Rebellion und Fürsorge
Bart Weetjens’ Suche nach der Harmonie zwischen den Gegensätzen
April 17, 2025
Ein philosophischer Film! Kann es so etwas geben? Philosophie auf das Sprachlich-Begriffliche zu verengen, kann eine Verarmung bedeuten, erschließt sich das Verstehen von Welt doch auch auf anderen Ebenen – was dann sprachlich interpretiert werden kann. Rüdiger Sünner tritt in seinem Film zwar als Erzähler auf und vermittelt die nötigen Informationen, lässt dann aber die Bilder sprechen.
Ein philosophischer Film! Kann es so etwas geben? Philosophie auf das Sprachlich-Begriffliche zu verengen, kann eine Verarmung bedeuten, erschließt sich das Verstehen von Welt doch auch auf anderen Ebenen – was dann sprachlich interpretiert werden kann. Rüdiger Sünner tritt in seinem Film zwar als Erzähler auf und vermittelt die nötigen Informationen, lässt dann aber die Bilder sprechen.
Warum Seelenlandschaften? Es geht um Landschaften, die zu uns Menschen sprechen, die mehr sind als das, was Geologen und Biologen erfassen können, die eine Lebendigkeit ausstrahlen, eine Aura haben, eine Seele. Der Film ist subjektiv, erzählt aus persönlicher Erfahrung. Entscheidend ist ja das, was sich zwischen Subjekt und Objekt ereignet und die Möglichkeit birgt, auch in anderen Menschen Resonanz auszulösen. Der Film nimmt eine Stellung jenseits der Subjekt-Objekt-Trennung ein, und allein das ist schon philosophisch.
Die Auswahl der Orte erklärt sich dadurch, dass sich auch eine menschliche und eine spirituelle Dimension in den Landschaften verkörpert, die als Kultorte oder als heilige Stätten verehrt wurden. Und damit wird die im Christentum leider weit verbreitete Trennung von Gott und Schöpfung infrage gestellt. Das Göttliche manifestiert sich in der Natur, und der Film erlaubt uns, vergessene und verdrängte naturreligiöse Traditionen neu zu entdecken. Er bewegt sich also jenseits der Trennung von Natur und Kultur.
»Das Göttliche manifestiert sich in der Natur.«
Die Reise führt den Zuschauer vom Teutoburger Wald, von den Externsteinen, die wohl gar kein germanischer Kultort waren, wohl aber von christlichen Eremiten des frühen Mittelalters bewohnt waren, über Seen und Moore, von denen man weiß, dass sie von den Germanen verehrt wurden, über Hünengräber und Steinkreise, Heiligtümer der vorgermanischen Zeit, über den Harz, für dessen heidnische Vergangenheit sich Goethe und Heine interessierten, über den Odenwald und Wolfram von Eschenbachs Dichtungen, über mittelalterliche Klosteranlagen und Hildegard von Bingen, über den von den Romantikern so geliebten Rhein, über das Berchtesgadener Land schließlich zur Klosterruine Eldena und nach Rügen. Den roten Faden bildet die Frage, ob nicht unsere vergessene naturreligiöse Tradition und das Christentum doch zusammengehören.
Stand das Christentum immer der Naturreligion feindlich gegenüber? Wurde nicht in vielen Klöstern ein naturnahes Christentum gelebt? Und war die Zeit der Klassik und der frühen Romantik nicht die Zeit einer neu aufblühenden Naturverehrung? Goethe, Hölderlin, Brentano, Novalis – sie alle erlebten die Natur als beseelt und als eine der Manifestationen Gottes. Sünner zeigt die Grabinschrift der Karoline von Günderrode: »Erde, du meine Mutter, und du, mein Ernährer Lufthauch, Heiliges Feuer, mir Freund, und du, o Bruder, der Bergstrom, und mein Vater, der Äther (…).« Hier wird der naturreligiöse Strom sichtbar, wie auch in der Theologie der Romantik, bei Schleiermacher und Kosegarten, die auch den Maler Caspar David Friedrich beeinflusst haben.
Sünner ist sich der Gefahr bewusst, dass das Interesse an der vorchristlichen Naturreligion politisch vereinnahmt werden kann. Aber je mehr wir heute über unsere naturreligiöse Vergangenheit wissen, umso deutlicher wird, wie wenig die Konstruktion des Germanentums durch die Nationalsozialisten mit der Wirklichkeit zu tun hat. Es gelingt dem Film, aus diesen ideologischen Schatten herauszutreten und den Zuschauer für ein neues Verhältnis zur Natur und zu ihrer Verehrung zu öffnen.
Der Film ist ein berührendes Plädoyer dafür, die eigene indigene, naturreligiöse, vorchristliche Vergangenheit wieder wertzuschätzen, als Teil der eigenen kulturellen Vergangenheit anzunehmen und in das Selbstbild der europäischen Kultur zu integrieren. Der Film ist absolut sehenswert und kann durch das gleichzeitig im Scorpio-Verlag erschienene, sehr schön gestaltete Buch gleichen Titels vertieft werden.