den Religionen, zwischen den Rassen und auch unsere Versöhnung mit den anderen Lebewesen, mit denen wir diesen Planeten teilen. Und wir brauchen eine politische Versöhnung, nicht nur zwischen den Liberalen und Konservativen, sondern wir müssen eine neue politische Sensibilität jenseits fest gefügter Lager entwickeln.
e: Glauben Sie, dass wir für diese Art von Versöhnung eine spirituelle Grundlage brauchen?
DE: Absolut, ich würde hier vom Erwachen eines neuen Bewusstseins sprechen. Es ist ein bezeugendes Bewusstsein, ein reflexives Bewusstsein. Und der kollektive Spiegel, in den wir alle schauen, sind die Massenmedien. Wenn wir in diesen Spiegel schauen, sehen wir uns selbst. Zudem sind die Medien auch ein Fenster, durch das wir die Welt sehen. In der Vergangenheit konnten Polizeibrutalität oder Rassenunterdrückung unbeachtet bleiben, weil sie nicht in das heilende Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit gebracht wurden. Mit Mobiltelefonen, Computern und dem Fernsehen können wir heute die genauen, entsetzlichen Details von Missbrauch und Unterdrückung sehen. Wir befinden uns mitten im Erwachen einer neuen Art von kollektivem Bewusstsein, es ist uns so nah und allgegenwärtig, dass wir es kaum bemerken. Innerhalb einer einzigen Generation wird unsere kollektive Wahrnehmung revolutioniert. In unserer Welt entwickelt sich heute mit hoher Geschwindigkeit ein neues reflexives Bewusstsein, das wir unbedingt brauchen, um uns selbst neu, aufrichtig und ehrlich zu betrachten, damit Versöhnung und Heilung möglich werden.
Author:
Dr. Elizabeth Debold
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