Wenn der Fluss spricht

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Buch/Filmbesprechung
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July 7, 2025

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47
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July 2025
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Eine Rezension des Films »I Am the River, the River Is Me«

2017 wurden dem Whanganui River, dem mit 320 Kilometern drittlängsten Fluss Aotearoas (­Neuseelands), nach jahrzehntelangen Bemühungen der Māori Persönlichkeitsrechte zugesprochen. Als die international anerkannten Filmemacher Corinne van Egeraat und Petr Lom davon erfuhren und den Māori-Flusswächter Ned Tapa kennenlernten, lud er sie ein, zurückzukehren und einen längeren Film zu drehen.

Der 2024 in den Niederlanden, Norwegen und Neuseeland produzierte 90-minütige Dokumentarfilm erzählt die Geschichte einer fünftägigen Kanufahrt auf dem ­Whanganui River. Ned Tapa nimmt nicht nur die Filmemacher mit auf diese Reise, sondern auch Aktivistinnen und Vertreter von Wasser- und Naturrechten – unter ihnen ein Ältester der Aborigines und seine Tochter, die sich in Australien für Rechte der Natur einsetzen.

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Eine Rezension des Films »I Am the River, the River Is Me«

2017 wurden dem Whanganui River, dem mit 320 Kilometern drittlängsten Fluss Aotearoas (­Neuseelands), nach jahrzehntelangen Bemühungen der Māori Persönlichkeitsrechte zugesprochen. Als die international anerkannten Filmemacher Corinne van Egeraat und Petr Lom davon erfuhren und den Māori-Flusswächter Ned Tapa kennenlernten, lud er sie ein, zurückzukehren und einen längeren Film zu drehen.

Der 2024 in den Niederlanden, Norwegen und Neuseeland produzierte 90-minütige Dokumentarfilm erzählt die Geschichte einer fünftägigen Kanufahrt auf dem ­Whanganui River. Ned Tapa nimmt nicht nur die Filmemacher mit auf diese Reise, sondern auch Aktivistinnen und Vertreter von Wasser- und Naturrechten – unter ihnen ein Ältester der Aborigines und seine Tochter, die sich in Australien für Rechte der Natur einsetzen.

»Lasst uns ohne Widerstand eintreten in die Welt unseres Ursprungs, in die Welt unseres Volkes, in die Welt des Lernens, in die Welt der Gespräche, in den weiten, grenzenlosen Raum von Ranginui, unserem Himmelsvater. ­Alle vereint! Wir bekräftigen es!« – so lautet das Gebet zur Segnung am Beginn der Reise. In 88 Minuten, die von einer Ewigkeit und zugleich von einer fünftägigen Reise erzählen, fahren wir mit den Reisenden den Fluss entlang und lauschen ihren Gesprächen – alltäglichen Worten, ungewöhnlichen Einsichten.

Wir beginnen zu verstehen: Für die Māori war der Fluss nie ein Ding, das »zur Person gemacht« werden musste – er war und ist immer ein lebendiges Wesen. Eine Ahnin. Ein Fluss mit Geist, Geschichte und Stimme. Ein Teil unseres Zuhauses, ein Teil von uns.

In dem Moment, in dem klar wird, dass der Fluss sich selbst gehört, stellt der Film nicht nur koloniale Eigentumslogiken infrage – er zeigt eine andere Welt. Eine Welt, in der das Recht nicht über dem Leben steht, sondern aus dem Leben erwächst. In der Spiritualität, Politik, Ökologie und Erinnerung nicht voneinander zu trennen sind. Der Fluss ist kein Symbol, keine Metapher. Er ist.

Die Kamera verweilt in den stillen Momenten: auf Gesichtern, auf dem Wasser, im Gesang. Der Film erklärt nicht – er vertraut. Er folgt den Kanu-­Reisenden in die Erinnerung an juristische Verhandlungen, in rituelle Begegnungen, in Gespräche mit Ältesten, in die tiefen Schichten gelebter Verbindung. Er zeigt, wie es möglich war – und wieder möglich werden kann –, ein anderes Recht zu hören: eines, das schon lange da ist.

Aus meiner naturverbundenen europäisch-indigenen Perspektive ist dieser Film wie ein Echo in den Knochen. Viele von uns – Nachkommen kolonialer Gesellschaften – spüren die Lücke, die Leere, die Trennung von Land, Geist und Gemeinschaft. Bevor wir andere kolonisierten, wurden unsere eigenen Bezüge zur lebendigen Welt zerstört: heilige Quellen wurden eingefasst, Wälder gerodet, unsere Ahnengeister als Aberglaube verspottet. Auf dieser Ebene berührt uns der Film – nicht aus Schuld, sondern aus Erinnerung.

Diese Geschichte – die Unterhaltungen und Begegnungen im Film – sind kein Leitfaden, keine Dokumentation im klassischen Sinn, sondern ein Spiegel. Wir werden gefragt: Was heißt es, wieder mit einem Fluss zu sprechen? Ihn als Verwandten zu achten? Wieder in Beziehung zu treten – nicht aus Romantik, sondern aus Mit-Verantwortung, aus Verwandtschaft? Was wäre, wenn auch wir unsere Flüsse als lebendige Wesen und damit auch rechtlich als Rechtssubjekte anerkennen – nicht durch Nachahmung einer Bewegung in Aotearoa, sondern durch die Wiederverbindung mit dem, was einmal war und immer noch möglich ist?

»I Am the River, the River Is Me« ist kein Film, der Antworten liefert. Er öffnet einen Raum. Einen Raum für Trauer, für Staunen, für Zuhören. Für ein Recht, das sich nicht in Paragraphen erschöpft, sondern aus Lied, Land und Liebe besteht.

Am Ende bleibt ein leiser Segen. Eine Einladung, das Heilige im Weltlichen zu erkennen. Eine Erinnerung daran, dass auch in Europa Flüsse einst als Wesen verehrt wurden – und dass es Zeit ist, wieder zuzuhören. Iti nei, iti nei – Schritt für Schritt.

Author:
Kaa Faensen
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