Leuchtende Schritte

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Porträt
Published On:

October 19, 2025

Featuring:
Dr. Thomas Steininger
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Issue:
48
|
October 2025
Die Flamme weitergeben
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Erfahrungen einer Weggemeinschaft

Während der Arbeit an dieser Ausgabe begleiten wir evolve-Herausgeber Thomas Steininger auf seinem Weg durch das Sterben. Thomas ist für mich ein Freund, spiritueller Gefährte, ein Mentor. Dieser existenzielle Moment ist für mich der Anlass, Thomas als einen Ältesten in meinem Leben zu würdigen und nachzuspüren, was es bedeutet, gemeinsam auf dem Weg zu sein.

Als Menschen ereignet sich unser Leben in der Zeit: Wir werden geboren, entfalten uns, gestalten unser Leben und sterben. Das Leben ist ein Weg, und wo immer wir uns auf diesem Weg befinden – am aufbrechenden Beginn, in der wirkenden Mitte, zum reifen Ende hin – es ist Ein Leben. Als Weg ereignet sich unser Leben in Beziehungen, die auf einem spirituellen Weg zu einer Weggemeinschaft werden können. Auch unser Magazin evolve lebt aus einer solchen Weggemeinschaft, in der wir gerade selbst einen existenziellen Übergang erleben. Unser Herausgeber Thomas ­Steininger, der seit zweieinhalb Jahren an einem Hirntumor leidet, liegt im Sterben. Schmerz und Trauer verbinden sich mit tiefer Dankbarkeit. Denn ­Thomas verkörpert für mich in seinem Sein und Wirken die verbindende und schöpferische Kraft einer Weggemeinschaft.

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Erfahrungen einer Weggemeinschaft

Während der Arbeit an dieser Ausgabe begleiten wir evolve-Herausgeber Thomas Steininger auf seinem Weg durch das Sterben. Thomas ist für mich ein Freund, spiritueller Gefährte, ein Mentor. Dieser existenzielle Moment ist für mich der Anlass, Thomas als einen Ältesten in meinem Leben zu würdigen und nachzuspüren, was es bedeutet, gemeinsam auf dem Weg zu sein.

Als Menschen ereignet sich unser Leben in der Zeit: Wir werden geboren, entfalten uns, gestalten unser Leben und sterben. Das Leben ist ein Weg, und wo immer wir uns auf diesem Weg befinden – am aufbrechenden Beginn, in der wirkenden Mitte, zum reifen Ende hin – es ist Ein Leben. Als Weg ereignet sich unser Leben in Beziehungen, die auf einem spirituellen Weg zu einer Weggemeinschaft werden können. Auch unser Magazin evolve lebt aus einer solchen Weggemeinschaft, in der wir gerade selbst einen existenziellen Übergang erleben. Unser Herausgeber Thomas ­Steininger, der seit zweieinhalb Jahren an einem Hirntumor leidet, liegt im Sterben. Schmerz und Trauer verbinden sich mit tiefer Dankbarkeit. Denn ­Thomas verkörpert für mich in seinem Sein und Wirken die verbindende und schöpferische Kraft einer Weggemeinschaft.

Wenn wir gemeinsam einen Weg gehen, dann ruft uns ein Ziel, eine Richtung, ein Horizont, eine Vision. Als ich Thomas vor vielen Jahren zum ersten Mal begegnete, berührte mich eine tiefe Nähe in der Sehnsucht nach einer neuen Weise des Menschseins. Ein Leben, in dem sich das Heilige verkörpert, in unserem eigenen Werden, aber vor allem auch in unserem Zusammensein als Menschen. In Thomas war ein geistiges Leuchten spürbar, das aus dem Licht dieser Möglichkeit aufschien. Es verband sich mit dem Licht der Sehnsucht in mir, tiefere Quellen unseres Menschseins zu erschließen und mit anderen zu teilen, zu erforschen, zu entfalten.

Seit dieser Zeit habe ich den Weg mit Thomas als ein gemeinsames Gehen erlebt, auf dem er für mich die Qualitäten eines Ältesten, eines Mentors verkörpert. Dieser Weg lebt auch im Forschen, wie wir gemeinsam als Menschen verschiedenen Alters gemeinsam gehen, voneinander lernen, einander inspirieren und unterstützen können. Unsere ganze Arbeit mit evolve und dem Emergent Dialogue ist eine suchende, offene, lebendige Antwort auf diese Frage.

Räume öffnen

Gerufen von einer Möglichkeit, formen wir den Weg gemeinsam mit unserem Sein und unseren Fähigkeiten. Wenn ich mir den Weg mit Thomas vergegenwärtige, dann denke ich vor allem an seine Fähigkeit, neue Räume des Möglichen zu öffnen und offen zu halten. Thomas versteht es durch seine geistige Weite, solche Räume des Neuen, der aufkeimenden Entfaltung zu spüren und zu erkennen. Er tat selbst Schritte in diese Räume hinein, aber immer so, dass er uns als Mitgestaltende sah, mitnahm, einlud. Ein Ältester öffnet die Türen, die neuen Horizonte, und lädt durch sein Wesen dazu ein, sie zu betreten.

In unseren Gesprächen in der Redaktion hat Thomas immer wieder den Raum unseres Forschens über ein Thema erweitert. Oft nur mit Fragen: Sind wir hier an der Essenz? Was ist wirklich wichtig an dem Thema? Warum ist es relevant? Wo ich oft im Modus des Umsetzens vorangehen wollte, waren es Impulse des Innehaltens und der Reflexion, ob wir der Tiefe nahekommen.

»Im Lichte eines Vorbilds kann ich mich selbst klarer sehen.«

Ähnlich in unserer Dialogarbeit. Hier vermag Thomas den Raum zwischen Menschen auf eine Weise anzusprechen und zu öffnen, dass die innewohnende Intelligenz und schöpferische Lebendigkeit darin spürbar werden. Sein Impuls ist oft der Hinweis, ob jetzt wirklich etwas zwischen uns lebendig ist, genauer hinzuschauen, uns nichts vorzumachen oder sich in eine flache Harmonie zu begeben. Auch hier die Frage: Sind wir am Wesentlichen? Was zeigt sich jetzt existenziell zwischen uns, nicht nur in Ideen oder mentalen Bildern?

Ich erinnere mich mit Dankbarkeit an die vielen Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass Thomas auch in mir die Räume des noch Möglichen ahnte. Und ich fühlte mich gerufen, mich selbst auf den Weg zu machen, um herauszufinden, was diese inneren Möglichkeiten sein können und wie sie Ausdruck finden. Dankbar bin ich auch für die Erfahrungen der Spannung zwischen uns, den »Wachstumsschmerzen« auf dem gemeinsamen Weg des Werdens. Thomas gibt sich nicht zufrieden mit falscher Harmonie, er will Unterschiede in den Sichtweisen zur Sprache bringen, ohne in Konflikt oder Trennung zu gehen. Oft forderte er mich heraus, mich nicht wegzuducken und zu meiner Meinung zu stehen. Es war ein Ruf in die Aufrichtigkeit, den ich immer mit Thomas verbinden werde.

Auch in Thomas‘ Denken schätze ich diese Fähigkeit, geistige Räume zu öffnen und miteinander zu erforschen, so wie er zum Beispiel die Gedanken von Martin Heidegger so innerlich durchdrungen hat, dass er geistige Perspektiven aufzeigen konnte, die das Leben in neuem Licht aufleuchten lassen. Die echte Autorität eines Ältesten kommt vor allem auch daher, dass er seine Sicht des Lebens verkörpert. Es ist eine Echtheit und Wahrhaftigkeit, die ich mit Thomas verbinde. Sie wirkt immer auch als ein Anstoß, über mich selbst zu reflektieren, inwieweit ich ein wahrhaftiges Leben führe. Im Lichte eines Vorbilds kann ich mich selbst klarer sehen.

Eine solche spirituelle Wahrhaftigkeit steht im Bezug zu einer transzendenten Kraft, einem großen Mysterium, einem uns übersteigenden Ganzen, in dem wir in das Göttliche eingewoben sind. Bei Thomas spüre ich eine tiefe Hingabe an dieses Numinose, das seinen Worten und seiner Präsenz eine besondere Ernsthaftigkeit und gleichzeitig eine einladende Leichtigkeit gab.

Sprung ins Vertrauen

Aus seiner Hingabe, aus der empfundenen Verbundenheit mit einer heiligen Tiefe des Daseins kommt für mich das tiefe Vertrauen, das Thomas auch in den letzten Jahren nach seiner Diagnose zum Ausdruck brachte und vermittelte. Obwohl er durch die Erkrankung und die Behandlungen zunehmend eingeschränkt war, behielt er immer den Blick für das Mögliche, bezog verschiedenste Behandlungsansätze mit ein und setzte die spirituelle Arbeit fort, die sein Leben ist.

Er sprach dann oft von einem Vertrauen, das jenseits davon ist, ob etwas »gut« wird. Ein Vertrauen als existenzieller Sprung ins Bodenlose, ins Nichtwissen, ins Absolute. Dass er diesen Sprung auch angesichts einer lebensbedrohlichen Krankheit immer wieder vorgelebt hat, ließ auch in mir dieses Vertrauen wachsen. Vielleicht ist solch ein existenzielles Lebensvertrauen eines der größten Geschenke, das Ältere den Jüngeren geben können. Die Verbundenheit in einem Urvertrauen und einem Sinn, der uns übersteigt und doch zuinnerst meint, gründet eine Beziehung in einer besonderen Tiefe. Dieses tiefe Vertrauen lebt Thomas auch im Angesicht des Todes.

Älteste gehen einen Weg voran, öffnen Räume, halten den Raum für die Schritte der Nachfolgenden und gleichzeitig mit ihnen Gehenden. Mich beeindruckt an Thomas, dass er zwar Räume öffnen kann, dann aber auch den geöffneten Weg immer wieder freilässt. Er ging aus dem Weg, damit sich etwas aus dem Leben selbst zeigen konnte. Dass wir Nachfolgenden, Mitgehenden unsere eigenen Schritte finden konnten. Es ist eine Art Führung, ohne zu führen. Ein Vorangehen, das immer auch gemeinsames Gehen ist und auch den Nachfolgenden die Gelegenheit gibt, den Weg zu entdecken und zu formen.

Gemeinsam gehen

Ein Erlebnis vor einigen Monaten bleibt mir da in lebendiger Erinnerung. Einige Menschen aus unserem Kernteam reisten mit Thomas in die Salzburger Alpen an einen Ort, der für ihn zu einer spirituellen Heimat geworden war. Er zeigte uns Landschaften, die für ihn zu Herzensorten, zu heiligen Plätzen geworden waren. Dabei besuchten wir eine hochgelegene Alm mit Blick auf die Bischofsmütze. Thomas konnte selbst nur mehr kurze Wege gehen. Er deutete auf einen Wanderweg und bat uns, diesen Weg zu gehen. Einen Weg, den er schon viele Male gegangen war. Einige von uns gingen zusammen auf einen Pass, von dem wir einen atemberaubenden Ausblick auf den Dachstein hatten, der für Thomas ein Herzensberg war. Und im Gehen spürte ich, wie Thomas den Raum für dieses Gehen hielt. Wie darin auch eine Art Initiation lag: Der Älteste zeigt einen Weg, kann ihn selbst aber nicht mehr gehen, weil das Leben ihn in andere Bezüge ruft. Die Nachfolgenden nehmen diesen Impuls auf und finden ihre eigene Art, den Weg fortzusetzen. Und werden selbst Wege eröffnen, auf denen andere im Mitgehen folgen. Das ist das Geschenk: dass wir die Wege weiterführen, die andere vor uns gegangen sind, und dass unsere Wege weit in die Zukunft hineinreichen werden.

Für mich liegt darin ein Bild für die Beziehung zwischen Ältesten und Jüngeren, für die Beziehung zwischen den Generationen. Es ist eine Weggemeinschaft. Wenn ich auf meine Zeit mit Thomas blicke, sehe ich den gemeinsam begangenen Weg, der mit dem Sterben nicht endet. Ein Weg wird es, wenn wir zusammen gehen. Die Fähigkeit eines Ältesten, eines Vorfahren ist die eines Vorgängers, der Mensch, der vorangeht. Gleichzeitig gehen wir zusammen, öffnen Räume des gemeinsamen Gehens. Das Ziel und Zentrum dieses Weges besteht darin, dem Geheimnis des Lebens näherzukommen, es tiefer zu verkörpern. In dem Wissen, dass dies nie vollends möglich sein wird. Wir bleiben unterwegs. Das geht einher damit, immer wieder mit leeren Händen dazustehen, im Nichtwissen.

Ganz existenziell sind wir mit diesem Nichtwissen im Angesicht des Todes konfrontiert. Der Übergang, den Thomas jetzt vollzieht, während ich diese Zeilen schreibe, ist auch für uns als evolve der Schritt in einen neuen Raum der Möglichkeit, den wir noch nicht kennen. Was Thomas gelehrt und vorgelebt hat, ist die Fähigkeit, auch angesichts dieses Nichtwissens Schritte ins Neue zu setzen, im Herzen die Liebe für das große Geheimnis, das uns ruft und jeden Schritt des Weges in Dankbarkeit aufleuchten lässt.

Author:
Mike Kauschke
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