Ein Parlament der Menschen

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July 7, 2025

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47
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July 2025
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Aus der Letzten wird die Neue Generation

Seit einigen Jahren sorgen die Proteste der Letzten Generation für Diskussionen. Mit dem Gefühl der Verzweiflung, dass nicht genügend unternommen wird, um eine wirksame Antwort auf die Klimakrise zu finden, haben sie Flughäfen und Straßen blockiert oder sich auf Straßen angeklebt. Das hat zu großer Aufmerksamkeit und auch viel Unmut geführt. Das hat die Organisation nun veranlasst, einen Neuanfang zu wagen: Von der Letzten Generation zur Neuen Generation. Raphael Thelen, einer der Engagierten, erklärt: »Wir wagen den Aufbruch. Unsere Welt könnte so viel besser sein – wenn wir losgehen. Genau das machen wir.« Der Fokus liegt nunmehr nicht nur auf Protest, sondern auch auf Gestaltung. Hier bringt die Neue Generation ein Format ins Gespräch, das als Parlament of the People bekannt ist. Dieses Parlament der Menschen ist ein partizipativer Dialogprozess, vergleichbar mit den Bürgerräten, die in Deutschland schon mit im Auftrag des Bundestages durchgeführt wurden.

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Aus der Letzten wird die Neue Generation

Seit einigen Jahren sorgen die Proteste der Letzten Generation für Diskussionen. Mit dem Gefühl der Verzweiflung, dass nicht genügend unternommen wird, um eine wirksame Antwort auf die Klimakrise zu finden, haben sie Flughäfen und Straßen blockiert oder sich auf Straßen angeklebt. Das hat zu großer Aufmerksamkeit und auch viel Unmut geführt. Das hat die Organisation nun veranlasst, einen Neuanfang zu wagen: Von der Letzten Generation zur Neuen Generation. Raphael Thelen, einer der Engagierten, erklärt: »Wir wagen den Aufbruch. Unsere Welt könnte so viel besser sein – wenn wir losgehen. Genau das machen wir.« Der Fokus liegt nunmehr nicht nur auf Protest, sondern auch auf Gestaltung. Hier bringt die Neue Generation ein Format ins Gespräch, das als Parlament of the People bekannt ist. Dieses Parlament der Menschen ist ein partizipativer Dialogprozess, vergleichbar mit den Bürgerräten, die in Deutschland schon mit im Auftrag des Bundestages durchgeführt wurden.

Um solch ein Parlament der Menschen zu erproben, trafen sich vom 30. Mai bis 1. Juni in Berlin etwa 50 Menschen, die aus dem Umfeld der Neuen Generation ausgelost wurden. Dabei wurde Wert daraufgelegt, ein möglichst breites Spektrum an Teilnehmenden mit einzubeziehen. Aber natürlich war die bürgerliche Mitte hier nicht vertreten. Für das Parlament der Menschen wurde vor dem Reichstag ein nach mehreren Seiten offenes Kuppelzelt aufgebaut. Umringt wurde es von starker Polizeipräsenz, was für manche ein Gefühl der Bedrohung erzeugte.

»Ein ›politischer Orgasmus‹ wurde gefordert, ›raus aus dem Frust, rein in die Lust‹. «

Moderiert wurde der Prozess von Jascha Rohr, Begleiter partizipativer Prozesse, der Autorin und Netzaktivistin Kübra Gümüşay, dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Marco Bülow und der Aktivistin und Mitbegründerin der Initiative taxmenow Marlene Engelhorn, die fast ihr gesamtes geerbtes Vermögen durch einen eigens gestalteten Bürgerrat verteilt hat. Jascha Rohr hatte schon die offiziellen Bürgerräte zuletzt zum Thema Ernährung im Wandel mitbetreut. Für ihn war es ein Wagnis, weil er nicht wusste, wie sehr die Aktivisten sich an eine in Teilen vorgegebene Struktur halten würden. Aber trotz einiger Konflikte und Momente, in denen der Prozess auf der Kippe stand, waren sich die meisten Teilnehmenden einig, dass das Experiment gelungen ist. Als die Gruppe eine besonders schwierige Hürde nimmt, erklärt einer der Anwesenden: »Wenn ich das so sehe, bekomme ich Gänsehaut. Das, was wir hier in den letzten Stunden geschafft haben, haben die da drüben im Bundestag noch nicht geschafft.«

Die drei Tage folgten einem Bogen, bei dem am Freitag Raum dafür war, gemeinsam die vielen Krisen zu bezeugen und auch Schmerz, Wut und Trauer darüber zu teilen. Am Samstag wurde die politische Gegenwart angeschaut und untersucht, wo die Schwachstellen der demokratischen Kultur liegen, um dann am Sonntag Zukunftsvisionen zu entwickeln.

Dabei wurden die Teilnehmenden gebeten, den Satz »Wir wollen eine Politik, die …« zu vollenden. Damit wurden verschiedene Ideen zusammengetragen, die zu einer Art Abschlusserklärung führten. Unter anderem wurde darin erklärt, dass man eine Politik will, die die Lebensgrundlagen schützt, die Macht auf mehr Menschen verteilt, mehr Formen direkter Demokratie ermöglicht, die ein Parlament der Menschen miteinbezieht und in der niemand »Ballast« ist, sondern jeder und jede ein »Palast«. Sogar ein »politischer Orgasmus« wurde gefordert, »raus aus dem Frust, rein in die Lust«.

Das erste Parlament der Menschen war ein Beginn, auf den viele weitere regionale Zusammenkünfte folgen sollen, für den September ist ein weiteres Parlament in Berlin geplant. Für Jascha Rohr war der dreitägige Prozess gelungen: »Das Parlament hat stattgefunden, das ist an sich ein Erfolg. Es war nicht leicht, die Genehmigungen zu bekommen, auf der Bundestagswiese ein Zelt aufzubauen. 50 Menschen sind zusammengekommen und haben inhaltlich gearbeitet und gute Ergebnisse erzielt. Es ist ein Startschuss für etwas, worauf man aufbauen kann. Und wir können daraus für nächste Parlamente lernen, was die Gruppenprozesse, die Formulierung der Zielsetzung und die Zusammensetzung der Teilnehmenden angeht.« ■

www.neuegeneration.com

Author:
Mike Kauschke
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