Theorie und Comedy

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Publiziert am:

January 16, 2017

Mit:
Martin Bruders
Axel Perinchery
Ken Wilber
Kategorien von Anfragen:
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AUSGABE:
Ausgabe 13 / 2017:
|
January 2017
Liebe in Zeiten von Trump
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Integrales Infotainment

In ihrer Integral Roadshow vermitteln Martin Bruders und Axel Perinchery einerseits Grundelemente der integralen Theorie Ken Wilbers, wollen aber gleichzeitig ihr Publikum zum Lachen und zu tieferen inneren Einsichten bringen. Wir sprachen mit ihnen über Humor und Ernsthaftigkeit und was geschieht, wenn Theorie lebendig wird.

evolve: Wie seid ihr auf die Idee für die ­Integral Roadshow gekommen?

Martin Bruders: Es hat damit begonnen, dass ich im Rahmen des »Timeless Wisdom Trainings« des spirituellen Lehrers Thomas Hübl einen Vortrag über Ken Wilber gehalten habe. Dabei habe ich meine über zwanzigjährige Erfahrung als Comedian genutzt, um den Vortrag auch unterhaltsam zu gestalten. Später kam dann Axel auf mich zu und schlug vor, daraus gemeinsam etwas zu entwickeln. Das kam zu einem Zeitpunkt, als ich mit der reinen Comedy nicht mehr glücklich war und auch tiefere Inhalte auf die Bühne bringen wollte.

Axel Perinchery: Ich komme aus der Erwachsenenbildung und gebe viele Kommunikationsseminare. Als ich Martins Vortrag sah, dachte ich, dass man dem noch etwas hinzufügen könnte, wenn man eine stärkere Verbindung mit dem Publikum schafft. Für die Roadshow schwebte uns ein flüssiger Prozess zwischen Bühne und Publikum vor und ich sah mich als Verbindungsstelle, um diesen Kontakt mit zu schaffen.

e: Wie hat sich die Show im Laufe eurer Arbeit damit verändert?

MB: Heute geht es uns nicht so sehr um die Vermittlung der integralen Theorie, sondern darum, dass die Menschen die Erfahrung einer neuen Bewusstseinsebene machen. Eine bestimmte Form, sich selbst zu erleben und miteinander zu sein. Wir wollen die verschiedenen Bewusstseinsstufen, wie sie beispielsweise im Entwicklungsmodell Spiral Dynamics zusammengefasst werden, nicht nur ansprechen, sondern sie durch unseren Ausdruck direkt erlebbar machen.

AP: Das geht nur, wenn wir auf der Bühne unsere inneren Zustände wahrnehmen und von dorther die Show machen. Deshalb ist diese Innenschau, in der wir unsere körperliche, emotionale und mentale Befindlichkeit transparent machen, auch Teil unserer Show.

¬ Nichtwissen wird zu einer Kompetenz. ¬

e: Welche Erfahrung wollt ihr dem Publikum vermitteln?

MB: Zunächst einmal möchten wir den Wert einer inneren Erfahrung, die über kognitives Verstehen hinausgeht, vermitteln. Es geht um eine neue Form des Lernens. Wenn wir zum Beispiel über die Bewusstseinsentwicklung sprechen, versuchen wir zu vermitteln, dass Geschichte jetzt in diesem Moment innerlich erlebbar ist. Wenn wir tief genug schauen, trägt jeder von uns die gesamte Menschheit in sich. Wenn wir das erfahren, dann leben wir unser Leben anders.

AP: Dadurch kann uns das Menschsein bewusst werden – wer wir als Menschen sind und wie wir uns mehr ins Menschsein hineinentwickeln können. Das be­inhaltet die Würdigung dessen, was in der Menschheitsentwicklung hinter uns liegt, und von dort aus können wir das Poten­zial spüren, das sich noch in uns entfalten kann. Diese Erfahrung der Größe unseres Menschseins möchten wir beim Publikum wachrufen. Und das passiert miteinander, denn ich erkenne mich auch im anderen.

Wir wollen nicht, dass die Leute aus der Show gehen und denken, sie haben ein weiteres Modell kennengelernt und kognitiv verstanden. Uns geht es darum, dass etwas tief Menschliches berührt wird und dass die Menschen ihre Innenwelt spüren und auch die eigene evolutionäre Bewegung wahrnehmen können. Oft erleben wir ein Innehalten, in dem sich die Menschen in ihrer Entwicklung verorten können und dort, wo sie stehen, einen Sinn erkennen: Ich bin hier als Mensch und es ist großartig, dass ich da bin. Ich kann anerkennen, was ich erlebt habe, und kann weitergehen. Und darin können auch ein Gefühl menschlicher Bezogenheit und ein neues Potenzial aufscheinen.

Wir waren zum Beispiel einmal an der Technischen Hochschule in Aachen in einem Hörsaal mit 150 Studierenden. Und der Hörsaal hat gebebt, es war ein Aufbruch spürbar. Durch die Verbindung des Kognitiven mit der Fähigkeit zu fühlen ist bei den jungen Leuten ein Funke übergesprungen. Da war eine Lebendigkeit im Raum, in der auch das Ja zum Menschsein und zu unseren Möglichkeiten spürbar war.

e: Welche Haltung nehmt ihr innerlich ein, um diese Wirkungen beim Publikum hervorzurufen?

MB: An einigen Stellen der Show gehen wir in ein Nichtwissen, wo wir wirklich nicht wissen, was wir als Nächstes tun werden. Das ist für uns selbst und das Publikum immer eine spannende Erfahrung, weil es ein Vertrauen in dieses Nichtwissen wachrufen kann.

AP: Ja, das Nichtwissen wird dann zu einer Kompetenz. Es ist dann kein Defizit, das ich vermeiden oder mit alten Ideen zudecken muss, sondern ich kann als Mensch so verletzlich werden, dass ich dem, was noch nicht ist, lausche. Ich darf mit diesem Möglichen in Beziehung gehen, darauf lauschen, um zu spüren, was jetzt zwischen uns emergieren möchte. Durch die Präsenz und das Verweilen in der Stille entsteht ein Raum, in dem wir als Menschen eine gemeinsame Erfahrung machen.

e: Comedy ist etwas, wo wir uns in der Regel entspannen, ihr verbindet es aber mit einem tiefen Anliegen. Wie erlebt ihr diese Verbindung von Humor und »ernsten«, komplexen Themen?

MB: Ich erlebe diese Komplexität als Fluch und als Segen, denn kaum ein Publikum kann wirklich damit umgehen. Deshalb ist es für viele entweder zu viel Comedy oder zu viel Ernsthaftigkeit und Inhalt.

AP: Spiritualität kann bei uns in Deutschland auch schnell etwas Verbissenes bekommen. Deshalb finde ich es spannend, durch einen lockeren und humorvollen Umgang damit zu stören oder zu irritieren. Und dieser Humor kann unser Menschsein erweitern, weil doch auch die herausforderndsten Situationen einen Schuss Humor haben. Und dieser Humor öffnet einen Raum zwischen uns und dem Publikum, wenn wir schwierige oder undurchschaubare Themen mit Witz auflockern.

MB: Dabei muss ich mit meinem­»Comedy-­Schatten« umgehen, den ich mir über 25 Jahre zugelegt habe: witzig sein zu müssen und dafür bezahlt zu werden. Dieses Witzigsein um seiner selbst willen möchte ich nicht mehr. Für mich muss es andersherum sein: Wir haben ein ernstes Anliegen, sind ernsthaft auf dem Weg, und dabei können wir auch Spaß haben.

e: Wie habt ihr euch selbst durch diese Arbeit mit der Roadshow verändert?

AP: Es hat sich eine Qualität der Demut entwickelt, angesichts der Komplexität des integralen Wissens und auch in Bezug auf die Grenzen des eigenen Erkennens. Denn man kann ja nur das wirklich vermitteln, was man selbst auch verwirklicht und verkörpert. Und in der Zusammenarbeit und der Performance kommen natürlich auch immer wieder Schattenthemen zum Vorschein, wenn zum Beispiel das Publikum nicht so reagiert, wie wir möchten. Damit ist die Roadshow im eigentlichen Sinne eine spirituelle Praxis geworden. Eine Praxis des Nichtwissens, der Demut, Verbundenheit und inneren Klärung.

MB: Uns ist auch wichtiger geworden, die Menschen zum Handeln zu bewegen. Die Bezogenheit, die wir während der Show herstellen, können wir auch auf die aktuellen Themen, die in der Welt entscheidend sind, ausweiten – auch die Krisen, mit denen wir zu tun haben. Und Bezogenheit bedeutet dann, auch die Welt und was darin geschieht an sich heranzulassen und eine Antwort darauf zu finden. Diesen Aspekt wollen wir in der Roadshow in Zukunft noch mehr zum Ausdruck bringen.

Author:
Mike Kauschke
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