Über das Buch »Sprechen über Gott – Ein Dialog mit Simone Weil« von Byung-Chul Han
In seinem neuen Buch führt Byung-Chul Han – wie er selbst sagt – ein »inniges Gespräch« mit Simone Weil, die in ihn »eingezogen« ist und sich in seiner »Seele eingerichtet« hat. So wird gleich im Vorwort deutlich, dass es sich nicht um ein gelehrtes Buch handelt, sondern um eine intime Auseinandersetzung mit Weils mystischen Gedankengängen, die Han persönlich tief berührt haben und an die er auch seine eigene Kultur- und Gesellschaftskritik anknüpft, wie er sie bereits in seinen früheren Werken mehrfach formuliert hat. Durch den Dialog mit Weil bekommen seine Ausführungen eine tiefe Eindringlichkeit. Es wird spürbar, dass sich das Erkennen oder Umdenken nur durch eine existenzielle und ebenso spirituelle Erfahrung ereignen kann, die weit über eine bloße Denkbewegung im intellektuellen Sinne hinausgeht. So spricht denn Han auch von einer Spiritualisierung des Lebens, der Arbeit und des menschlichen Tuns insgesamt, von einer Spiritualisierung des Schönen, der Wissenschaft, Kunst und Technik. Doch wodurch können alle Lebensbereiche spiritualisiert werden – und warum überhaupt wird dies so dringend nötig?
Über das Buch »Sprechen über Gott – Ein Dialog mit Simone Weil« von Byung-Chul Han
In seinem neuen Buch führt Byung-Chul Han – wie er selbst sagt – ein »inniges Gespräch« mit Simone Weil, die in ihn »eingezogen« ist und sich in seiner »Seele eingerichtet« hat. So wird gleich im Vorwort deutlich, dass es sich nicht um ein gelehrtes Buch handelt, sondern um eine intime Auseinandersetzung mit Weils mystischen Gedankengängen, die Han persönlich tief berührt haben und an die er auch seine eigene Kultur- und Gesellschaftskritik anknüpft, wie er sie bereits in seinen früheren Werken mehrfach formuliert hat. Durch den Dialog mit Weil bekommen seine Ausführungen eine tiefe Eindringlichkeit. Es wird spürbar, dass sich das Erkennen oder Umdenken nur durch eine existenzielle und ebenso spirituelle Erfahrung ereignen kann, die weit über eine bloße Denkbewegung im intellektuellen Sinne hinausgeht. So spricht denn Han auch von einer Spiritualisierung des Lebens, der Arbeit und des menschlichen Tuns insgesamt, von einer Spiritualisierung des Schönen, der Wissenschaft, Kunst und Technik. Doch wodurch können alle Lebensbereiche spiritualisiert werden – und warum überhaupt wird dies so dringend nötig?
Die Zauberformel heißt für Han (mit Weil) »Aufmerksamkeit«, denn »Aufmerksamkeit ist Spiritualität« und »erzeugt das Licht, das es zu sehen gibt.« Doch genau diese Fähigkeit zur Aufmerksamkeit kommt uns heute immer mehr abhanden. »Die Digitalisierung beschleunigt die totale Verfügbarmachung der Wirklichkeit massiv. Sie gewöhnt uns daran, dass alles sofort verfügbar, erreichbar, berechenbar und konsumierbar ist. (…) Die Welt löst sich in Daten und Informationen auf. Die Präsenzerfahrung ist dadurch kaum mehr möglich.« In unserer Sucht nach Reizen, nach Ablenkung, Effizienz, Wirksamkeit und Quantität haben wir uns »zum Sklaven der Arbeit und Leistung gemacht. (…) Jeder ist nun ein Unternehmer seiner selbst, der permanent sich produziert und sich performt.«
In diesem schädlichen Klima, das beherrscht wird von der »Ökonomie der Macht«, verlernen wir das Schauen, das Warten-Können, die Geduld, die Scheu, die Langsamkeit, das Lauschen, die Untätigkeit, aber genauso das Aushalten der Stille oder die Bejahung des Schmerzes. All diese passiven Qualitäten des Nicht-Handelns könnten die »kontemplative Aufmerksamkeit« zurückbringen, die nicht »reizgesteuert« ist, sondern eher »einem Gebet« gleicht. Wobei heute selbst das Spirituelle zum Konsum verkommt: »Die boomende Achtsamkeitsindustrie lässt die Spiritualität zur Technik der Effizienz- und Leistungssteigerung, zur Technik der Selbstoptimierung oder der Stressreduktion verkommen.« Dabei ist »die Aufmerksamkeit für den Anderen (…) das Ethos schlechthin« und nicht die egozentrierte »Selbstfürsorge«. Die Aufmerksamkeit gedeiht nur, wenn wir unseren Willensdrang beruhigen, unsere Absichten beiseitelassen und »das Ich (…) sich zu einem Niemand« entleert und »zu einem reinen Medium« des Wahrnehmens wird. Sobald wir wirklich zu einem durchlässigen Wahrnehmungsorgan werden, das von sich selbst absieht und zum Anderen hinwendet, verschenken wir unsere Aufmerksamkeit, die »eine reine Gabe« ist, »die keinen Lohn, keine Gegenleistung verlangt.« Die Aufmerksamkeit ist genügsam in dem bloßen Geben und Sich-Verschenken. Es geht ihr um die »reine Gegenwart«, das »bloße Da«, gerade auch für die Künstler und alle schöpferischen Menschen, die dank ihrer Präsenz zu einem Medium werden, »durch das Gott seine Schöpfung aus einer besonderen Perspektive betrachtet«.Der Mensch »tritt zurück zugunsten Gottes Blicks auf die Welt«. So wird die Arbeit poetisiert, denn »poetisch ist allein das zwecklose Tun«, in dem es nicht mehr um Leistung geht, sondern um den offenen Blick für das Geheimnis.
»Byung-Chul Han spricht von einer Spiritualisierung des Lebens.«
So schön und bewegend Hans meditative Betrachtungen sind, so bleiben auch ungeklärte Fragen. Wenn der Mensch seinen Willen aufgeben, sein Ich ablegen, auf sich selbst verzichten und zu einem »Niemand« werden soll, dann fragt sich, inwiefern bei diesem Prozess nicht doch der Wille involviert ist. Sollen wir nicht diese ideale, selbstlose Aufmerksamkeit wollen? Gewiss, es geht um das Lassen, um die Hingabe (was ja auch dringend Not tut), aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich auch hierbei die Willensabsicht und der Leistungsgedanke in neuem Gewand einschleichen können. Noch fragwürdiger scheint mir indes Weils Differenzierung zwischen dem Natürlichen und dem Übernatürlichen, die leider nicht ohne eine Wertung auskommt, als wäre das Natürliche das Zu-Überwindende und das Übernatürliche alles, worauf es ankommt. Da hätte ich mir von Han etwas mehr liebende Distanz zu seinem verehrten Vorbild gewünscht, denn unsere Zeit, in der die Erde ausgebeutet wird, wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit, erfordert doch eine neue Meditation über das Natürliche, damit wir auch in ihm etwas Heiliges sehen können, das in gar keinem Gegensatz mehr stehen muss zu dem Übernatürlichen. So oder so bleibt Byung-Chul Hans Buch eine intensive Leseerfahrung, die zu vielen Fragen anregt und ganz praktisch dabei hilft, die Aufmerksamkeit zu schulen.