Im Prozess der Transformation

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Porträt
Published On:

April 17, 2025

Featuring:
Bianca Bondi
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Issue:
Ausgabe 46 / 2025
|
April 2025
Die Wiederentdeckung des Lebens
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Verbindungen schaffen, die Resonanz erzeugen

Bianca Bondi arbeitet mit der Aktivierung und Aufwertung alltäglicher Gegenstände, die sie chemischen Reaktionen aussetzt. Die Materialien selbst sind eng mit dem Ort verbunden, an dem das Kunstwerk entsteht. Die Materialien, mit denen sie arbeitet, wählt sie aufgrund ihrer symbolischen Aussagekraft und ihres transformativen Potenzials, wobei sie den inhaltlichen Schwerpunkt auf Verbundenheit, Vergänglichkeit und die Zyklen von Leben und Tod legt.

evolve: Was möchtest du zeigen, wenn du mit Objekten, mit Materialien, mit der Umgebung der Materialien arbeitest, indem du sie chemischen Reaktionen aussetzt und damit einen Prozess der Transformation durchlaufen lässt?

Bianca Bondi: In meiner Arbeit geht es vor allem darum, den Betrachter durch Materialien, die sich in Bewegung befinden, im gegenwärtigen Moment zu verankern. Die Stoffe schwitzen, wechseln ihren Zustand von flüssig zu fest, verändern ihre Farbe. Oder es entsteht ein Wechselspiel von Anziehung und Abstoßung. Ich verwende leuchtende Farben und faszinierende Kristallformationen. Und genau dieselben Materialien versickern, zerfallen, oxidieren, werden zu Trümmern und verkörpern Verlust. Ich finde diese Dualität faszinierend.

Es ist eine Art, sich mit der Zeitlichkeit auseinanderzusetzen. Wir sind uns ständig bewusst, dass die Dinge heute anders sind als gestern und dass sie sich morgen wieder verändern werden. Aber in dieser Unbeständigkeit existiert auch eine Kontinuität – etwas bleibt immer bestehen. In der Wissenschaft gibt es ein berühmtes Diktum, das besagt, dass Energie nicht zerstört, sondern nur umgewandelt werden kann. Dieser Gedanke ist der Kern meiner Praxis. Ich akzeptiere Transformation und Wandelbarkeit als Möglichkeit, ganz im Jetzt präsent zu sein.

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Verbindungen schaffen, die Resonanz erzeugen

Bianca Bondi arbeitet mit der Aktivierung und Aufwertung alltäglicher Gegenstände, die sie chemischen Reaktionen aussetzt. Die Materialien selbst sind eng mit dem Ort verbunden, an dem das Kunstwerk entsteht. Die Materialien, mit denen sie arbeitet, wählt sie aufgrund ihrer symbolischen Aussagekraft und ihres transformativen Potenzials, wobei sie den inhaltlichen Schwerpunkt auf Verbundenheit, Vergänglichkeit und die Zyklen von Leben und Tod legt.

evolve: Was möchtest du zeigen, wenn du mit Objekten, mit Materialien, mit der Umgebung der Materialien arbeitest, indem du sie chemischen Reaktionen aussetzt und damit einen Prozess der Transformation durchlaufen lässt?

Bianca Bondi: In meiner Arbeit geht es vor allem darum, den Betrachter durch Materialien, die sich in Bewegung befinden, im gegenwärtigen Moment zu verankern. Die Stoffe schwitzen, wechseln ihren Zustand von flüssig zu fest, verändern ihre Farbe. Oder es entsteht ein Wechselspiel von Anziehung und Abstoßung. Ich verwende leuchtende Farben und faszinierende Kristallformationen. Und genau dieselben Materialien versickern, zerfallen, oxidieren, werden zu Trümmern und verkörpern Verlust. Ich finde diese Dualität faszinierend.

Es ist eine Art, sich mit der Zeitlichkeit auseinanderzusetzen. Wir sind uns ständig bewusst, dass die Dinge heute anders sind als gestern und dass sie sich morgen wieder verändern werden. Aber in dieser Unbeständigkeit existiert auch eine Kontinuität – etwas bleibt immer bestehen. In der Wissenschaft gibt es ein berühmtes Diktum, das besagt, dass Energie nicht zerstört, sondern nur umgewandelt werden kann. Dieser Gedanke ist der Kern meiner Praxis. Ich akzeptiere Transformation und Wandelbarkeit als Möglichkeit, ganz im Jetzt präsent zu sein.

Kontinuierliches Experimentieren

e: Deine Arbeit ist sehr ortsspezifisch. Wie entsteht in dir eine Idee für einen bestimmten Ort? Welche künstlerischen Aspekte fließen in deine Arbeit und die Entscheidungen darüber ein, welche Materialien du verwendest und wie du diese verändern willst?

BB: Ich glaube, dass jeder Materie eine Energie innewohnt. Die Materialien, mit denen ich arbeite, haben eine Geschichte. Sie sind durch viele Hände gegangen. Viele der Objekte, die ich verwende, sind gebraucht und tragen die Patina der Zeit, was für meine Arbeit sehr wichtig ist. Mir liegt auch daran, dass die Materialien aus der Region stammen. Es geht nicht nur darum, ausrangierte Gegenstände wiederzuverwenden; ich verwende auch Salze, Äste, Pflanzen, Moos, Sand, Erde, also sowohl organische als auch künstliche Elemente, die so weit wie möglich aus der Region stammen, in der das Werk gezeigt wird. Für mich erzählen die Materialien eine Geschichte, eine materielle Geschichte, die eng mit dem Ort verbunden ist. Die Feuchtigkeit, die Luft, das Klima – all diese Umweltfaktoren prägen die Arbeit aktiv mit. Der Prozess der Verwandlung setzt sich während der gesamten Dauer einer Ausstellung fort und wird von den Umgebungsbedingungen beeinflusst. Es geschieht ein unsichtbarer Dialog zwischen dem atmosphärischen Kontext und den Objekten, ein ständiger Austausch, aus dem etwas Neues entsteht.

»Ich glaube, dass jeder Materie eine Energie innewohnt.«

Dieser Ansatz ist nicht nur spirituell, er ist auch ökologisch. Ich kann mir nicht vorstellen, Werke zu schaffen, die sich mit Aspekten der Fürsorge und Verbundenheit beschäftigen, ohne auch die Verantwortung für die Umwelt zu berücksichtigen. Alles ist miteinander verbunden. Fürsorge für die Erde bedeutet, Fürsorge für die Menschen, sie umfasst eine Fürsorge über die Grenzen zwischen Mensch und Nicht-Mensch hinaus.

e: Deine Werke sind oft recht komplex und umfassen einen ganzen Raum mit verschiedenen Materialschichten. Gibt es von Anfang an ein klares Konzept, oder lässt du dich vom Material leiten?

BB: Ich bin in der glücklichen Lage, zur künstlerischen Arbeit in Räume und an Orte eingeladen zu werden, die ich zunächst nicht kenne. Mein Prozess beginnt oft mit Recherchen. Ich lese über die Geschichte des Ortes, des Gebäudes, der Stadt, des Landes. Viele Kunsträume befinden sich heute in gentrifizierten Gegenden mit einer komplexen Vergangenheit, und ihre Geschichte wird zum Ausgangspunkt. Diese Recherche läuft parallel zu dem, was ich Lernen durch Materialien nenne. Ich betrachte meine Praxis als ein kontinuierliches Experimentieren. Ein Projekt weckt meine Neugierde und führt mich dazu, meine Erforschung im nächsten Projekt fortzusetzen.

Ich habe zum Beispiel einmal eine Kücheninstallation über einem Salzwasserbecken gebaut, wo alles mit der Zeit oxidierte. Der Raum war eine ehemalige Fabrik, deren Schließung sieben Jahre gedauert hatte, und der Boden war so giftig, dass das Grundwasser in einem Umkreis von etwa sechs Kilometern unbrauchbar geworden war. Durch Hunderte Liter Salzwasser wurden die Giftstoffe absorbiert und buchstäblich neutralisiert. Mit der Zeit begannen die Materialien zu tropfen, zu schwitzen und zu verrotten. Das war abstoßend und schön zugleich. Als wir die Installation abbauten, entdeckten wir, dass sich im Innern der Schränke, verborgen vor den Blicken, unglaubliche Stalaktiten gebildet hatten. Diese unerwartete Verwandlung war fantastisch, und ich beschloss, sie in mein nächstes Projekt zu integrieren:

Ich hatte die Einladung erhalten, in einer alten Munitionsfabrik in Amsterdam zu arbeiten. Ein Projekt in einem dunklen, komplexen Raum mit unterirdischen Tunneln, die einst für ballistische Tests genutzt worden waren. Ich schuf einen Tisch, an dem zwei Verliebte speisen konnten, und baute ein Tropfsystem ein, das jeden Tag eine halbe Stunde lang Kalzium an die Oberfläche abgab, so dass sich auf natürliche Weise Stalaktiten bilden konnten. Währenddessen breiteten sich Oxidation und Kristallisation im gesamten Raum aus. Vier Tage nach Eröffnung dieser Ausstellung sorgte COVID für einen weltweiten Shutdown. So blieb die Ausstellung neun Monate lang geschlossen. Da niemand vor Ort war, um den Wasserhahn regelmäßig zu öffnen, bildeten sich zwar keine Stalaktiten, aber etwas anderes geschah. Die unbewegte Stille des Raums – keine Schritte, keine Luftbewegungen, kein Atmen, kein Öffnen und Schließen von Türen – ermöglichte die Entstehung anderer Transformationen. Als wir zurückkehrten, sah ich, dass neue Reaktionen erfolgt waren, mit denen ich nicht gerechnet hatte, und diese Erfahrung inspirierte mich zu weiteren Experimenten in meiner nächsten Arbeit.

So also entwickelt sich der künstlerische Prozess. Ich lerne ständig durch die Materialien und passe diese Entdeckungen dann an die Geschichte und die Bedingungen des nächsten Raums an. Es ist schwer vorherzusagen, was ich in einem Jahr schaffen werde, weil ich noch nicht weiß, was ich in der Zwischenzeit lerne.

Energien kanalisieren

e: Wenn du solche Arbeiten gestaltest, die auf einen bestimmten Raum oder eine bestimmte Umgebung reagieren, folgst du dann einer bestimmten Idee?

BB: Oft wird meine Arbeit von ökologischen Anliegen oder sozialen Ereignissen geleitet. Ich versuche, etwas zu enthüllen, das sonst unsichtbar bliebe, etwas, das uns auf einer tieferen, kollektiveren Ebene verbindet – man könnte es das kollektive Unbewusste nennen. Einige meiner Werke werden sogar durch Hellsehen aktiviert, eine uralte spirituelle Praxis, bei der das dritte Auge geöffnet wird, um jenseits des Sichtbaren wahrzunehmen. Ich integriere Symbolik und okkulte Praktiken wie die Alchemie in meine Arbeit und lege so Bedeutungsschichten der von mir verwendeten Elemente frei.

Letztendlich möchte ich die Perspektiven verändern. Wir übersehen oft das, was uns vertraut erscheint, die Landschaften, die Geschichten, die Mythen, mit denen wir aufgewachsen sind. Aber wenn sie von einem Außenstehenden präsentiert werden, können diese Elemente eine neue Resonanz entfachen. Als Außenstehende nehme ich manchmal Dinge wahr, an die sich diejenigen, die dort leben, vielleicht zu sehr gewöhnt haben, um sie zu sehen, zu hören oder zu fühlen. Meine Aufgabe ist es, diese Energie neu zu kanalisieren und eine andere Sichtweise auf das zu eröffnen, was bereits existiert.

»Verflechtung ist der Kern meiner künstlerischen Praxis.«

Jedes Projekt ist eine neue Herausforderung, und jede Frustration auf dem Weg dorthin wird mir ein neuer Ansporn. Während der Prozess selbst oft stressig ist, ist das Ergebnis kathartisch. Für mich ist Kunst eine heilende Erfahrung. Ich heile mich selbst durch das Schaffen dieser Werke, und ich hoffe, dass sie bei anderen Resonanz finden. Ich habe Rückmeldungen von Menschen erhalten, bei denen meine Installationen tiefe Empfindungen ausgelöst haben, und das ist für mich das schönste Geschenk. Wir alle navigieren gemeinsam durch das Leben, und die Kunst ist eine Möglichkeit, ihm einen Sinn zu geben.

e: Kannst du mehr über diesen kathartischen Prozess sagen?

BB: Es geht vor allem um Kontrolle oder – besser gesagt – um das Loslassen von Kontrolle. Mein Prozess beginnt nicht mit Skizzen oder maßstabsgetreuen Modellen. Wenn ich eine Idee für ein Werk entwickle, liege ich ganz still auf dem Boden. Ich mag es, dem Boden so nahe wie möglich zu sein. In diesem Zustand träume ich, visualisiere den Raum, erinnere mich an frühere Arbeiten und stelle mir vor, wie sie sich entwickeln könnten. Das ist ein mentaler Prozess, eine Art Manifestation. Und wenn sich diese Vision materialisiert und wenn etwas, das ich imaginiert habe, zur physischen Wirklichkeit wird, bringt diese Unterbrechung der linearen Denkweise etwas Intuitiveres oder eine Empfindung zum Vorschein, der ich dann folgen muss.

Materie heiligen

e: Ist das auch ein Moment, in dem du dich mit der spirituellen Dimension verbindest?

BB: Das hängt von dem Projekt und der Art der spirituellen Begleiterscheinung ab, die es mit sich bringt. Ich habe mit Materialien gearbeitet, die hochaktiviert sind, wie das Heilige Wasser von Lourdes in Südfrankreich, das eine tiefe symbolische und spirituelle Bedeutung hat. In diesen Fällen arbeite ich nicht nur mit den physikalischen Eigenschaften einer Substanz, sondern auch mit dem, was sie energetisch und historisch in sich trägt. Ich sehe meine Aufgabe darin, die Menschen an ihre Verbindung untereinander und zu den unsichtbaren Kräften, die unsere Welt formen, zu erinnern. Ich erkunde, welche Visionen und Düfte auftauchen, stelle Zaubertränke her, fülle sie in Flaschen ab und führe die Betrachter durch eine Reise der Sinne. Meine Arbeiten sind oft von Düften begleitet. Und Düfte sind etwas, das man nicht auf einem Foto festhalten kann. Die Erfahrung geht über das Visuelle hinaus. Es geht darum, im Raum zu sein, das Licht, die Geräusche, die Luft, die Transformation um einen herum und hoffentlich auch im Inneren zu spüren.

e: Du bringst die Menschen in diesen Räumen in eine vollständig verkörperte Erfahrung.

BB: Ja. Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen Erfahrungen suchen. Sie wollen eintauchen. Aber wenn ich über meine Arbeit spreche, ist »eintauchen« nicht ganz das richtige Wort, weil es etwas Spektakuläres oder Überwältigendes impliziert. Mein Ansatz ist subtiler, sensibler. Es ist ein sanftes Erlebnis, aber ein totales.

Als ich zum Beispiel zum ersten Mal meine Arbeiten in Korea auf der Busan Biennale ausstellte, bekam ich einen großen, komplett weißen Raum zugeteilt. Das hat mich erschreckt. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich mich dieser Angst stellen musste. Ich habe dafür gesorgt, dass alle Oberflächen – Böden, Wände und Decken – so weiß wie möglich gestrichen wurden. Wir installierten ein Maximum an Beleuchtung, so dass der Raum fast bedrückend hell war. Dann brachte ich zehn Tonnen Salz in den Raum ein. Das Weiß war so intensiv, dass es verwirrend wirkte. An den Stellen, an denen sich das Salz an den Wänden auftürmte, war schwer zu erkennen, ob die Oberfläche nahtlos weiterlief oder ob es einen unsichtbaren Abhang gab.

»Für mich ist Kunst eine heilende Erfahrung.«

Die einzigen farblichen Unterbrechungen waren ein smaragdgrüner Teich, der in ein Bett in der Mitte des Raumes eingelassen war, und ein Schubladenset mit rostigen Pfeilen und Ranken. Das Erlebnis war nicht nur visueller Art. Es ging um Licht, Duft und Atmosphäre. Viele Besucher wussten nicht, dass das Salz selbst eine physische Wirkung auf ihren Körper hat. Salz wird seit Langem in Heileinrichtungen für Atemwegserkrankungen und Hautkrankheiten wie Schuppenflechte eingesetzt. Während sich die Besucher also auf die Installation als Kunsterlebnis einließen, erlebten sie unbewusst auch eine Form der Heilung.

e: Es scheint, du siehst Dinge und Materie nicht nur als tote Objekte. Kannst du mehr darüber sagen, wie du Materie verstehst und damit arbeitest?

BB: Ich verbringe viel Zeit in Secondhand-Läden, stöbere in ausrangierten Gegenständen und lasse mich von Stücken anziehen, die mich ansprechen. Indem ich diese Auswahl kuratiere und sie zusammenbringe, entsteht eine Geschichte. Ich vertraue auf das, was ich finde – ob es nun eine Handvoll rostiger Nägel, eine kaputte Uhr oder eine seltene Antiquität ist. Jedes Objekt birgt eine Geschichte, eine Energie in sich. Alle Gegenstände, die ich sammle, durchlaufen einen Reinigungsprozess in einem Salzwasserbad. Dies ist ein wichtiger Schritt, er entgiftet das Objekt, neutralisiert seinen pH-Wert und entfernt Rückstände aus seinem früheren Leben. Doch über den chemischen Prozess hinaus legt das Salz auch die verletzlichen Seiten des Objekts frei. Je nach Material kann das Salz das Objekt konservieren, es korrodieren oder seine Oberfläche auf unvorhersehbare Weise verändern. Das ist eine Form der Reinigung, sowohl physisch als auch symbolisch, und wäscht die Last seiner früheren Existenz ab.

Für mich ist dieser Prozess eine Art, die Objekte zu segnen, bevor sie Teil eines Kunstwerks werden, sie zu ehren und anzuerkennen, woher sie kommen. Es ist ein Ritual. Durch diesen Prozess gehen sie in einen neuen Zustand über; sie werden gereinigt, transformiert und in gewissem Sinne geheiligt.

Author:
Mike Kauschke
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