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Wie können wir das Leben und das Lebendige heute neu verstehen, angesichts der zahlreichen neuen Erkenntnisse in der Biologie und den Lebenswissenschaften? Und im Lichte einer ökologischen Krise, die unsere Lebensgrundlagen bedroht? Wir haben vier Menschen, die sich mit der Wirklichkeit und Würde des Lebendigen befassen, gefragt:
Was ist Leben?
Andreas Weber
Leben ist das, was ist.
Die dominierende Kultur hat das freilich fast vergessen. Sie sieht nicht, dass die Wirklichkeit als solche lebendig ist: geteilte lebendige Erfahrung. Darum suchen wir Leben in den einzelnen Wesen. Wir wollen Leben als Eigenschaft von Objekten begreifen, die einer bestimmten technischen Struktur folgen. Wir wollen es dingfest machen, nachbauen und verbessern.
Dabei vergessen wir, dass es nichts gibt, was nicht lebendig ist. Wir übersehen das Offensichtliche: dass wir selbst die lebendige Wirklichkeit sind, im Begehren unserer Stofflichkeit und in unserer inneren Erfahrung. Wirklichkeit ist, was ist, was darin um sich selbst weiß und was sich so selbst begehrt. Wirklichkeit ist, was ich bin.
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Wie können wir das Leben und das Lebendige heute neu verstehen, angesichts der zahlreichen neuen Erkenntnisse in der Biologie und den Lebenswissenschaften? Und im Lichte einer ökologischen Krise, die unsere Lebensgrundlagen bedroht? Wir haben vier Menschen, die sich mit der Wirklichkeit und Würde des Lebendigen befassen, gefragt:
Was ist Leben?
Dr. phil. Andreas Weber ist Biologe, Philosoph und Autor. Er unterrichtet an der Universität der Künste Berlin und ist Gastprofessor an der UNISG, Pollenzo, Italien.
Andreas Weber
Leben ist das, was ist.
Die dominierende Kultur hat das freilich fast vergessen. Sie sieht nicht, dass die Wirklichkeit als solche lebendig ist: geteilte lebendige Erfahrung. Darum suchen wir Leben in den einzelnen Wesen. Wir wollen Leben als Eigenschaft von Objekten begreifen, die einer bestimmten technischen Struktur folgen. Wir wollen es dingfest machen, nachbauen und verbessern.
Dabei vergessen wir, dass es nichts gibt, was nicht lebendig ist. Wir übersehen das Offensichtliche: dass wir selbst die lebendige Wirklichkeit sind, im Begehren unserer Stofflichkeit und in unserer inneren Erfahrung. Wirklichkeit ist, was ist, was darin um sich selbst weiß und was sich so selbst begehrt. Wirklichkeit ist, was ich bin.
Weil wir selbst Leben sind, kennen wir es.
Wir wissen: Leben ist Individualität auf Widerruf, die nur individuell bleiben kann, wenn sie sich in anderen nährt. Wir wissen: Leben ist Begehren, dass Leben sei. Dieses Begehren wünscht zunächst das Leben als solches und erst dann mein individuelles Sein. Wir wissen es, weil die innerste, unverdünnte Selbsterfahrung des allgemeinen Lebens sowohl unser intimstes Selbst ist als auch der allgemeinste Ausdruck des Lebendigen, seine Blüte.
Das Begehren, dass Leben sei, wir nennen es Liebe. Sie hat kein Außerhalb.
Prof. Dr. Albrecht Schad ist Professor für Didaktik der Naturwissenschaften an der Freien Hochschule Stuttgart und Oberstufenlehrer an der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe.
Albrecht Schad
Die Zukunft aller toten Materie ist größtmögliches räumliches Chaos und, nach dem Ablaufen aller möglichen chemischen Reaktionen, das Erreichen des niedrigsten möglichen Energieniveaus. Es wird dunkel und alles erstarrt.
Damit das Seelische sich im Physischen verwirklichen kann, braucht es als Verbindung zwischen Leib und Seele die Ebene des Lebendigen. Es hat die Fähigkeit, diese Kluft zwischen den beiden Welten zu schließen, weil es weder das eine noch das andere ist. Deshalb kann es mit beiden Seiten kommunizieren. Die Ebene des Lebens ist eine eigene Wirklichkeitsebene, wie das Physische und das Seelische. Es ist im Räumlichen nicht zu finden, sonst käme es im Energieerhaltungssatz vor. Es ist aber im Seelischen auch nicht zu finden, wir haben kein Bewusstsein davon. Das macht es so schwer, sich dem Leben selber zu nähern. Das Leben können wir nicht kausal erfassen, weil es nicht dem Räumlichen angehört. Wir können es auch nicht final erfassen, weil wir es nicht ins Bewusstsein bekommen. Leben erklärt sich aus seiner eigenen Gegenwart, ein noch ungewohnter Gedanke. Leben ist Rhythmus.
Der grundlegende Lebensvorgang auf der Erde ist die Photosynthese. Aus toten Substanzen, Kohlendioxid und Wasser wird mithilfe der Sonnenenergie Glucose gebildet. Sie hat eine höhere räumliche Ordnung und enthält mehr Energie als die beiden Ausgangsstoffe. Damit widerspricht die Bildung der Glucose durch die Photosynthese allen physikalischen Gesetzmäßigkeiten der toten Welt. Das Leben hebt die Stoffe vorübergehend ektropisch aus diesen Gesetzmäßigkeiten heraus. Solange der Organismus lebt, zerfällt er nicht. Mit dem Tod unterliegt er wieder den Gesetzen der toten Welt. Das Umgekehrte kennen wir nicht aus der Beobachtung.
Heute können wir bemerken, dass auch die Erde ein Lebewesen ist, weil sie wesentliche für das Leben exklusive Eigenschaften zeigt wie Autonomie, Sensibilität und Eigenbewegung. Wir sollten pfleglich mit unserem Heimatplaneten umgehen.
Christiane Grefe arbeitete 25 Jahre lang als Redakteurin und Reporterin für DIE ZEIT, heute ist sie freie Autorin, zuletzt über Bioökonomie (»Global Gardening«) und Böden (»Der Grund«, mit Tanja Busse).
Christiane Grefe
»Ein komplexes Phänomen«: Metas Antwort wird der übergroßen Frage nach dem Leben durchaus gerecht. Brav fischt die KI Charakteristika aus dem Netz, die sich Menschen dazu ausgedacht haben: Organisation, Stoffwechsel, Wachstum, Reproduktion, Regulation, Reaktion, Evolution. Punkt 1 bis 7.
Aber wo verläuft die Linie, woher kommt die Urenergie, die das schier Stoffliche vom Lebendigen trennt? Was treibt die Zelle zu dem »ständigen Prozess, eine Identität herzustellen«, wie der Philosoph und Biologe Andreas Weber das Leben definiert, und was zum Austausch mit anderen, der sie zum »Selbst mit eigenen Erfahrungen« macht? Was lässt Lebewesen vom Meeresgrund bis hinauf in die höchsten Kronen der Bäume aus dem Lebensprinzip der Vielfalt schöpfen und diese zugleich ständig neu erschaffen?
Das Streben nach Schönheit? Das Göttliche? Die Seele?
Den Psychiater Oliver Sacks habe ich einmal danach gefragt. Er antwortete, dass er Marxist sei und daher knochentrockener Materialist. Der Mensch ein Ausdruck biochemischer Prozesse. Pause. Aber dann, sagte Sacks, erahne er doch bei jedem seiner Patienten in seiner oder ihrer je einzigartigen Wunderlichkeit: »Da ist noch etwas...« Nur: Was?
Leben ist ein Geheimnis, und für mich lüftet es sich im Boden. Trillionen von Bakterien, Pilzen, Algen, Kokken, Stäbchen, Spirillen, Flagellaten, Ziliaten, Wimperntierchen, Springschwänzen, Tausendfüßlern, Käfern, Würmern, Spinnen, Maulwürfen, Zikaden etc., etc. schaffen in Kooperationen und Symbiosen miteinander, mit Luft, Wasser, Steinen und oberirdischen Pflanzen und Tieren (die es ohne den Kosmos im Untergrund nicht gäbe) immer wieder Neues. Die permanente Wiederauferstehung.
»Homo-Humus-Humanitas«: Auch der Künstler Friedensreich Hundertwasser erahnte die Ur-Energie im Ur- und Untergrund. Der »Humusduft« schien ihm in seinem Manifest »Heilige Scheiße« nicht weniger zu sein als »der Geruch der Unsterblichkeit«. Lebendiger geht’s nicht.
Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald ist Unternehmens- und Politikberater, Stiftungsexperte, Publizist und Autor von Fachpublikationen in den Bereichen Ethik, nachhaltige Entwicklung, ökologische Agrar- und Ernährungskultur.
Franz-Theo Gottwald
Leben ehren – Verletzung heilen – verbunden handeln: Diese drei ethischen Motive, die aus der Tiefenökologie stammen, leiten mich.
Das Leben zu ehren gelingt mir, wenn ich bewusst zulasse, dass es etwas Unbedingtes, Unverfügbares, etwas Geschenktes am Leben gibt. Alles Lebendige hat seine eigene Integrität und ist Zweck an sich – also niemals bloß Mittel zum Zweck. Diese Einsicht führt bei mir zu einem vorsichtigen, behutsamen Handeln allem Lebendigen gegenüber. Sie respektiert die Grenzen – so wie das heute auch im politischen Ansatz umgesetzt wird, die planetaren Grenzen als Orientierung für wirtschaftliches und politisches Handeln anzuerkennen.
Ich erlebe aber auch: Dort wo Grenzen überschritten werden und nicht genügend Resilienz oder Regenerationsvermögen herrscht, entstehen Verletzungen. Manchmal sind diese nicht zu heilen. Dann greifen die Gesetze der Entropie: Lebensgestalten zerfallen und werden anders verstoffwechselt. Manchmal kann ich aber auch dabei helfen, wieder eine neue Form der »Ordnung des Lebendigen« zu finden – dann geschieht Heilung. Ich erlebe dies in den Praxen der aufbauenden, regenerativen, ökologischen Landwirtschaft hautnah, wenn ich auf dem Demeter-Betrieb bei mir im Dorf mitarbeite.
In der landwirtschaftlichen Praxis offenbart sich alles aus der natürlichen und sozialen Mitwelt als eng miteinander verwoben, als ein sozial-ökologisches-ökonomisches und kulturelles Biom. Da beeinflusst jedes alle anderen. Um im Geist der Verbundenheit zu handeln, orientiere ich mich an einer moralischen Maxime: Zuallererst beschädige so wenig wie möglich! Schädigungen, Verletzungen so gering wie möglich zu halten, ist für mich naheliegend, da auch ich es vorziehe, nicht verletzt zu werden.
Author:
Dr. Andreas Weber
Author:
Prof. Franz-Theo Gottwald
Author:
Christiane Grefe
Author:
Prof. Dr. Albrecht Schad
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Im Prozess der Transformation
Bianca Bondi arbeitet mit der Aktivierung und Aufwertung alltäglicher Gegenstände, die sie chemischen Reaktionen aussetzt. Die Materialien selbst sind eng mit dem Ort verbunden, an dem das Kunstwerk entsteht. Die Materialien, mit denen sie arbeitet, wählt sie aufgrund ihrer symbolischen Aussagekraft und ihres transformativen Potenzials, wobei sie den inhaltlichen Schwerpunkt auf Verbundenheit, Vergänglichkeit und die Zyklen von Leben und Tod legt.
Wie können wir das Leben und das Lebendige heute neu verstehen, angesichts der zahlreichen neuen Erkenntnisse in der Biologie und den Lebenswissenschaften? Und im Lichte einer ökologischen Krise, die unsere Lebensgrundlagen bedroht? Wir haben vier Menschen, die sich mit der Wirklichkeit und Würde des Lebendigen befassen, gefragt:Was ist Leben?