Einander zur Verfügung stehen

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

October 19, 2025

Featuring:
Heike Pourian
Helen Britt
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Issue:
48
|
October 2025
Die Flamme weitergeben
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Wandel aus Wärme

Heike Pourian bietet als Wandelforscherin und Lehrerin für Kontakt­improvisation Erfahrungsräume der Verbundenheit an und erreicht damit auch junge Menschen. Die Bildungsaktivistin Helen Britt nahm an solch einem Treffen teil und es veränderte auch ihre Beziehung zur älteren Generation. Wir sprachen mit Helen und Heike über die Frage, wie eine gelungene Beziehung zwischen den Generationen gelebt werden kann.

evolve: Was ist für euch ein gelungener Dialog zwischen den Generationen? Wo habt ihr das erlebt oder auch nicht erlebt?

Helen Britt: Ich habe das ganz lange nicht erlebt, vor allem nicht in der Schule. Ich hatte sehr viel Misstrauen gegenüber älteren Menschen und hatte das Gefühl, wir Jungen müssen es alleine machen und die Älteren wollen uns nur kontrollieren. Ich hatte lange so ein Gefühl, mich nicht wirklich anlehnen zu können. Recht früh habe ich die Krisen der Welt gesehen und hatte das Gefühl, es gibt kein älteres Gegenüber, um darüber zu sprechen. Nach und nach habe ich dann in aktivistischen Kreisen ältere Menschen kennengelernt, mit denen ich darüber sprechen konnte. Aber auch da war erstmal viel Misstrauen in mir. Ich habe mich oft über Menschen gestellt, die älter waren als ich. Eine Arroganz, die aus meiner Enttäuschung kam, mich nicht ganz ernst genommen zu fühlen.

2020 war ich dann bei einem Sensing the Change, das Heike mit ins Leben gerufen hatte. Da gab es eine Übung, bei der wir uns anlehnen sollten und da bin ich bei dir, Heike, gelandet. Das ging eine halbe Stunde: Lehn dich mal an, wie ist das, wenn du dich fallen lässt in einen anderen Körper? Diese Erfahrung mit dir als ältere Person hat körperlich etwas für mich verändert. Ich spürte eine Beziehung. Gelungener Generationenkontakt geschieht für mich dann, wenn das Alter nicht im Vordergrund der Beziehung steht, sondern wir uns als Menschen spüren, einander begegnen und voneinander lernen.

Heike Pourian: Richtig gut, dich zu hören, Helen. Ganz gelungen für mich ist der Kontakt zwischen den Generationen, wenn wir nicht so tun müssen, als wären wir nicht verschieden alt. Also wenn es keine Rolle spielt und doch eine Rolle spielt, wie alt wir sind: Wir gehören unterschiedlichen Generationen an, wir wurden in unterschiedliche Zeiten hineingeboren und haben diese Welt in verschiedenen Lebensaltern an verschiedenen Stellen bezeugt.

Ich fand meine Generation oft schrecklich. Es gab lange niemanden, mit dem ich über die Dinge sprechen konnte, die mir wesentlich sind. Und dann kamen plötzlich junge Leute, die sich für diese Themen interessiert haben. Ich verbrachte dann viel Zeit mit Menschen, die halb so alt waren wie ich. Darin kam aber auch etwas von mir nicht vor, weil ich so getan habe, als wäre ich nicht so alt, wie ich bin. Mir wurde bewusst: Ich verfüge über eine Lebenserfahrung, mit der ich da sein will. Da wachse ich allmählich hinein – ermutigt unter anderem durch ein Ritual, eine Initiation ins Ältestesein.

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Wandel aus Wärme

Heike Pourian bietet als Wandelforscherin und Lehrerin für Kontakt­improvisation Erfahrungsräume der Verbundenheit an und erreicht damit auch junge Menschen. Die Bildungsaktivistin Helen Britt nahm an solch einem Treffen teil und es veränderte auch ihre Beziehung zur älteren Generation. Wir sprachen mit Helen und Heike über die Frage, wie eine gelungene Beziehung zwischen den Generationen gelebt werden kann.

evolve: Was ist für euch ein gelungener Dialog zwischen den Generationen? Wo habt ihr das erlebt oder auch nicht erlebt?

Helen Britt: Ich habe das ganz lange nicht erlebt, vor allem nicht in der Schule. Ich hatte sehr viel Misstrauen gegenüber älteren Menschen und hatte das Gefühl, wir Jungen müssen es alleine machen und die Älteren wollen uns nur kontrollieren. Ich hatte lange so ein Gefühl, mich nicht wirklich anlehnen zu können. Recht früh habe ich die Krisen der Welt gesehen und hatte das Gefühl, es gibt kein älteres Gegenüber, um darüber zu sprechen. Nach und nach habe ich dann in aktivistischen Kreisen ältere Menschen kennengelernt, mit denen ich darüber sprechen konnte. Aber auch da war erstmal viel Misstrauen in mir. Ich habe mich oft über Menschen gestellt, die älter waren als ich. Eine Arroganz, die aus meiner Enttäuschung kam, mich nicht ganz ernst genommen zu fühlen.

2020 war ich dann bei einem Sensing the Change, das Heike mit ins Leben gerufen hatte. Da gab es eine Übung, bei der wir uns anlehnen sollten und da bin ich bei dir, Heike, gelandet. Das ging eine halbe Stunde: Lehn dich mal an, wie ist das, wenn du dich fallen lässt in einen anderen Körper? Diese Erfahrung mit dir als ältere Person hat körperlich etwas für mich verändert. Ich spürte eine Beziehung. Gelungener Generationenkontakt geschieht für mich dann, wenn das Alter nicht im Vordergrund der Beziehung steht, sondern wir uns als Menschen spüren, einander begegnen und voneinander lernen.

Heike Pourian: Richtig gut, dich zu hören, Helen. Ganz gelungen für mich ist der Kontakt zwischen den Generationen, wenn wir nicht so tun müssen, als wären wir nicht verschieden alt. Also wenn es keine Rolle spielt und doch eine Rolle spielt, wie alt wir sind: Wir gehören unterschiedlichen Generationen an, wir wurden in unterschiedliche Zeiten hineingeboren und haben diese Welt in verschiedenen Lebensaltern an verschiedenen Stellen bezeugt.

Ich fand meine Generation oft schrecklich. Es gab lange niemanden, mit dem ich über die Dinge sprechen konnte, die mir wesentlich sind. Und dann kamen plötzlich junge Leute, die sich für diese Themen interessiert haben. Ich verbrachte dann viel Zeit mit Menschen, die halb so alt waren wie ich. Darin kam aber auch etwas von mir nicht vor, weil ich so getan habe, als wäre ich nicht so alt, wie ich bin. Mir wurde bewusst: Ich verfüge über eine Lebenserfahrung, mit der ich da sein will. Da wachse ich allmählich hinein – ermutigt unter anderem durch ein Ritual, eine Initiation ins Ältestesein.

Eine grundlegende Verbundenheit

e: Es gibt diesen grundmenschlichen Kontakt der Verbundenheit, weil wir alle Menschen sind. Gleichzeitig stehen wir auf dieser Lebensreise an unterschiedlichen Punkten, und jeder Punkt hat eine eigene Kraft oder Qualität, die wertvoll ist und gewürdigt sein will.

HP: Das ist auch gesellschaftlich nötig. Helen, wenn du sagst, du hast dich allein gelassen gefühlt von meiner Generation, dann bedeutet das auch, dass meine Generation eine Rolle nicht annimmt, die sie eigentlich hätte. Du hast sehr jung gespürt, dass wir dir eine Last aufbürden, wenn wir unsere Verantwortung nicht annehmen. Das können wir ohne Schuldzuweisungen anerkennen und dann fragen: Was brauchen wir voneinander?

»Gelungener Generationenkontakt geschieht, wenn das Alter nicht im Vordergrund der Beziehung steht.« Helen Britt

HB: Sehr viele Menschen, mit denen ich spreche, spüren schon sehr früh, dass in der Weise, wie wir Kultur oder Gesellschaft gebaut haben, etwas nicht stimmt. Und ich bekam genug Unterstützung, um mich nicht komplett von mir selber abschneiden zu müssen. Da bin ich vielleicht anders aufgewachsen als ihr, weil es durch mein Umfeld schon leichter war, meiner Wahrnehmung zu vertrauen, dass etwas in der Welt schiefläuft. Darin sehe ich mich auch als privilegiert, weil ich mehr Unterstützung bekommen habe als meine Elterngeneration.

HP: Von wem kam denn die Unterstützung?

HB: Ich muss an eine Nachbarin von uns denken, die Krebs bekam und viele spirituelle Bücher im Regal stehen hatte. Das war einer der ersten Menschen, von denen ich mich in meinen Fragen so richtig respektiert gefühlt habe.

HP: Ich finde spannend, wenn du sagst, dass du Voraussetzungen vorgefunden hast, die es vielleicht für deine Oma oder deine Eltern noch nicht so gab. Ich hatte tatsächlich irgendwann das Gefühl, ich wurde zu früh geboren. Wenn ich mir anschaue, was für Gedankengut jetzt in der Welt ist, hätte ich das gern mit Anfang 20 gekannt.

Die Sehnsucht, gesehen zu werden

e: Es braucht Menschen wie diese Frau, von der du gesprochen hast, die dich mit deinen Fragen gesehen hat. Wenn man jung ist, gibt es diese Sehnsucht, von jemandem angeschaut zu werden, der älter ist, aber einen versteht und Türen öffnet.

HB: Ich sehe diese Sehnsucht bei vielen jüngeren Menschen. Seit ich 18 war, habe ich versucht, einen Mentor oder eine Mentorin zu finden, der oder die mich länger begleitet. Andreas Duda war für mich so jemand, mit dem ich mit Anfang 20 alle zwei Wochen telefoniert habe und über alles reden konnte. Das hat mich sehr unterstützt. Aber ich habe auch erlebt, dass Leute überfordert waren, wie so etwas gehen kann. Gesamtgesellschaftlich fehlt auch einfach informeller, alltäglicher Kontakt zwischen den Generationen. Ich kenne sehr viele Menschen, die sich nach Mentoren sehnen. Mich würde interessieren, ob es andersrum diese Sehnsucht auch gibt, als Mentor oder Mentorin etwas weiterzugeben.

HP: Ja, da gibt es eine große Lust, aber auch Unsicherheit. Mit einer ganz jungen Gruppe, die in sehr viel Weltschmerz und Verzweiflung verbunden war, habe ich eine wesentliche Erfahrung gemacht. Einer von ihnen klagte: »Wir können tun, was wir wollen, es verändert sich nichts zum Besseren.« In diesem Moment habe ich verstanden, was eine meiner Aufgaben als Älteste ist, nämlich Zeuginnenschaft. In den 70er-Jahren fehlten noch Dialogkultur und Wissen über Trauma. Wenn ich sehe, was jetzt schon möglich ist an Gespräch, dann ist ganz klar: Da hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte etwas zum Besseren verändert. Als ich vier Jahre alt war, starb mein Vater, und kein Mensch hat mit mir darüber geredet. Eine Generation später durfte ich bezeugen, wie ein guter Freund starb und wie dessen Kinder darin begleitet wurden. Ich versprach mir selbst: Dafür möchte ich stehen.

Energie für die Transformation

e: Es ist ja auch eine Qualität von gelebtem Leben, dass man sieht, wie Dinge sich verändern. Ich kann nachvollziehen, dass es eine Rolle von Ältestensein ist, das ins Bewusstsein zu rufen. Unsere Gesellschaft hat einen großen Mangel an solcher Energieübertragung. Die Gesellschaft erkaltet und verliert Energie, die für eine wirkliche Transformation notwendig ist. Was kann ein tieferer Generationendialog, wie wir ihn jetzt ansprechen, für einen transformativen Wandel ermöglichen?

»In die junge Power, die Energie und das Chaos könnte mehr Herz und Langsamkeit hineinkommen.« Helen Britt

HP: Mit der Wegwarte bauen wir einen Bildungsort auf, an dem sich Menschen mindestens ein Jahr miteinander Kompetenzen aneignen, die helfen können, wenn wir uns für gesellschaftliche Veränderungen engagieren wollen. Dabei war es von Anfang an wichtig, dass wir altersmäßig breit aufgestellt sind. Die Gruppe umfasst Menschen von Anfang 20 bis Ende 60. Das macht mich glücklich, weil wir all die Perspektiven, welche die verschiedenen Altersstufen mit sich bringen, brauchen.

Es gibt einen zentralen Satz für unsere Bildungsarbeit: »Finde deinen Platz und handle danach.« Wenn wir alle am richtigen Platz wären, dann wäre diese Welt so viel friedlicher. Viele Menschen heute sind an einer Stelle, wo sie eigentlich gar nicht hingehören. Sie trauen sich nicht, aufzutauchen mit dem, was sie beitragen könnten. Sie hatten keine Begleitung, um den Platz einzunehmen, den sie mit Leichtigkeit und Freude ausfüllen könnten. Es ist wichtig, dass es gesellschaftlich wieder erlebbarer wird, dass Generationen einander zur Verfügung stehen.

HB: In den letzten Jahren war ich viel in der Gemeinschaftsszene unterwegs und habe die Gemeinschaft Fuchsmühle mit aufgebaut. Dort waren wir hauptsächlich junge Menschen in den Zwanzigern und Dreißigern. Da habe ich immer wieder gemerkt, es fehlen ältere Menschen, die Geschichten erzählen oder vielleicht einfach auf einer Bank sitzen und einen Tee trinken. Man kann sich dazusetzen, und da ist jemand, der hat ein offenes Ohr, ein offenes Herz. Da ist mehr Ruhe, die ich bei älteren Menschen wahrnehme. So könnte in die junge Power, die Energie und das Chaos mehr Herz und Langsamkeit hineinkommen.

Wir haben einmal im Jahr ein Ratstreffen einberufen, bei dem wir ältere Leute, deren Kompetenz wir geschätzt haben, einluden, uns zu spiegeln: Was seht ihr bei uns? Wir haben um Rat gebeten. Das habe ich als sehr fruchtbar und berührend erlebt.

Eine Weitergabe von Bewusstsein

e: Wie findet man Wege, nicht nur ins Gespräch zu kommen, sondern eine Weitergabe von Bewusstsein zu ermöglichen? Jüngere Menschen haben eine Sehnsucht nach Wandel. Gleichzeitig ist da eine ältere Generation, die auch schon dem Impuls zum Wandel gefolgt ist. Wie können wir uns in einem gemeinsamen Anliegen zusammenfinden, eine lebenswerte Zukunft zu gestalten und gleichzeitig anerkennen, dass es auch Unterschiede gibt?

HP: Die Wandelbewegung bringt eine gespürte Dringlichkeit mit sich. Die Veränderung soll möglichst schnell gehen. Dann werden Menschen ungeduldig, weil nichts passiert und die Alten es nicht checken. Damit neige ich dazu, nicht anzuerkennen, was die Generation vor mir schon verändert hat im Vergleich zu der Generation davor. Deshalb war es für mich wesentlich, Gespräche mit meiner Mutter zu führen. Ich habe verstanden, wie ich als junger Mensch meiner Mutter unterstellte, dass sie nichts verändert hat. Das stimmte nicht. In ihrem Leben war ganz viel Emanzipatorisches im Umgang der Geschlechter miteinander. Sie war berufstätig, hatte den Führerschein gemacht, das war für Frauen völlig neu. Meine Mutter hat also Bedingungen mitgeschaffen, die ich zunächst nicht als Errungenschaft sehen konnte, weil es für mich so normal war.

Ich stelle mir manchmal die Frage, wie viel Entwicklung innerhalb eines Menschenlebens möglich ist, wie viel Traumalast auf einer Generation liegt, die Entwicklung auch einschränkt. Das hat mir geholfen, mich anerkennend in die Generationenfolge einzureihen. Meine Mutter ist 1939 geboren. Die ersten sechs Jahre ihres Lebens war Krieg – das ist ja unvorstellbar für mich. Heute kann ich sehen: Da war Entwicklung vor mir, es geschieht Weiterentwicklung durch mich, und meine Kinder werden über mich hinauswachsen.

»Es ist wichtig, dass es gesellschaftlich wieder erlebbarer wird, dass Generationen einander zur Verfügung stehen.«Heike Pourian

HB: Mit Anfang 20 dachte ich, ich gehe in den Aktivismus und wenn ich dann älter bin, haben wir es geschafft. Mittlerweile ist mir klar, ich werde viele Früchte meiner Arbeit nicht mehr erleben, und das ist okay.

Und Heike, während du gesprochen hast, dachte ich an eine meiner engsten Freundinnen, die seit drei Monaten schwanger ist, und wie wir damit als Freundeskreis umgehen. Nächste Woche treffen wir uns, um uns zusammen auf diese Seele einzustimmen und zu schauen, wer welchen Platz im System einnehmen will. Das Kind wird in Gemeinschaft am Waldrand aufwachsen, mit Leuten, die therapeutische Kompetenzen haben. Was für ein krasser Start ins Leben. So bin ich nicht aufgewachsen, das ist ein riesiger Sprung innerhalb nur einer Generation, der für mich aber so alltäglich ist, dass er mir kaum aufgefallen wäre.

Ich merke, wie wichtig es ist, Anerkennung und Wertschätzung in beide Richtungen fließen zu lassen und das zu üben. Die Jungen sagen dann vielleicht: Danke für alles, was ihr gemacht habt, es war nicht leicht für euch. In eurem Versuch, andere Wege zu gehen, wart ihr vielleicht viel einsamer als wir. Und die Älteren sagen: Danke für alles, was ihr macht. Wir haben euch die Welt nicht in einem besonders guten Zustand übergeben und wir sehen, dass wir da Verantwortung tragen.

HP: Ich möchte alle Menschen meiner Generation aufrufen, sich der Forschungsaufgabe zu stellen: Was bedeutet Ältestenschaft? Was ist da meine Aufgabe? Wir hatten das selber kaum, deshalb dürfen wir es lernen und erfinden. Und wir können die Jüngeren fragen: Was braucht ihr von uns? Oder: Wie möchtet ihr euch gern anlehnen?

Author:
Mike Kauschke
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